Einkaufssender boomen:Bei Anruf Säge

Lesezeit: 5 min

Ob mit Werkzeug, Schmuck oder sogar Autos - das Geschäft der Teleshopping-Kanäle läuft glänzend, obwohl nur wenige Zuschauer durchhalten.

Von Markus Balser

(SZ vom 06.12.2003) — Der deutsche Heimwerker hat es schwer. Er muss schleifen, schmirgeln, sägen und braucht dafür auch noch drei verschiedene Geräte.

Wie gut, dass Felix Köppl Rat weiß. Köppl ist Starmoderator des Münchner Fernsehsenders Home Shopping Europe (HSE), und seine Lösung heißt Fein Multimaster. Der kann alles auf einmal und hat überhaupt "unbegrenzte Anwendungsmöglichkeiten" - dem "oszillierenden Bewegungsablauf" sei Dank. Preis: 148,48 Euro plus Versandkosten.

Aber, so erfahren die Zuschauer, das Wunderwerkzeug ist rar. "Noch 37, 36, 35 Stück", blendet die Regie ein. Das macht man so unter TV-Verkäufern. Zeitdruck und künstliche Verknappung setzen Zuschauer unter Druck.

Glotze statt Katalog

Felix Köppl hat aufgehört, sich über solche Gepflogenheiten der Branche zu wundern. "Hier ist alles möglich." Wie kein anderer verkörpert Köppl selbst die wundersame Karriere des Genres. Denn eigentlich hatte ihn der Sender als Hausmeister engagiert.

Glotze statt Katalog: Der televisionäre Warenrummel boomt. Rund um die Uhr, davon mindestens 16 Stunden live, verhökern die Marktführer Home Shopping Europe und die Düsseldorfer QVC (Quality, Value, Convenience) in Deutschland Waren aller Art. Meist solche, die es in Geschäften und Kaufhäusern nicht gibt.

Ob bunte Klunker ("Mit dem Flamingo-Topas fallen Sie auf"), innovative Putzmittel ("Uli Breiter Megaweiss für den effizienten Herbstputz"), zusammenfaltbare Dampfsaunen ("inklusive Klappstuhl, Sichtfenster und Boiler") - ganz und gar assoziativ schwafeln redegewandte Moderatoren die Lager leer.

Handcremes oder Rohkost-Reiben, die nicht wenigstens exklusiv oder limitiert sind - im Einkaufsfernsehen sucht man sie vergebens. Immer mehr Zuschauer lassen sich umgarnen und ordern am Telefon. Fast 100.000 mal klingelt es an guten Tagen unter der Nummer 0800 29 888 88 in einem der sieben Call-Center von Home Shopping Europe.

650 Millionen Euro Umsatz

Vor fünf Jahren waren es durchschnittlich gerade mal 8000 Anrufe. Mit sonorer Stimme verkaufen Telefonisten, im Firmenjargon Order Entry Agents genannt, vor allem Schmuck, Bekleidung, Kosmetik, inzwischen aber auch Autos und selbst deren Finanzierung.

Für 650 Millionen Euro haben Zuschauer 2002 im deutschsprachigen Raum bei den Einkaufssendern bestellt - so viel wie noch nie. In diesem Jahr soll der Branchenumsatz um weitere 15 bis 20 Prozent steigen. TV-Manager reiben sich verwundert die Augen.

Zweistellige Wachstumsraten gibt es derzeit nirgendwo sonst in der krisengeschüttelten Medienbranche. Während bei Vollprogrammsendern die Werbeeinnahmen um fünf bis zehn Prozent wegbrechen und auch der Einzelhandel über magere Zuwächse klagt, läuft das Verkaufsgeschäft via Mattscheibe glänzend.

In den nächsten fünf Jahren, glauben Marktforscher, wird sich der Umsatz noch einmal verdoppeln - auf 1,4 Milliarden Euro.

Alles macht Spaß

Die US-Philosophie der aggressiven Fröhlichkeit zieht sich vom Call-Center durch die Empfangshalle im roten Backsteingebäude bis tief hinein in die beiden Zwillingsstudios auf dem Gelände der alten Fliesenfabrik nordöstlich von München.

