Diktatur der Willkür:Putin schafft Unordnung

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Putin will in seinem Riesenreich zwar Stabilität und Ordnung wiederherstellen, aber er tut dies nach den Linien seines eigenen, ganz persönlichen Koordinatensystems. Und dies birgt eine ernste Gefahr für den Standort Russland. Ein Kommentar von Frank Nienhuysen.

Von Frank Nienhuysen

Boris Jelzin hat in seiner langen Amtszeit viele Äußerungen gemacht, die erratisch waren, einen Satz aber haben in Russland alle verstanden: "Nehmt so viel Freiheit, wie ihr könnt."

Putin aber straft die politisch Ambitionierten und streichelt die Demütigen. Foto: AP (Foto: N/A)

Vor allem eine Riege wilder Jungkapitalisten hat Jelzins Empfehlung ziemlich wörtlich genommen und somit die Renaissance eines verloren geglaubten Begriffes heraufbeschworen: den des Oligarchen.

Filetstücke für die Oligarchen

Jelzin hat in den neunziger Jahren ohne Not und ohne Gegenleistung, auch ohne Verstand, den hungrigen Oligarchen die Filetstücke der russischen Industrie überlassen.

Sein Nachfolger Wladimir Putin will das nun korrigieren, mit der ganzen Gewalt des Staates. Der russische Präsident pflegt dabei unermüdlich sein Credo von der "Diktatur des Rechts", aber der unbarmherzige Umgang mit dem zweitgrößten nationalen Ölkonzern Yukos zeigt:

Ernste Gefahr für Standort Russland

Putin will in seinem Riesenreich zwar Stabilität und Ordnung wiederherstellen, aber er tut dies nach den Linien seines eigenen, ganz persönlichen Koordinatensystems. Und dies birgt eine ernste Gefahr für den Standort Russland.

Zweifellos kann der Kremlchef derzeit aus einer Position der Stärke heraus das Geschehen lenken. Nie zuvor hat Russland so viel Erdöl produziert wie im vergangenen Jahr; der hohe Marktpreis und eine gemäßigte Ausgabenpolitik haben zu guten Wachstumsraten geführt.

Wichtige Staaten, Deutschland als größter Außenhandelspartner voran, setzen weiterhin auf den russischen Markt. Das wurde auch beim Besuch des Bundeskanzlers in Moskau deutlich.

Diktatur der Willkür

Deutsche Unternehmen sind dort fest verankert und werden diese Position so schnell nicht aufgeben. Trotz Yukos. Denn niemand muss annehmen, dass Putin die gesamte Privatisierung wieder zurücknehmen will.

Er hat dies mehrmals betont, und in diesem Fall darf man ihm durchaus glauben. Der Präsident, der stolz war, als seinem Land offiziell das Attribut einer Marktwirtschaft zuerkannt wurde, kämpft weiter um ausländische Investitionen.

Er begehrt die Mitgliedschaft Russlands in der Welthandelsorganisation. Und dennoch: Putins autoritärer Staat schafft nicht Ordnung, er schafft Unordnung. Und er praktiziert auch nicht die Diktatur des Rechts, sondern die Diktatur der Willkür.

Der Staat hat ein verständliches Interesse, ihm zustehende Steuern einzufordern. Doch während er mit brachialer Gewalt gegen den Yukos-Konzern und seinen Chef Michail Chodorkowskij vorgeht, ist von einer Zerschlagung anderer säumiger Großkonzerne der Ölbranche keine Rede.

Krise im Bankensystem

Ein weiteres Beispiel ist die neue Krise, die derzeit die russischen Banken durchleben. Wegen angeblicher Verstöße gegen das Geldwäschegesetz entzog die Zentralbank zuletzt zwei privaten Kreditinstituten die Lizenz — und damit dem ganzen Privatsektor das Vertrauen, natürlich zu Gunsten der staatlichen Banken.

All dies schürt Misstrauen — auch im Ausland. Wenn die Politik und die in Russland von ihr abhängige Justiz jederzeit nach eigenem Gutdünken in den Wirtschaftsprozess eingreifen können, fehlt diesem die Berechenbarkeit.

Putin streichelt die Demütigen

Dies könnte sich noch rächen. Der Ostausschusses der deutschen Wirtschaft warnte im Fall Yukos bereits vor einem "Schock für die Märkte", und die Weltbank sprach von einer "augenfälligen Verschlechterung des Investitionsklimas" und mahnte Rechtssicherheit an.

Putin sollte diese Zeichen erkennen. Stark ist der Staat dann, wenn er klare, einheitliche Regeln schafft, wenn er Maße vorgibt, an denen sich alle gleichermaßen orientieren können, wenn er erfolgreich die in Russland noch immer wuchernde Korruption, Bürokratie und Günstlingswirtschaft beschneidet. Putin aber straft die politisch Ambitionierten und streichelt die Demütigen.

Ein Beispiel? Wiktor Wekselberg, ebenfalls ein Oligarch, kaufte kürzlich für hundert Millionen Dollar aus den USA neun Fabergé-Eier nebst anderen wertvollen Kunstgütern der Zarenzeit zurück, legte sie in den Schoß des russischen Staates und mehrt damit die Chance, von Kalaschnikow-behängten Steuerbeamten in Ruhe gelassen zu werden. Patriotismus zahlt sich in Russland aus.

Patronagewirtschaft

Diese Schieflage könnte in einem gesunden Staat wieder ins Lot gebracht werden, doch dazu bräuchte es ein wirksames Korrektiv zu Putins Patronagewirtschaft.

Dies könnten Medien sein, Gewerkschaften, eine aufbegehrende Bürgergesellschaft. Genau deren Einfluss aber wird vom Kreml mit falsch verstandener Staatsgewalt bekämpft.

So sichert sich Putin den heimischen Beifall, wenn er etwa den verunglimpften Yukos-Konzern in die Insolvenz treibt — und verschweigt, dass Yukos in Russland neue Maßstäbe gesetzt hat.

Mit modernem Management, transparenten Bilanzen — und nicht zuletzt mit dem vernünftigen Vorstoß, eine eigene Pipeline zu bauen, um Öl in das strategisch wichtige China zu pumpen.

Wenn Putin sein Land wirklich sanieren will, muss er in der Tat Ordnung schaffen - und zwar auch in der Justiz, die bis heute wie ein verlängerter Arm des Kremls fungiert.

Ein Erhalt des Yukos-Konzerns wäre noch immer möglich. Er könnte den im Westen angeschlagenen Ruf Putins retten - und vielleicht sogar das Vertrauen der Wirtschaft in den Standort Russland.

© SZ vom 09. Juli 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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