Einkommensverteilung:Ungleiche Kuchenstücke

Lesezeit: 2 min

Der Einkommenskuchen ist in den vergangenen zehn Jahren zwar deutlich größer geworden, doch die abhängig Beschäftigten bekommen immer weniger ab. Ihre Einkommen seien real sogar gesunken, beklagen die Gewerkschaften.

Von Kristina Läsker

(SZ vom 23.12.03) - Als obszön hat Bundestagspräsident Wolfgang Thierse die jüngsten Gehaltssteigerungen deutscher Topmanager um 7,4 Prozent bezeichnet. Wenn die Wirtschaft gesunden wolle, so die vorweihnachtliche Botschaft des SPD-Politikers, dürften die "Bosse" von ihren Angestellten keinen Lohnverzicht fordern, während sie sich die eigenen Gehälter erhöhten.

Einkommenskuchen: Der Schnitt erfolgt immer mehr zu Lasten der abhängig Beschäftigten. (Foto: Foto: AP)

Die Kritik die Bundestagspräsidenten, der selbst gut 180.000 Euro im Jahr erhält, mag unangemessen sein. Dennoch trifft sie den Kern einstiger sozialdemokratischer Politik: Die Forderung nach einer gerechteren Verteilung der Einkommen.

Die sind aber, glaubt man dem Verteilungsbericht 2003 des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), in den vergangenen Jahren nicht gerechter verteilt worden, sondern ungerechter.

So hatte ein Arbeiter oder Angestellter 2002 durchschnittlich real "weniger in der Tasche" als vor zehn Jahren, kritisiert Referatsleiter Dierk Hirschel. Um 1,5 Prozent seien die Nettolöhne zwischen 1991 und 2002 abzüglich der Inflation geschrumpft.

Gewinne und Vermögen kräftig gestiegen

Parallel zu den sinkenden Löhnen, so lautet die Kritik des DGB, sind die realen Gewinne und Vermögen kräftig gestiegen, um 23,2 Prozent.

Hirschels Fazit: Es gab eine starke Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmer. Der Einkommenskuchen ist größer geworden, doch abhängig Beschäftigte bekommen immer weniger ab.

Der DGB führt die ungerechtere Verteilung auf die steigende Massenarbeitslosigkeit zurück. Sie habe die Macht der Gewerkschaften geschwächt, in den Tarifverhandlungen höhere Gehälter auszuhandeln.

Selbst die beschlossenen Löhne würden von vielen Unternehmen untergraben, klagt Hirschel. So kürzten die Firmen übertarifliche Leistungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld - und damit das, was den Leuten netto übrig bleibt.

Der Studie zufolge sind die tatsächlichen Gehälter in den vergangenen zehn Jahren nur um durchschnittlich je 2,7 Prozent gestiegen, obwohl Arbeitnehmer und Arbeitgeber per Tarifvertrag 3,7 Prozent vereinbart hätten.

Noch bis Mitte der 90er positiv

Die "negative Lohndrift" von einem Prozentpunkt beträgt damit knapp ein Viertel der vereinbarten Lohnsteigerung. Noch bis Mitte der 90er Jahre sei diese Differenz positiv gewesen, sagt Hirschel. Die Arbeitgeber zahlten über Tarif.

Schuld an der schwindenden Verhandlungsmacht dürfte aber auch sein, dass sich immer weniger Firmen durch die Arbeitgeberverbände vertreten fühlen und sich von der Tarifbindung lossagen. Gerade im Osten sind viele kleinere Betriebe nicht mehr an die Tariflöhne gebunden.

Von der SPD-Regierung fühlen sich die DGBler bei der Verteilungsdebatte im Stich gelassen. Die staatliche Umverteilung bringe kaum Gerechtigkeit, lautet der Vorwurf. Die Transfers des Fiskus privilegierten die Gewinn- und Vermögenseinkommen sogar, so der DGB.

Machterhalt

Doch nicht nur die gerechte Einkommensstreuung, sondern auch der Machterhalt dürfte der Gewerkschaft am Herzen liegen. Der DGB warnt daher davor, künftig die Tarifautonomie einzuschränken und statt dessen mehr tarifliche Bündnisse zuzulassen; das wäre der faktische Tod der Flächentarife.

Genau dies fordert nicht nur die Opposition, sondern auch der Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums. Die 35 renommierten Wissenschaftler hatten sich in ihren jüngsten Guthaben dafür ausgesprochen, die Tarifautonomie aufzubrechen. Den Gewerkschaften würde damit eines ihrer mächtigsten Instrumente entzogen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: