Einkommen in Deutschland:Der große Graben

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Reiche Deutsche verdienen immer mehr, der Rest ist von der Lohnentwicklung abgeschnitten: Die Einkommensunterschiede hierzulande sind so groß wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Auch die Zahl der Armen erreichte im Jahr 2005 einen Rekordwert.

Moritz Koch

Die Einkommensunterschiede im wiedervereinigten Deutschland waren noch nie so groß wie heute. Das geht aus bisher unveröffentlichten Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervor. Lohnzuwächse für Niedrigverdiener liegen kaum noch über der Inflationrate.

Auf Grundlage von jährlichen Haushaltsumfrage haben DIW-Volkswirte die Verteilung der verfügbaren Haushaltseinkommen berechnet, die sich aus Löhnen, Kapitaleinkünften, privaten Unterhaltszahlungen und staatlichen Transfers zusammensetzen.

Größte Ungleichheit seit Beginn der Datenerhebung

Auch die Größe der Haushalte und der Wert des Wohneigentums wurden berücksichtigt. Auf Basis dieser Daten haben die Ökonomen den so genannten Gini-Koeffizienten ermittelt - ein statistisches Maß für soziale Ungleichheit.

Dieser Koeffizient ist null bei absoluter Gleichheit und eins bei extremer Ungleichheit.

Zwischen 2001 und 2005 ist der Gini-Koeffizient von 0,27 auf 0,29 gestiegen. Damit hat die Ungleichheit das höchste Niveau seit Beginn der Datenerhebung 1984 erreicht.

Die Experten erwarten, dass Arm und Reich noch weiter auseinander driften werden. Auch anziehendes Wirtschaftswachstum werde daran nichts ändern.

"Die angekündigte Mehrwertssteuererhöhung hat ein konjukturelles Strohfeuer entfacht", sagt Markus Grabka vom DIW. "Voraussichtlich wird es nach 2007 wieder erlöschen."

Niedrigverdiener verlieren

Die soziale Ungleichheit nimmt in Deutschland eine Entwicklung, die aus anderen Industrienationen bekannt ist. Vor allem in den USA haben sich die Einkommensunterschiede seit Ende der neunziger Jahre dramatisch vergrößert. Auch hierzulande konnten die Spitzenverdiener ihre Bezüge zuletzt am deutlichsten steigern.

Sie verzeichneten im Zeitraum zwischen 1994 und 2004 inflationsbereinigte Lohnerhöhungen von durchschnittlich 1,5 Prozent im Jahr. Wer 1994 brutto mit 5300 Euro entlohnt wurde, bezieht heute real, also nach Abzug der Teuerungsrate, 6200 Euro.

Die mittlere Einkommensgruppe konnte ihren Reallohn ebenfalls steigern, im Schnitt um 1,1 Prozent pro Jahr. Niedrigverdiener hingegen haben an der Einkommensentwicklung kaum profitiert. Seit 1994 stieg ihr Realeinkommen jährlich nur um 0,2 Prozent von 1030 auf 1050 Euro.

Die Misere am unteren Ende der Einkommensskala wird auch durch die Armutsrate verdeutlicht. Sie zeigt an, wie viele Haushalte weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens verdienen und damit unterhalb der Armutsschwelle leben.

2005 betrug die Armutsrate in Deutschland 17,3 Prozent - ein Negativrekord. Besonders stark haben sich die Einkommensverhältnisse in den neuen Bundesländern verschoben, wo die Unterschiede zwischen Arm und Reich nach der Wiedervereinigung gering waren.

1992 betrug der Gini-Koeffizient nur 0,2. Inzwischen ist er auf 0,25 geklettert. Mehr als jeder fünfte Ostdeutsche lebt unterhalb der Armutsschwelle.

Einfluss der Globalisierung

Als Hauptursache für die Differenzierung der Einkommensverteilung nennt DIW-Experte Markus Grabka die Massenarbeitslosigkeit und die nachlassende Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme.

Reformen der Bundesregierung hätten die Einkommensgegensätze verschärft. "Sozialhilfeempfänger haben netto weniger in der Tasche, weil sie sich an den Gesundheitskosten beteiligen müssen", sagt Grabka.

"Dagegen konnten die Wohlhabenden wegen der Senkung des Spitzensteuersatzes ihr Nettoeinkommen erhöhen." Auch die Globalisierung habe zur wachsenden Ungleichheit beigetragen, weil sie eine Spreizung der Löhne von gering und hoch qualifizierten Arbeitnehmern bewirke.

Weniger sparen, mehr investieren

Die neuen Daten des DIW werden den Debatten über die Wirtschaftspolitik neuen Auftrieb geben. Dierk Hirschel, Chefvolkswirt des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), sieht mittelfristig sogar den sozialen Frieden bedroht: "Wenn sich die Einkommensunterschiede so weiter entwickeln wie bisher, bekommen wir französische Verhältnisse", sagt er und spielt damit auf die Krawalle perspektivloser Jugendlicher in Frankreich an.

Um das zu verhindern, fordert der Gewerkschaftsbund von der Bundesregierung eine Neuausrichtung ihrer Politik. "Wir müssen weg von der Haushaltskonsolidierung und hin zu einer wachstumsorientierten Investitionspolitik", so Hirschel.

Auch Wirtschaftsforscher Markus Grabka ruft die Politik zum Handeln auf. "Wichtigstes Ziel muss es sein, die Lohnnebenkosten zu senken", sagt Grabka. "Das schafft mehr Arbeitsplätze und hilft den Geringverdienern, die durch Sozialabgaben überproportional belastet werden."

© SZ vom 17.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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