Der kompromisslose Spaßwille macht auch vor dem realen Leben nicht halt. Ohne viel zu sagen, quasseln sich Moderatoren in die Herzen der HSE-Gemeinde. Und zwischendurch bleibt auch noch Zeit für einen Spaß mit Monteur Mike, der gerade eine Art gerahmte Ölkrise aufhängt. Die Kulissen spiegeln das Wohnzimmer-Ideal der Zielgruppe wider. Pastellfarbene Tapeten, Buchattrappen, Plastikblumen.

Als er noch Hausmeister war, schraubte Felix Köppl hier die Sperrholzregale zusammen. Köppl ist ein bodenständiger Typ, der ohne Kamera viel weniger redet als mit.

Einer, den man gerne selbst zum Heimwerken im Bastelkeller bestellen würde, weil man mit ihm viel mehr anfangen könnte als mit dem Multimaster.

Wie alles anfing? Als der Sender noch P7 hieß, und in den Kinderschuhen steckte, Ostern 1997 war das, musste ein Studioexperte her, der was von Werkzeugkoffern verstand. Mir nichts, Dir nichts fand sich Köppl vor der Kamera wieder. Mit ihm als Co-Moderator verkaufte der Sender sechsmal mehr als sonst. Köppl bekam Autogrammkarten, eine eigene Sendung und einen einträglichen Job: Die Spitzenkräfte unter Moderatoren verdienen bis zu 200.000 Euro pro Monat.

"Nicht der Moderator, das Produkt ist der Star". So jedenfalls sagt es Francis N. Edwards. Seit Sendestart im November 1996 ist er als Senior Vice President International, QVC Inc. für den Aufbau der deutschen Tochter des weltweit erfolgreichsten Teleshopping Unternehmens QVC verantwortlich.

Doch eigentlich weiß auch Edwards: Die Produkte sind austauschbar. Erst Moderation und Technik machen den Unterschied zwischen irgendeinem Küchengerät und der Eurolux-Select-Flachpfanne. War eben noch die Studioküche in grelles Licht getaucht, steht Moderator Michael Zollenkopf jetzt im matten Wohnzimmer einen Meter weiter. Musik wabert durch die Requisiten wie süßes Parfum. Kurz vor Weihnachten müssen die Kerzen raus. Zollenkopf spricht langsam. In kurzen Sätzen und im Dienst der Besinnlichkeit.

Dass hier alles auf Effizienz getrimmt ist, sollen die Zuschauer nicht merken. Eine Sendeminute darf nicht mehr als 100 Euro kosten. Macht pro Jahr rund 80 Millionen Euro.

Zum Vergleich: Sat.1 gibt in diesem Jahr rund 580 Millionen Euro für das Programm aus, ProSieben 500 Millionen Euro. Zollenkopf redet einsam auf die Linse ein. Kameraleute, Beleuchter oder Kabelträger? Fehlanzeige.

Die Technik funktioniert vollautomatisch. Sein einziger Kontakt zur Außenwelt: ein diskreter Knopf im Ohr. Länger, kürzer, ruft die Regie ins Studio. Mehr als 15 Minuten aber bekommt kein Produkt. Wer dann nicht angebissen hat, meldet sich sowieso nicht mehr. "Unser Verkaufsgeschäft ist impulsgetrieben", weiß HSE-Chef Hilbers. Langes Überlegen schadet dem Umsatz.

Geringe Quote — nennenswerte Erlöse

Der Erfolg der Genres bringt manches unumstößliche TV-Gesetz ins Wanken. Lange galt der Audiance Flow als innere Verpflichtung jedes Programmplaners: Verzichte auf alles, was Zuschauer zum Aus- oder Umschalten bringen könnte, hieß die eiserne Regel.

Sender fahndeten fieberhaft nach holprigen Übergängen, beseitigten Abspänne, Ansagen, verzichteten auf manchen Inhalt. Nun schlagen sie ganz bewusst tiefe Schluchten in die Quotenkurve.

