Dreamliner:Boeings riskante Kalkulation

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In der Luftfahrt tobt ein Kampf um die Marktführerschaft — Boeing, im Vorjahr erstmals von Airbus überrundet, geht dabei Risiken ein wie schon seit über 30 Jahren nicht mehr. Der Sparflieger "Dreamliner" soll den Konzern aus der Krise retten.

Von Udo Hoffmann

Es war in den 60er Jahren, als bei Boeing alles gewagt wurde. Tausende von Ingenieuren, intern nur die "Incredibles" genannt, die Unglaublichen, arbeiteten an einem Mammutprojekt namens Boeing 747, dem Jumbo-Jet. Die Konkurrenten von Douglas hatten mit der erfolgreich verlängerten DC8 einen großen Wurf getan, Boeing war unter Zugzwang.

Das Projekt wurde derart groß und kostenintensiv, dass ein Misslingen wohl das Ende des Unternehmens bedeutet hätte. Doch das Wagnis gelang - und der Jumbo Jet zementierte auf Jahrzehnte die Vormachtstellung von Boeing in der Luftfahrt.

Geschichte wiederholt sich

Es war gegen Ende 2003, als man bei Boeing wieder viel wagen musste. Tausende von Ingenieuren begannen mit der Arbeit an einem Mammutprojekt namens Boeing 7E7, dem Dreamliner. Die Konkurrenten von Airbus hatten bereits etliche erfolgreiche Würfe getan und drohten, mit dem A380 ein Großraumflugzeug zu bauen, das erstmals den Jumbo Jet überflügen würde; Boeing war unter Zugzwang.

Europäischer Emporkömmling

Denn Airbus hatte Schritt für Schritt die dominierende Stellung von Boeing unterminiert - mit dem Airbus 320 zum Beispiel. Es war zur Markteinführung das modernste zivile Großraum-Flugzeug der Welt. Oder mit dem A330, eine nur wenig kleinere und sparsamere Abart der Boeing 747, versehen mit der modernen Technik des A320.

Nun soll im Jahr 2006 der Airbus A380 in Dienst gestellt werden - ein Riesenvogel, durchgehend doppelstöckig, mit Platz für 550 Passagiere. Selbst die Aufnahme von bis zu 850 Passagiere soll im Extremfall denkbar sein. Und natürlich wird der A380 moderner und effektiver als der schon mehr als 30 Jahre alte Jumbo Jet.

Boeing bekam den Einbruch in das bisherige Monopol für Flugzeuge mit mehr als 400 Passagieren denn auch schon zu spüren — im letzten Jahr verkauften die Amerikaner nur noch drei Jumbo-Jets. Für das Unternehmen ist das fatal: in manchen Zeiten soll der Jumbo Experten zufolge mehr als 80 Prozent des Boeing-Gewinns eingeflogen haben.

Die neue Hoffnung 7E7

Warum ist die 7E7 für die Amerikaner so wichtig? Sie repräsentiert bereits den 3. Versuch von Boeing, mit einem neuentwickelten Flugzeug dem europäischen Konkurrenten Airbus zu trotzen. Die ersten beiden Versuche scheiterten relativ kläglich.

Zuerst hatte Boeing sich an einer extragroßen Variante seines Jumbos 747 versucht, der 747X. Dieser Plan wurde jedoch Anfang 2001 fürs erste aufgegeben, da sich kein Käufer fand.

Danach setzte Boeing auf die Idee eines nahezu schallschnellen Passagierflugzeugs, dem Sonic Cruiser. Aufgrund der mit dem 11. September 2001 einsetzenden Krise und den damit verbundenen Gewinneinbrüchen war jedoch keine Fluglinie mehr bereit, dieses nach dem Rückzug der Concorde schnellste, aber auch sehr unökonomische Passagier-Flugzeug zu bestellen.

Also entwickelt man in die entgegengesetzte Richtung: Die 7E7 soll ein "Super Efficient Airplane" sein, bis zu 20 Prozent sparsamer als die modernsten Flugzeuge der Konkurrenz. Ermöglicht wird dies durch neuentwickelte Triebwerke und vor allem durch Gewichtsersparnis beim Flugzeugrumpf.

Tempo um jeden Preis

Und nachdem sich Boeing nun entschieden hat, den Bau zu schultern, wird alles getan, um die 7E7 so schnell wie möglich auf den Markt zu bringen. Ursprünglich hieß es, der Dreamliner solle erst 2008 auf den Markt kommen, doch mittlerweile wird auch das Jahr 2006 für denkbar gehalten. Das wäre das gleiche Jahr, in dem auch der A380 ausgeliefert werden soll.

Die Zusammenarbeit mit dem Ausland ist diesmal groß. Die Simulations-Software bestellte man bei einem französischen Unternehmen, 35 Prozent der 7E7 werden in Japan produziert, vor allem Rumpf und Tragflächen, aber auch die italienische Finmeccania SpA's Alenia ist beteiligt.

Der Versuch, die Zeit bis zur Markteinführung zu verkürzen, erhöht natürlich auch die Entwicklungskosten - sie liegen laut Schätzungen zwischen acht und zehn Milliarden US-Dollar und somit nicht weit unter denen des Airbus A380, die auf elf Milliarden Dollar veranschlagt werden.

Die 7E7 und die Folgen

Doch Boeing ist es die Sache wert — die Amerikaner vermuten die Zukunft der Luftfahrt nicht nur auf einigen wenigen Hauptstrecken, auf denen immer größere Passagiervorkommen verkehren, sondern auch auf zahlreichen Nebenrouten mit weniger hohen Passagierzahlen. Und hier hätte die 7E7, die sowohl bei den Anschaffungs- als auch bei den Betriebskosten günster sein soll und etwa 200 Sitzplätze haben wird, den entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

Bei Airbus aber wird das Projekt der Amerikaner schon seit geraumer Zeit genau beobachtet — und die Überlegenheit der 7E7 bezweifelt. "Wir sehen keine Vorteile durch das Boeing 7E7-Modell für die Luftfahrindustrie", sagte ein Airbus-Sprecher am Firmensitz in Toulouse. Das neue US-Modell sei nichts weiter als eine Kopie des Airbus-Modells A330-200, das bereits seit fünf Jahren im Einsatz ist.

"Die Kalkulation von Boeing ist riskant, weil der 7E7 kein echter Quantensprung wird, sondern allenfalls wenige Prozentpunkte günstiger als der A330-200 fliegt", meinte ein Airbus-Manager. Doch auch der Jumbo-Jet wurde damals von der Konkurrenz belächelt — und nichtsdestotrotz zum größten Erfolg in der Geschichte der kommerziellen Luftfahrt.

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