Ein amerikanischer Mythos erlischt:Das stille Ende von 554 M

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Die Gesetze der Globalisierung machen auch vor dem Hersteller der Kult-Jeans nicht halt: In Texas wird die letzte Levi-Strauss-Fabrik in den USA geschlossen.

Von Stefan Kornelius

(SZ vom 18.12.2003) — Die Geier kreisen mal wieder: 68 Meter Spannbreite, 75 Meter in der Länge, und bei einem bestimmten Neigungswinkel zur Erde kreischen die Turbinen besonders heftig.

(Foto: Foto: AP)

Immer wieder zirkeln sie um den schmutzig-gelben Flachbau, nehmen ihn als Achsenpunkt ihrer Flug- und Wendemanöver, ehe sie herabsinken und aufsetzen auf der Lackland Air Force Base.

Aber Clara Flores bemerkt das alles nicht mehr, weil 24 Jahre ausreichen, um sich an Leben und Arbeit in der Einflugschneise eines Luftwaffenstützpunktes zu gewöhnen.

Die Geier werden auch in Zukunft kreisen, und manchmal denkt Clara Flores, dass sie besser einen Job bei der Air Force und ihren Galaxy-Transportern gefunden hätte, damals vor 24 Jahren, und nicht auf der anderen Seite des Highways.

Auf der anderen Seite des Highway 90 werden jetzt nämlich die amerikanische und die texanische Fahne am Fabriktor zusammengerollt, und Clara Flores kann ebenfalls einpacken, 24 Jahre nach ihrem ersten Stich. Eine Mutter von drei Kindern, gerade erst 54 Jahre alt - zu jung für die Arbeitslosigkeit, zu alt für einen neuen Job.

Ein Arbeiterschicksal, ein amerikanisches: Clara Flores, Näherin, Spezialistin für Hosen, Jacken, Hemden, geübt im Umgang mit festen Denim-Stoffen, ihr Leben lang treue Dienerin der Firma Levi Strauss. Ja, genau, dieses Levi Strauss: Bluejeans, Wilder Westen, Goldgräber, Mythos, Rebellion, Rock 'n' Roll, die 501.

Levi Strauss, made in USA - aber jetzt nicht mehr. Es ist nämlich Schicht in Texas, die letzte Schicht, denn Levi Strauss schließt sein Werk in San Antonio - das letzte in den USA. Der amerikanischste aller Jeans-Hersteller fabriziert nicht mehr in den Vereinigten Staaten. Am Jahresende wird die große Nähhalle geschlossen sein - ein Mythos wird leise begraben, weil die Geschäftsführung in San Francisco kein Aufsehen erregen möchte.

Bei Bamberg begann es

Clara Flores erlebt ein amerikanisches Schicksal, sie ist aber auch ein typisches Opfer der Umwälzungen in der Bekleidungsbranche, der Globalisierung damit.

Und weil ihre Lebensgeschichte überhaupt eng verknüpft ist mit dem Wunsch nach einem bisschen Lebensglück, mit der Jagd nach einem Quäntchen Wohlergehen, ist Clara Flores' Geschichte besonders tragisch - weil die Frau aus San Antonio am Ende vielleicht dort ankommt, wo sie einmal angefangen hat, ganz unten nämlich.

Clara Flores, eine Nutznießering der Globalisierung und nun ihr Opfer. Fast so wie Levi Strauss und seine Firma.

Levi Strauss war so etwas wie ein früher Globalisierer, ein sehr früher. 1829 wurde er geboren, im oberfränkischen Buttenheim, nur wenige Kilometer südlich von Bamberg gelegen. Sein Elternhaus haben sie ausfindig gemacht und in ein wunderbares Museum verwandelt, in dem die Geschichte des Mannes und seiner Jeans erzählt wird - in der Tat ein Lehrstück der Globalisierung.

Loeb Strauss war das jüngste Kind jüdischer Eltern. Der Vater ging mit Gemischtwaren und Tuchen hausieren, weil Juden ein Gewerbebetrieb oder die Landwirtschaft verwehrt war.

Hausiererei war angesiedelt am untersten Ende der sozialen Leiter, ein undankbarer Job. Die bayerischen Matrikelgesetze von 1813 verwehrten den Juden die freie Berufswahl und die freie Wahl des Wohnortes, und deshalb stellten die Straussens den Antrag auf Auswanderung. Es war ihnen zu eng geworden in Deutschland. Im Juni 1847 kamen die Papiere.

In New York wurde aus Loeb Levi, aus dem bayerischen Juden ein amerikanischer Geschäftsmann, der mit dem Goldrausch nach Kalifornien geschwemmt wurde - wieder so ein Markstein auf der Jagd nach Wohlstand und Glück in einer enger werdenden Welt.

