eBay:Verkaufen Sie Wasserbetten! Jetzt!

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Von der Resterampe zum Luxusbasar: Die Auktionsplattform "eBay" ist längst ein Geschäftsmodell für Profis.

Bernd Graff

Porsches gehen immer dienstags am besten. So um die Mittagszeit. Schlafsofas und Biedermeierliches hingegen donnerstags, nicht vor 22.30 Uhr.

"Halten Sie sich an diese Zeit, und richten Sie Ihr Geschäft danach aus!", hat der Antiquitätenhändler Alex Schaffer geraten. Allerdings verwirren die neuen Verkaufs-Peaks erheblich.

Ein vollbärtiger Herr im Trachtenjanker mault denn auch gleich: "Dienstags, donnerstags - und dann noch unterschiedliche Zeiten. Gilt denn die goldene Regel: Verkäufe - immer sonntags, 19 bis 22Uhr nicht mehr?"

Viele Fragen

Marion von Kuczkowski, von der die irritierenden Porsche-Zeiten ausgegeben wurden, bleibt ruhig. Immer noch ruhig, muss man besser sagen. Denn sie hat heute schon viele derartige Fragen beantwortet.

"Keine goldenen Regeln! Sie müssen Ihr Produkt und seine Klientel genau kennen. Da variieren die Bestverkaufszeiten. Analysieren Sie also Ihre Chancen, bevor Sie an den Markt gehen!" "Und wie?", fragt der Vollbart. "Googlen Sie Tracking-Tools!", bescheidet Schaffer bündig.

Unvorstellbar, dass jemand diesen Rat vor ein paar Jahren auch nur ansatzweise zu deuten gewusst hätte. Heute, vor diesem Publikum aber hat Schaffer gewissermaßen nur eine Binsenwahrheit formuliert.

Hier weiß fast jeder, dass Tracking-Tools das Verhalten von Nutzern auf einer Webseite protokollieren und dass sie über die Suchmaschine "Google" ausfindig gemacht werden können. Und nach solchen automatischen Spurensuchern fahndet, wer aus Wanderbewegungen im Netz Rückschlüsse auf mögliches Kaufverhalten ziehen möchte.

Zwischen Basar und Südkurve

Ein merkwürdiges Forum ist das: Unmittelbar hinter der Entbindungsstation des Klinikums Großhadern in München haben sich an die 450 Menschen zu einer Veranstaltung eingefunden, deren Stimmung zwischen Volkshochschule, Basar und Südkurve schwankt.

Sie haben 30 oder 60 Euro ausgegeben, um sich einen Tag lang in die Geheimnisse von eBay einweihen zu lassen. Es geht um die Finessen des Ver- und Ersteigerns im Internet - für Anfänger und Fortgeschrittene.

Die Veranstaltung nennt sich "eBay University" und Frau von Kuczkowski und Herr Schaffer sind Seminarleiter für einen Tag, zuständig für den Bereich "Powerselling". Die ehemalige Boutiquebesitzerin hat sogar ein Buch darüber geschrieben.

Beim "Powerselling" geht es darum, wie man über die Auktionsplattform Waren und Dienstleistungen in so großem Stil vertreibt, dass man damit seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Längst werden bei eBay ja nicht allein gebrauchte Sachen angeboten. Und in immer größerem Maße stehen die Waren auch nicht mehr zur Versteigerung, sondern zum Festpreis im Netz.

Eigene Kollektion

Frau von Kuczkowski etwa handelt inzwischen nicht mehr nur mit Kleidung, sondern auch mit Möbeln, Uhren und Schmuck, den sie in Dubai und Italien einkauft. Sie hat auch schon ihre eigene Kollektion entworfen. Und jetzt macht sie auch noch in Luxus-Autos. Ihre Kunden spricht sie übrigens längst nicht mehr nur über die deutsche, sondern auch über die amerikanische Webseite von eBay an, je nachdem, wo sie ihre Ware "einstellt".

