Do-It-Yourself:Mit ganz viel Liebe

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Vor genau zehn Jahren hat Claudia Helming Dawanda gegründet, mittlerweile Europas größtes Bastel-Portal. Zeit für einen Besuch in Berlin.

Von Sophie Burfeind

Basteln. Sie mochte es noch nie, aber als sie es dann mal wieder tun musste, war sie wenigstens alt genug, um dabei Wodka zu trinken. Kurz vor Weihnachten war das, Claudia Helming war gerade beruflich in Moskau, sie wollte ihrer Familie etwas mitbringen, was es nur dort gab. Es gab aber nur dieselben Sowjetabzeichen wie in Deutschland, nur denselben Schnaps. Also kaufte sie unbemalte Matroschka-Puppen, um sie anzumalen. Vielleicht lag es am Wodka, vielleicht auch nicht. Jedenfalls sahen am Ende die Puppen so aus, dass Helming sie lieber nicht verschenken wollte.

All das wäre nicht der Rede wert, wenn Claudia Helming, 42, heute nicht die Chefin von Dawanda wäre, von Europas größtem Bastelimperium. Bei Dawanda gibt es Selbstgemachtes und alles zum Selbermachen - und das ist so angesagt wie nie. Das amerikanische Vorbild Etsy ist mehr als eine Milliarde US-Dollar wert und sogar Amazon verkauft jetzt Handgemachtes.

Am Anfang waren es 250 Verkäufer, mittlerweile sind es 380 000 aus ganz Europa

Ziemlich genau elf Jahre später sitzt Helming in einem Raum mit kunstvoll beklecksten Wänden in einem Hinterhof in Charlottenburg. Sie trägt einen schwarz-weißen Wollpullover, selbstgestrickt, aber nicht von ihr: ein kleines Detail von großer Bedeutung. Denn hätte sie damals malen und stricken können, hätte es natürlich auch Dawanda nicht gebraucht.

Noch am selben Winterabend in Moskau beschlossen Claudia Helming und ihr damaliger Kollege Michael Pütz, der mit ihr die Puppen bemalte, ein Unternehmen zu gründen. Ein Jahr später war Dawanda online, die erste Internetplattform für Handgemachtes in Deutschland. "Wir dachten, es gibt so viele Künstler und Kreative, die tolle Sachen machen, nur kennt sie keiner", sagt Helming. Das wollten sie ändern.

Das haben sie dann auch, und weil man in Charlottenburg gerade ziemlich in Geburtstagsstimmung ist, feiert man nicht nur die eigenen Produkte, sondern vor allem die eigenen Zahlen: Vor zehn Jahren waren es 250 Verkäufer aus Deutschland, heute sind es 380 000 aus ganz Europa. Sechs Millionen Produkte im Angebot, 140 Millionen Euro Warenumsatz, alle 20 Sekunden wird ein Schmuckstück verkauft, alle 30 Sekunden etwas für Babys. Helming zählt zu den erfolgreichsten Gründerinnen Europas.

Seit September 2012 hat Dawanda einen Offline-Laden in Berlin. (Foto: PR)

Die Geschichte von Dawanda, das ist Claudia Helmings Geschichte, aber vor allem die Geschichte über Sehnsüchte einer Gesellschaft - und natürlich geht es dabei um Liebe.

Liebe, so lautet nämlich die Botschaft, mit der Dawanda wirbt. "Products with love", dazu ein kleines weißes Herzchen auf rotem Grund. Mit diesem Herz sollten vor allem Frauen angesprochen werden, sagt Helming. "Außerdem kommt diese Liebe natürlich von den Verkäufern. Es sind keine industriell gefertigten Produkte ohne emotionalen Mehrwert, da steckt Leidenschaft dahinter." Man wisse, wer sie gemacht habe - im Gegensatz zur Massenware aus Kaufhäusern.

Selbstgemacht meint also: mit Liebe gemacht. Allgemeiner formuliert, sind es persönliche Produkte in einer Welt, die vielen zu unpersönlich geworden ist. Dinge zum Anfassen in einer Welt, in der kaum jemand noch etwas produziert, was er hinterher anfassen kann. Die Sehnsucht nach Handfestem im Digitalisierungsrausch, nach Entschleunigung in einer sich beschleunigenden Welt: Das sind die Gründe, warum Dawanda so erfolgreich werden konnte. Wie lautet noch mal das Mantra der "Do-It-Yourself"-Bewegung? Wenn du dich selbst finden willst, mach Yoga, häkel eine Mütze oder mix dir einen Smoothie.

"Früher entstand das Selbermachen aus einer Notwendigkeit heraus, weil es etwas nicht zu kaufen gab", sagt Helming, "heute macht man das, um seine Kreativität auszuleben, für das meditative Versinken." Früher nähten Frauen, um Geld zu sparen, heute nähen sie, wenn sie individuell sein wollen. Vor zehn Jahren war Stricken etwas für Großmütter, heute ist es etwas für Frauen ab 20.

Das Geschäftsmodell des Berliner Start-ups sieht grundsätzlich so aus: Dawanda verlangt pro eingestelltem Artikel 10 bis 30 Cent Provision und fünf Prozent vom Verkaufspreis. Verkauft wird jetzt aber auch das Material zum Basteln oder Bücher mit Anleitungen. In einem eigenen Café-Laden finden Handarbeitskurse und Kinoabende statt. Dort hängen Kunstdrucke an den Wänden, man sieht Kork-Rucksäcke, Mini-Kakteen in Mini-Gewächshäusern und selbstdesignte Stoffsessel.

Claudia Helming: "Wir dachten, es gibt so viele Künstler und Kreative, die tolle Sachen machen, nur kennt sie keiner." (Foto: PR)

Lauter schöne Dinge also. Aber an ihnen gibt es auch Kritik. Dass sich hinter all dieser Liebe gar nicht mehr so viel Liebe verbirgt. Bei Dawanda verkaufen zunehmend Profis mit eigenen Firmen, die ihre Produktion manchmal ins Ausland verlagern. Manche Mitglieder sagen, dass sie so gar keine Chance mehr haben, Geld zu verdienen, was trotzdem fast 400 000 Menschen nicht davon abhält, Dawanda als Verkaufsplattform zu nutzen.

Menschen heißt in diesem Fall vor allem Frauen. Darunter überwiegend Mütter. Viele fangen in der Babypause mit dem Handarbeiten an, sagt Helming, und machen sich dann mit einem Shop selbstständig. Aber ist das nicht rückschrittlich, Frauen, die von Handarbeit leben? Helming ärgert das, sie fragt: "Ist es fortschrittlicher, wenn eine Frau nach der Babypause in ihre alte Position zurückkehrt und die weitere 20 Jahre hat?" Sich selbständig zu machen, findet sie eindeutig mutiger.

Aber sie kennt diese Vorbehalte ja selbst lange genug. Sie, eine Gründerin Anfang 30, die mit einem Frauenthema männliche Investoren überzeugen wollte - und dann mit Nähen und Stricken, ausgerechnet. Heute glaubt sie: "Vielleicht wäre es einfacher gewesen, hätte sich die männliche Welt besser damit identifizieren können." Mittlerweile sind auch die Investoren, meistens Männer, überzeugt.

Claudia Helming mag all diese schönen Dinge heute noch viel mehr als früher. Nur eines hat sich seit jenem Dezemberabend in Moskau wirklich nicht verändert: Sie bastelt immer noch nicht gerne. Ihre fehle die Geduld, sagt sie, zur Entspannung lese sie lieber ein Buch oder arbeite im Garten - eine Blume muss man ja nicht anmalen. Gott sei Dank.

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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