In San Francisco gründete er eine Handelsgesellschaft, verkaufte Tuche aus Denim Stoff - blauer Baumwolle, die ihren Namen der Herkunft aus der französischen Stadt Nîmes verdankt. Ein Kunde machte ihn auf die Verarbeitung mit Hilfe von Nieten aufmerksam, und so begann Levi Strauss Arbeits-Overalls zu produzieren.

Das Stichmuster auf der hinteren Tasche wurde zum ersten amerikanischen Markenzeichen, später kam das Lederetikett dazu, dann die vier Knöpfe, die rote Markenfahne. Levi's wurden zum Symbol für den Gründergeist, für den Westen, für Amerika insgesamt.

Kaum eine Marke aus dem auslaufenden 19. Jahrhundert, die so lange überlebt hat und gar zum Kult wurde. James Dean, die Stones, Madonna - Rebellen ihrer Zeit in Jeans. Joschka Fischer trug Jeans bei seiner Vereidigung im hessischen Landtag. In der Sowjetunion oder der DDR war eine Levi's Statussymbol und natürlich ein Synonym für die Demokratie.

Levi's wurde eine weltumspannende Marke, in einer Liga mit Coca Cola und Marlboro. Die Hose verkörperte ein Lebensgefühl, mehr noch, es ist nicht einmal zu pathetisch, die Jeans zu den nationale Identität stiftenden Symbolen der USA zu zählen.Dafür reicht schon die ganz persönliche Erinnerung an die erste Levi's, der Kampf um die richtige Größe, den richtigen Schnitt.

Trotzdem haben sie irgendwann in den späten Achtzigern im Hauptquartier in San Francisco den Anschluss verloren, waren eingeschlafen im ewigen Spiel der Mode, haben die Märkte und die Botschaft der Marke aufgegeben. Levi's wurde langweilig, vor allem in den USA, wo die meisten Käufer sitzen. Die großen Designer warfen ihre Billiglinien in die Geschäfte, öffneten neue Ketten, verkauften einen frischen Lebensentwurf.

200 neue Marken sind in den vergangenen zehn Jahren entstanden, behaupten die Fachleute. Levi's passte da nicht mehr rein. Das Management versagte, die Jeansläden wurden geschlossen, in den Kaufhäusern griffen die Leute nach Calvin Klein und Gap. Die Marke Levi's verkam, jetzt wird sie in den USA in der Billigkette Wal Mart angeboten und hat ihren Ruf verloren.

Zwar macht die Firma heute immer noch 4,2 Milliarden Dollar Umsatz, aber sie schiebt auch einen Schuldenberg von etwa 2,1 Milliarden Dollar vor sich her. Die Gewinne sind wieder gestiegen, gleichwohl haben die Rating-Agenturen die Kreditwürdigkeit herabgestuft. In manchen Wirtschaftsblättern wurde über die Insolvenz spekuliert.

1200 Einheiten am Tag

Ihren 150. Geburtstag wollte Levi Strauss in diesem Frühjahr so recht nicht feiern, zu düster waren die Aussichten. Und dann die Entlassungen, angekündigt im September: 1980 Mitarbeiter im Jubiläumsjahr für ganz Nordamerika - 1180 davon in Kanada, beispielsweise in Edmonton, Alberta. 800 verlieren ihren Job in San Antonio, Texas, der letzten Näherei für Dockers-Jeans, 501s und Silvertabs im Stammland USA.

1200 Einheiten habe sie am Tag geschafft, das müsse erst mal jemand nachmachen bei dieser Qualität, sagt Clara Flores. Man hätte sie doch weiter arbeiten lassen sollen, wenigstens der Marke und des Standorts wegen. 554 M steht auf der Rückseite des Knopfes, das ist der Fabrik-Stempel. 554 M ist San Antonio - Sammlerstücke von jetzt an. Sie hätten auch Reklamationen repariert, meint Clara Flores, von denen gebe es jetzt immer mehr, seitdem die Hosen in den Billigfabriken in Übersee gefertigt würden.

Ja, sie sagt tatsächlich Übersee, obwohl die nächsten Levi-Strauss-Fabriken gerade auf der anderen Seite der Grenze stehen. Denn dies ist die besondere Tragik der Levi's-Schließung in San Antonio.

Von den 800 Frauen sind mindestens 80 Prozent hispanischer Abstammung, also aus Mexiko oder Mittel- und Südamerika. Die meisten von ihnen sind Einwanderer der ersten Generation, das heißt, sie haben gerade mal eine Aufenthaltserlaubnis bekommen nach der Flucht vor der Armut, dem mühsamen Weg über die Grenze, hin zum neuen Wohlstand.