Frau von Kuczkowski verkörpert die Ich-AG im Stadium ihrer Globalisierung. Und sie ist als Seminarleiterin so etwas wie eine Ziehmutter für diese zweite, etwas verhaltener auftretende Generation von Start-Ups, die über eBay längst mehr als nur die ollen Plutten aus der eigenen Garage vertitschen wollen.

"Verkaufen Sie Wasserbetten! Jetzt! Über Eintages-Auktionen. Funktioniert aber nicht mehr lange", rät die Mutter Courage dieses Marktes zum Schluss.

Und ihre Zauberlehrlinge schreiben artig mit - grübelnd, wie sie auf die Schnelle Wasserbetten einstellen sollen. In der Frankfurter Allgemeinen dozierte ein Professor jüngst, dass "eBay ein Symbol von Käufermacht" sei. Die Frankfurter Rundschau hingegen analysierte, dass "nicht der Kunde, sondern der Anbieter König bei eBay" sei.

Paradoxe Idee

Mit solch widersprüchlichen Attesten wird die Plattform leben können. Denn paradox ist schon die Idee einer "eBay Universität" selber: eBay muss man eigentlich kaum noch jemandem erklären. Die Website der Internet-Auktionsbörse ist die meistbesuchte in Deutschland.

16,72 Millionen Menschen klicken sich pro Monat dort ein - mehr als bei der Suchmaschine Google. 48 Millionen Artikel mit einem Handelsvolumen von mehr als 1,2 Milliarden Dollar wurden im letzten Quartal 2003 allein bei eBay-Deutschland zum Verkauf angeboten. Weltweit sind 85,5Millionen Nutzer angemeldet, mehr als Deutschland Einwohner zählt.

Und das Geschäft mit den Geschäften wächst. Sogar noch schneller als geplant. Der Weihnachtshandel etwa hat die Prognosen übertroffen: Statt der angekündigten 590 Millionen Dollar setzte eBay weltweit 648 Millionen Dollar um, 57 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Der Nettogewinn stieg um 64 Prozent auf 142,5 Millionen Dollar. Allein im letzten Quartal, versteht sich. Bei solchen Wachstumsschüben kann einem schwindelig werden.

Nebel des Virtuellen

Kein Wunder, dass viele hier ihre Chance wittern. Angeblich leben in Deutschland bereits mehr als 10.000 Menschen von den Transaktionsgeschäften, die sie über eBay abwickeln. Einer von ihnen ist Gerry Haag. Der Ex-Amazon-Manager hat in München die Verkaufsagentur "Dropshop" eröffnet.

Sie übernimmt gegen Provision Verkauf und Abwicklung des Online-Handels für diejenigen, die keine Lust oder keine Zeit oder einfach nur keinen Computer haben, um selber bei eBay anzutreten. Haag ist im Nebel des Virtuellen so etwas wie der Herr der Dinge, und sein Laden ist so etwas wie die Asservatenkammer des Konsumismus.

Stets prall gefüllt mit dem angeschwemmten Strandgut vergangener Moden und Trends: Klamotten, Geräte, Antiquitäten, antiquarische Bücher und der Tand vergangener Zeiten. Alles penibel indiziert, katalogisiert und kategorisiert. Und doch sind seine Lager so quietschbunt wie das eBay-Logo. Haag prüft das Auktionsgut vor Ort und ermittelt über Datenbankrecherchen den Erlös, den es mutmaßlich erzielen wird.

Er nimmt nicht alles. Es würde den Aufwand nicht lohnen. Klar, dass er expandieren will und wird. Aber er sagt auch, dass sein Geschäft nur über einen langfristig aufgestellten Business-Plan und erhebliche Anschub-Investitionen (etwa in die Logistik-Software "Tamri") an den Start gehen konnte. Denn: "eBay funktioniert, solange die Leute Zeug im Keller haben", meint Haag.

eBay für Anfänger

Zurück in den Hörsaal. Diesmal eBay für Anfänger. Keine Überraschung: Auch hier sitzen keine Anfänger. Durch die Bank kaufen und verkaufen die Teilnehmer bereits systematisch übers Netz. Es sind genauso viele Frauen wie Männer im Alter zwischen 30 und 55 Jahren. Menschen, wie man sie in jeder Einkaufszone trifft.

