Ein Konzern auf der Suche nach sich selbst:Ganz normal fliegen

Lesezeit: 3 min

Airbus ist anders als Boeing. Und das ist ein Problem.

Cornelia Knust

William E. Boeing war ein Sohn aus reichem Hause. In Seattle an der amerikanischen Westküste hatte er ein Vermögen im Holzhandel gemacht; mit dem Geld gründete er 1916 eine Flugzeugfabrik und 1927 eine eigene Fluggesellschaft: Boeing und United Airlines.

Einen Herrn Airbus hat es dagegen nie gegeben. Airbus war weder Sohn noch visionärer Unternehmer, sondern bloß ein Flugzeug und eine Idee: Der A300, ein Mittelstreckenjet mit großem Fassungsvermögen, sollte auf den im Vergleich zu Amerika bescheideneren Strecken des alten Kontinents Mensch und Gut durch die Luft transportieren, zuverlässig und billig wie ein Bus.

Die Länder, die dies Flugzeug haben wollten, Frankreich und Deutschland, bald auch Spanien und Großbritannien, schlossen sich 1970 zu einem Konsortium zusammen: Airbus Industries.

Misstrauen, Übelsinn und Arroganz

So ist das heute noch. Boeing ist ein börsennotierter Konzern, der mit allem, was fliegt oder schießt, Geld verdienen soll.

Natürlich ist Boeing auch Stolz der amerikanischen Nation, Empfänger gewaltiger Forschungszuwendungen und großer Rüstungsaufträge, außerdem ein bedeutender Arbeitgeber.

In erster Linie aber ist Boeing ein klassischer Bluechip mit großem Heimatmarkt. Airbus dagegen hat seinen Projektcharakter nie verloren.

Wie das so ist, wenn europäische Staaten etwas gemeinsam anfangen, bleibt die Interessenlage unübersichtlich, die Machtbalance fragil. Wer mitmachen will, muss zahlen. Wer zahlt, schafft an. Geld gegen heimische Arbeitsplätze und nationalen Ruhm.

Schließlich ist die Luft- und Raumfahrt eine Zukunftsindustrie, ein Feld für nationale Champions und High-Tech-Cluster. Und Rüstungsdinge gibt man im ach so einigen Europa sowieso nur widerwillig aus der Hand. Deutschland und Frankreich, gerne als Motor der europäischen Einigung bezeichnet, sind auch beim Airbus in herzlicher Feindschaft verbunden.

Zu führen ist ein solches Unternehmen praktisch nicht. Es regieren Misstrauen, Übelsinn und Arroganz. Man kann, wie Airbus gezeigt hat, dennoch unglaublich erfolgreich sein, mit allerfeinsten Ingenieurleistungen glänzen, die Marktführerschaft erringen, Milliarden verdienen, Menschen begeistern. Doch eine krisenfeste Identität entsteht so nicht.

Kaum etwas hat bisher geholfen. Nicht die Umwandlung von Airbus in eine Aktiengesellschaft, nicht der Zusammenschluss eines Teils der Airbus-Muttergesellschaften zur European Aeronautic Defense and Space Company, nicht der Börsengang dieser EADS.

Dies alles war zwar unabdingbar, um Geld für das teure Großraumflugzeug A380 einzusammeln, hat aber die Managementprobleme eher noch vergrößert. Nicht nur, weil sehr große Unternehmen generell schwerer zu führen sind. Oder weil die Flugzeugbranche in besonders langen, die Börse aber in kurzen Zyklen denkt.

Es ist auch die Dominanz von Airbus in dem Konstrukt, die die EADS-Spitze doppelt hilflos erscheinen lässt. Wer Airbus führt, führt den Konzern - und hat trotzdem nicht die Macht.

Die meisten anderen Geschäftsbereiche sonnen sich im Glanze des Flugzeugherstellers, von dessen Marktbedeutung und Renditestärke sie nur träumen können.

Die EADS ist bisher eben nicht der Nukleus, um den sich Europas Industrie schart, damit die Konsolidierung der Branche vollendet wird. Wenn EADS einen "Airbus des xy-Geschäfts" initiieren wollte, ging das regelmäßig schief. Während die Konzern-führung sich bei solchen Projekten vertändelte, brannte bei Airbus das Dach - wie jetzt wegen der peinlichen Panne mit der Verkabelung des A380.

Notfalls abwickeln

Ist bei EADS also nach der Krise auch vor der Krise? Es sieht fast so aus. Zwei Manager mussten jetzt gehen - in deutsch-französischer Parität, wie gehabt. Mit Co-Vorstandschef Noël Forgeard ist der Konzern einen großen Unruhestifter losgeworden - wobei die Airbus-Kunden ungewöhnlich offen mitgeholfen haben.

Effizienzorientierte Manager übernahmen die Geschäfte. Und der britische Konzern BAE Systems, letzter Fremdkörper im Airbus-Gesellschafterkreis, verabschiedet sich demnächst aus der Runde.

Doch sonst ist alles wie zuvor. Die Großaktionäre Frankreich, Spanien, Lagardère und Daimler spielen weiter Blindekuh. Der sechs Jahre alte Aktionärspakt zwischen ihnen ist zwar alles andere als vertrauensstiftend.

Doch hätten die Gesellschafter ihn aufgeschnürt, wäre ihnen am Ende vielleicht die ganze EADS um die Ohren geflogen. Und mit Blick auf die höchst verstimmte Kundschaft brauchte man Ruhe noch dringender als Vertrauen.

Doch sollte das Nachdenken jetzt nicht aufhören. Vielleicht gelingt es der EADS ja, eine Rolle zu finden, die eigene Existenz zu rechtfertigen - über echte Synergien zwischen den Geschäftsbereichen oder über eine Stärkung des Verteidigungsbereichs mit seinen stabilisierenden Geschäftszyklen. Vielleicht kann EADS sich zumindest in eine schlanke Holding verwandeln, mit klaren Machtverhältnissen und kurzen Entscheidungswegen.

Gelingt das nicht, sollte der Konzern sich mittelfristig selbst abwickeln, Airbus getrennt an die Börse bringen, vielleicht auch Astrium und Eurocopter, und bei der Rüstung neue Bündnisse suchen.

Ehe die europäischen Staaten weitere Milliardensubventionen in künftige Flugzeugmodelle stecken, sollten sie klare Verhältnisse schaffen bei Airbus: Nur wenn aus dem Projekt endlich ein normales Unternehmen wird, kann es abheben und fliegen.

© SZ vom 8.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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