Und jetzt? Jetzt sind sie zwar in den USA angekommen, aber ihre Jobs wandern nach Süden, so wie die Fabriken des Levi Strauss und seiner Nachfahren zunächst durch die ganze USA bis in den billigen Süden des Landes gewandert sind, ehe das Management viel zu spät merkte, dass die Konkurrenz längst im noch billigeren Ausland fertigte.

Levi Strauss war immer geachtet für seine soziale Geschäftspolitik. Nach dem großen Erdbeben in San Francisco 1906 beschäftigte er die Arbeiter weiter, obwohl es nichts zu arbeiten gab.

Er wusste, dass er später keine guten Leute mehr finden würde. In San Antonio berichtet Clara Flores, dass sie bis zu 15 Dollar die Stunde bekommen hätten. Das wichtigste aber, sagt ihre Freundin Mariel Guttierrez, sei ihr die Krankenfürsorge gewesen: Kasse für Familie und Kinder bezahlt von der Firma. Außerdem gab es reichlich Urlaub, ein gutes Arbeitsklima, Sicherheit eben.

Mariel Guttierrez ist ebenfalls seit 24Jahren bei Levi Strauss, angefangen hat sie mit 20. Sie kommt aus dem mexikanischen Grenzgebiet, besucht nur noch gelegentlich die Verwandten und hat erst einmal Furcht vor der Zukunft.

Ihre Freundin Zuleima Duran will gar nicht darüber sprechen, und wenn, dann täte sie es auf Spanisch, weil sie wie viele Frauen in der Fabrik kein Englisch spricht. Einen Sprachkurs werde sie jetzt erst einmal besuchen. Dann wollen die Frauen Jobs suchen in der Medizinbranche oder in einem Anwaltsbüro - wenn sie denn den Computerkurs schaffen. Arbeitslosenschicksale.

Ihre Jobs werden dann in den Süden gewandert sein, dorthin also, wo die Frauen einmal hergekommen sind: Mexiko, Guatemala, irgendwo in die Karibik, nach Süd-Ost-Asien. Die Löhne sollen dort bis hinunter auf 32 Cent die Stunde gehen.

Auch Clara Flores ist ein Beispiel für die Arbeiterkarawane, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Norden aufgebrochen war und nun das bittere Ende ihres Weges erreicht zu haben scheint: Ihre Eltern schafften es in die Vereinigten Staaten, sie beackerten ein Feld in der Nähe von San Antonio.

Als es Clara Flores zu eng wurde, ging sie nach Florida, nur um wieder auf einer Plantage zu arbeiten. Dann zurück nach Texas, für 185 Dollar die Woche in der Fabrik, aber immerhin waren die Kinder mitversichert. In den USA, wo die Dritte Welt häufig gar nicht so weit ist, zählt das viel. "Levi's, das war eine Familie", sagt sie.

Die Frauen befürchten, dass sie in "dunkle Zeiten" zurückfallen werden. Ein Job in einer Arztpraxis oder einer Anwaltskanzlei - das ist möglicherweise ein frommer Wunsch. Die Realität sieht anders aus in San Antonio, wo der größte Arbeitgeber das Militär mit den Geiern ist und jetzt - Gott sei dank - Toyota eine kleine Produktion für Lastwagen erstellen wird.

Der zweitgrößte Arbeitgeber aber ist die Tourismusindustrie - in San Antonio steht die Alamo-Mission, der Schrein der texanischen Unabhängigkeit - und diese Industrie lockt mit Kellnerjobs oder Zimmermädchen-Offerten zum Mindestlohn.

Der Traum vom Wohnzimmer

"Erst verlierst du dein Auto, dann dein Haus und dann deine Würde", sagt Mariel Guttierrez. Wenn sie wissen möchte, wie das genau aussieht, dann muss sie nur zu den Chicanas der Fuerza Unida gehen, den Frauen der Näh- und Nachbarschafts-Kooperative am New Laredo Highway, dort wo San Antonio ganz arm ist.

Die Chicanas haben sich 1990 nach der letzten Levi's-Schließung in der Stadt zusammengetan. Zuerst kamen Hunderte, dann immer weniger. Heute sind nur noch ein paar Frauen, und über die üble Zeit der Werkschließung reden sie nicht mehr. Es gibt eine Suppenküche für die Armen, eine Lotterie, eine Nähecke für die Nachbarschaft; man hält sich so über Wasser. Für manche ist der Gemeinschaftsraum der Fuerza auch einfach nur ein besseres Wohnzimmer, weil zu Hause drei Generationen in zwei Räumen auf Schicht schlafen.

Levi Strauss wird jetzt von einem ehemaligen Pepsi-Manager geführt. Der versteht was von Marken und vom Verkaufen. In Paris, wo Levi's noch vom guten alten Ruf lebt, haben sie im Oktober einen Laden nur für Mädchen eröffnet. Er soll prima laufen, heißt es. Dies sei die Zukunft. Die 554 M wird es dort nicht mehr geben.

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