Die Seminarleiterin hier ist eine Angestellte des Unternehmens. Sie sprudelt Basiswissen ihres Internethandels munter herunter: In 28 Ländern ist man am Markt. Angefangen hat es 1995 mit einem kleinen "Progrämmchen", das Firmen-Gründer Pierre Omidyar angeblich nur für seine Frau geschrieben hat. "Heute spendet er 90 Prozent seiner Einkünfte wohltätigen Zwecken." -

"Nun machen Sie das hier mal nicht zu einer Charity-Veranstaltung", ruft ein Teilnehmer. Er will, was vielen anderen auch auf den Nägeln brennt, lieber über das "System der Bewertungen" statt über Gutmenschen sprechen. Ein heikles Thema. Eines, das tief ins Mark dieses Geschäftsmodells eindringt.

Gezielter Dialog

Streng genommen ist eBay ja kein Marktplatz, sondern eine Plattform für eine hochgradig differenzierte Kommunikation: Die Site ermöglicht lediglich den gezielten Dialog über den Austausch von Waren - nicht aber diesen Austausch selber. Die Flohmarktvergleiche (etwa im Focus: "Größter Basar der Welt") hinken.

Denn verhandelt werden virtuelle Repräsentationen von virtuellen Repräsentanten. Alle sinnlichen Aspekte des Kaufens und Verkaufens fehlen. Ein nicht unerhebliches Manko, das durch Vertrauen kompensiert werden muss.

Vertrauen darauf, dass die im Internet lediglich bezeichnete Ware in der Wirklichkeit ihrer eBay-Imago entspricht. Und dass ein Verkäufer, der ja seine Bezahlung in Vorleistung vor dem Warenversand erhält, nach dem Verkauf auch tatsächlich noch identifiziert werden und eventuell haftbar gemacht werden kann.

Gehe zurück auf Los!

Darum hat eBay frühzeitig eben jenes Bewertungssystem installiert, bei dem sich Käufer und Verkäufer nach jedem Handel bestätigen, wie das Verfahren aus jeweiliger Sicht abgelaufen ist: Gut, zufriedenstellend oder negativ.

Da jedem eBay-Angebot die Liste der bisherigen Verkäuferbewertungen mitgegeben ist, folglich jeder Kunde einsehen kann, wie ein Händler bislang auf dem virtuellen Markt agierte, kann ein guter Ruf die Abwesenheit sinnlicher Erfahrung leidlich wettmachen.

Umgekehrt kann aber eine schlechte Bewertung die Reputation eines Händlers nachhaltig schädigen. Und darüber will eben nicht nur der Anfängerkreis debattieren, in dem manch einer mit schon über 800 solcher Bewertungen sitzt. Das beschäftigt auch die Fortgeschrittenen, die auf dem Weg zum "Powerseller" sind.

Neu etabliert

Denn, so die Klage, so genanntes Rache-Feedback, eine absichtlich schlechte Bewertung also, kann für den Verkäufer das Aus bedeuten. So etwas lässt sich auch mit den guten Worten Anderer nicht mehr tilgen. Seminarleiter Schaffer berichtet, dass er deshalb schon einmal seinen eBay-Account aufgegeben hat und sich unter anderem Namen wieder neu etablieren musste.

Denn mit einer Umtaufe wird ja nicht nur der Makel, sondern auch alles Lob getilgt. Damit aber hatte Schaffer seinen Nimbus als professioneller Händler verloren. "Gehe zurück auf Los!", heißt das. Denn: Wer kauft schon für gutes Geld Biedermeier bei einem No Name?

© SZ v. 3.2.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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