Wenn Puppenexperte Günter Winter von HSE die Fee in Lila in der Hand dreht und ausdrücklich lobt, dass man die Fee in Lila in der Hand drehen kann, halten das bisweilen keine 20.000 Zuschauer durch. "Teleshopping bietet die Chance, mit geringen Quoten nennenswerte Erlöse zu erzielen", sagt Hermann-Dieter Schröder vom Hamburger Hans-Bredow-Institut für Medienforschung.^

Inzwischen hört auch RTL jeden Morgen für eine Stunde auf, seine Zuschauer zu unterhalten, und schaltet ein eigenes Shopping-Fenster.

Das Kalkül: Wenigstens einen Teil der ausbleibenden Werbeeinnahmen zu kompensieren. Bisher aber hinkt der RTL Shop mit 72 Millionen Euro Umsatz den etablierten Sendern HSE und QVC hinterher. Die verbuchten jeweils rund 290 Millionen Euro Umsatz. Dennoch glaubt Shop-Chef Heinz Scheve: "Der Markt ist groß genug für drei Anbieter." Ambitionen, die über das Verkaufen hinausgehen, sind den Kanälen fremd.

Teleshopping statt Werbespots

Sie gelten als Mediendienste und unterliegen keinen Werbebeschränkungen. Dafür ist es ihnen aber auch verboten, Unterhaltung zu senden. Und die Kanäle halten sich dran.

Die USA machen vor, was Deutschland möglicherweise noch blüht. Dort hat das Transaktionsfernsehen die klassischen Werbespots längst als wichtigste Erlösquelle der TV-Branche verdrängt. 1995 lag der Anteil der Werbung an den Gesamtumsätzen noch bei 80 Prozent, Teleshopping machte nur zehn Prozent aus.

Nur fünf Jahre später hatten die Einkaufssender ihren Anteil auf 44 Prozent ausgebaut und die klassische Werbung (41 Prozent) überholt. Auch der deutsche Markt ist fest in amerikanischer Hand. Home Shopping Europe gehört zu 90 Prozent dem Home Shopping Network des US-Medienmoguls Barry Diller. KarstadtQuelle hält nur eine Minderheitsbeteiligung von zehn Prozent. QVC zählt indirekt zum Imperium des Milliardärs John Malone und seiner Liberty Media.

"Ich bin allein." Ein Satz, den die Telefonisten im Call-Center häufig hören. Meist von Anrufern im Rentenalter, sagt eine Mitarbeiterin. Für sie ist HSE so einiges - von Therapeut bis Familienersatz. Manche schicken Fotos von ihren Vitrinen mit Günter Winters Sammlerstücken. Wer möchte, kann sich live in die Sendungen schalten lassen.

Gegen das Branchenimage, Einkaufsfernsehen sei was für Senioren, kämpfen seine Macher bislang vergeblich. Zwar schicken die Sender immer mehr Prominente ins Rennen: Verona Feldbusch und andere sollen neue und vor allem jüngere Käufer gewinnen. Doch noch immer ist der durchschnittliche Kunde über 50.

Viel zu spät versucht am Ende des Tages Moderator Walter Blum, auch noch den ältesten Zuschauer aus seiner Lethargie auf der heimischen Couch zu reißen. Mit der Sendung Home Sports kämpft er nach 23.00 Uhr für den gesunden Körper. Dafür lässt er Studiogast Tommy etwa eine Viertelstunde eindrucksvoll auf dem Bauchmuskeltrainer "Ab Swing" schaukeln, natürlich ohne Otto-Normalverbraucher gleich den Mut zu nehmen.

Denn, weiß Blum, "auch unter der dicken Fettschicht sind Muskeln wichtig". "Noch 200 Stück", blendet die Regie ein. Für Tommy, der sich nur mit Mühe auf der Stahlkonstruktion hält, heißt das: Weiterturnen. Und natürlich wird am Ende wieder alles ausverkauft sein. Wenigstens bis zur nächsten Sendung.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: