Elektro-Scooter:Invasion der Mini-Roller

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Statt Fahrrad: Roller-Fans in San Francisco. Die Scooter haben einen Motor. (Foto: David Paul Morris/Bloomberg)

Drei Start-ups platzieren Zehntausende Scooter zum Mieten in US-Städten. Das führt zu großen Problemen.

Von Beate Wild, Austin

Einen Texaner vermutet man eher hinter dem Steuer eines riesigen Pick-up-Trucks als auf dem Trittbrett eines Mini-Rollers. Deshalb reiben sich die Spaziergänger in Austin, der texanischen Hauptstadt, erst einmal ungläubig die Augen, wenn sie bei ihrem Bummel durch die Innenstadt ständig von kleinen Scootern überholt werden. Die Gefährte erinnern an Kinderroller, nur dass sie elektrisch betrieben sind und von Erwachsenen gesteuert werden.

Aufgetaucht sind die Zweiräder erstmals vor vier Wochen. Mittlerweile schwirren sie in Massen durch die Innenstädte von Austin, San Francisco, Santa Monica und Washington, D. C. Verantwortlich für die Invasion der Mini-Scooter sind drei Start-ups: Bird Rides, Lime-Bike und Spin. Mit insgesamt mehr als 250 Millionen Dollar Risikokapital ausgestattet haben sie nichts Geringeres vor, als die Personenbeförderung in den Städten zu revolutionieren.

Das Konzept ist simpel: Der Fahrgast kann die Elektroroller per App finden und mieten. Kommt er am Ziel an, lässt er das Gefährt stehen und loggt sich aus. Jede Fahrt kostet einen Dollar plus zehn bis 15 Cent pro Minute Fahrzeit. Um die Roller wieder aufzuladen, beschäftigen die Firmen sogenannte "Chargers". Sie klappern nachts die Straßen nach den Gefährten ab und laden sie über Nacht wieder auf. Dafür bekommen sie zwischen fünf und 20 Dollar pro Scooter.

Die Scooter-Pioniere wollen neue Lösungen für die vom Verkehr verstopften Innenstädte finden, die Umweltbelastung minimieren und die Menschen unabhängiger vom Auto machen. Sie wollen die Transportindustrie "sprengen", sagen Macher der Start-ups gerne von sich selbst. Wie viele Roller sie auf den Straßen haben, wollen sie nicht sagen. Bekannt ist, dass alleine Bird Rides 22 500 Helme angeschafft hat.

Sie sind zu schnell und parken oft im Weg. Bürger beschweren sich, sprechen von "Scootergeddon"

Doch mit den Scootern kamen die Probleme. Die betroffenen Städte fühlen sich überrumpelt. Statt erst einmal mit den Stadtverwaltungen zu verhandeln, verteilten die Start-ups die Roller ohne Absprache in den Innenstädten. Dabei sind viele Fragen überhaupt noch nicht geklärt. Die wichtigste: Wo dürfen die Scooter fahren?

Nach derzeitigem Stand sind Radwege kein Problem. Auf Straßen und Gehwegen ist es verboten, mit den Rollern zu fahren, was die Fahrer aber nicht davon abzuhalten scheint. Zudem gilt es zu klären, wo sie geparkt werden dürfen, denn ausgewiesene Abstellflächen fehlen bislang. Ob es eine Helmpflicht gibt, hängt von Bundesstaat und Bezirk ab. Und an welche Verkehrsregeln müssen sich die Scooter-Fahrer halten? An die der Straßenverkehrsordnung - in der Regel.

Im sonst so liberalen und neuer Technik gegenüber aufgeschlossenen San Francisco sehen sich die Roller einer immer größeren Gegnerschaft gegenüber. Anwohner beschweren sich bei der Stadt, sich regelrecht bedroht zu fühlen. Die Höchstgeschwindigkeit von 25 Kilometern pro Stunde sei zu hoch, die Fahrer zu rüpelhaft und rücksichtslos, so die Klagen. Viele Fahrer rollern trotz Verbotes auf den Gehwegen im Slalom entlang und parken die Dinger überall, wo sie gerade absteigen: vor Restauranteingängen, auf Fußgänger- und Radwegen, an Straßenkreuzungen, an Bushaltestellen, vor Hauseinfahrten.

Bei einer sehr gut besuchten Anhörung im Rathaus von San Francisco beschwerte sich eine Anwohnerin, die Roller seien "eine Verschwörung der jungen Leute, um uns alte Langweiler umzubringen und an unsere billigen Mietwohnungen zu kommen", berichtet die New York Times. Verärgerte Anwohner posten unter dem Hashtag #ScootersBehavingBadly Fotos von im Weg stehenden Rollern oder Videos von dreisten Überholmanövern. Viele sprechen schon von "Scootergeddon".

Die Behörden in San Francisco und Santa Monica schickten den Firmen bereits Unterlassungserklärungen. Ihre Geschäftspraktiken würden "eine öffentliche Belästigung" darstellen und seien "nicht gesetzmäßig", schrieb San Franciscos Stadtjustiziar Dennis Herrera. Die Start-ups ignorieren die Briefe, die Geschäfte laufen weiter wie bisher. San Francisco konfiszierte daraufhin mehr als 200 Fahrzeuge, die Gehwege und Einfahrten blockierten.

Bird Rides musste in Santa Monica bereits 300 000 Dollar Strafe an die Stadt bezahlen. Aaron Renn, Stadtentwicklungsexperte und Mitglied des konservativen Thinktanks Manhattan Institute, hält die Elektro-roller für ein überschätztes Nischenphänomen. "Ich glaube nicht, dass sie maßgeblich Staus oder die Umweltverschmutzung reduzieren werden, obwohl sie vermutlich kurzfristig zum Hype werden", sagt er. In größeren Städten mit einem signifikanten Fußgänger- und Verkehrsaufkommen sei es schwer vorstellbar, die Roller zu integrieren. "Auf überfüllten Gehwegen haben sie nichts zu suchen. Aber es ist auch nicht klar, ob sie gut auf die Radwege oder Straßen passen", findet Renn. In engen und überfüllten Städten wie San Francisco dürften es die Roller deshalb schwer haben. Die Technologie passe besser zu kleineren Städten mit weniger Verkehrsaufkommen, wo der öffentliche Nahverkehr noch unterentwickelt sei, so Renn. Die betroffenen US-Städte erleben mit den Scootern ein Déjà-vu. Die brachiale Markteinführung der Roller erinnert stark an Uber, den privaten Fahrdienst, der 2009 seinen Service mit ähnlichen Methoden an den Start brachte. Nach dem Motto: Einfach ohne Genehmigungen loslegen, mit den Regulierungen kann man sich dann später herumschlagen.

Die Einwohner Münchens, Berlins und Frankfurts dürften sich an den Start asiatischer Anbieter wie Obike erinnern. Das Start-up überschwemmte vor wenigen Monaten diese und andere Städte mit Tausenden Leihrädern, ohne sich danach weiter um sie zu kümmern. Vielfacher Ärger über das Vorgehen, ein laxer Umgang mit Kundendaten und eine zweifelhafte Preispolitik führten dazu, dass sich Obike nach nur einem guten halben Jahr weitgehend aus München zurückzog.

Im 19. Jahrhundert hatten viele eine Abneigung gegen Autos, heute eben gegen E-Roller

Der Chef von Bird Rides war früher bei Uber und Lyft. Travis Van der Zanden, Gründer und Chef von Bird Rides, nimmt sich aber eher Uber zum Vorbild, dessen Vorgehensweise in vielen Regionen außerhalb Europas durchaus erfolgreich war. Van der Zanden weiß das, schließlich war er bis 2016 Manager bei Uber und arbeitete davor als Geschäftsführer für Lyft, den Uber-Konkurrenten. "Disruption", also das Aufmischen etablierter Märkte, kennt er noch aus seinen alten Jobs. Aufgrund seiner Erfahrungen rechnete Van der Zanden schon damit, dass die Elektroroller für Kontroversen sorgen würden. "Im frühen 19. Jahrhundert hatten die Menschen eine ähnliche Reaktion den Autos gegenüber, weil sie an Pferde gewöhnt waren", erklärte er der New York Times. Und so sei es eben nun mit den Elektrorollern.

Doch in den USA des Jahres 2018 geht es nicht einfach nur darum, welche Meinung jemand zu Elektrorollern hat.

Die Scooter sind gerade auch ein Symbol für die Moral der Tech-Unternehmen. Das skrupellose Vorgehen der Start-ups kommt immer schlechter an bei den Bürgern. "Als wichtigste Frage muss zunächst geklärt werden, wo sie fahren dürfen und wo nicht, und wie man Verstöße ahndet", sagt Experte Renn. Bird-Chef Van der Zanden gibt sich kompromissbereit. Seine Firma werde allen Forderungen nachkommen, um die die Städte sie bitten. So sollen etwa die Fahrer verpflichtet werden, am Ende der Fahrt ein Foto vom geparkten Roller zu machen, um sicherstellen, dass die Scooter auch ordentlich abgestellt würden. Sein Ziel verliert er trotz der Querelen aber nicht aus den Augen: "Wir werden erst glücklich sein, wenn es mehr Birds gibt als Autos."

© SZ vom 03.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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