Die Supermacht und das teure Benzin:Im Land der Spritschlucker

Lesezeit: 5 min

Für die Amerikaner beginnt sich ihre jahrzehntelange sorglose Energiepolitik zu rächen - aber auf ihre Großraumlimousinen wollen sie nicht verzichten.

Andreas Oldag

Bei den Simons hängt der Haussegen schief. Die kleine Jennifer will partout nicht verstehen, warum sie statt zweimal nur noch einmal pro Woche zum Reitunterricht darf. Doch ihre 39-jährige Mutter Rebecca Simons bleibt unnachgiebig. "Wir müssen Geld sparen. Das Benzin ist zu teuer", sagt sie.

Ein Tankstellen-Angestellter in Michigan korrigiert den Preis für Benzin nach einer einmaligen Rabatt-Aktion wieder nach oben. Einen Morgen lang kostete an seiner Tankstelle Benzin 2,35 Dollar statt 2,85 Dollar. Autofahrer standen über drei Meilen im Stau um an den günstigeren Sprit zu kommen. (Foto: Foto: Reuters)

Die alleinerziehende Mutter wohnt mit ihrer achtjährigen Tochter in White Plains, einer Stadt nördlich von New York. Bisher war es für die Sekretärin mit dem Halbtagsjob bei einer Bank in Manhattan eine Selbstverständlichkeit, ihr Kind zweimal pro Woche 80 Kilometer in das Hudson Tal zu einer Farm zu fahren, die Ponyreiten anbietet.

"Der macht mich arm"

Doch seit die Benzinpreise in den USA innerhalb eines Jahres um 70 Prozent auf mehr als drei Dollar pro Gallone (3,8 Liter) nach oben geschnellt sind, muss Rebecca Simons schärfer kalkulieren. Auch bei den für viele Amerikaner zur Gewohnheit gewordenen Autofahrten zu diversen Shopping-Centern auf der Grünen Wiese hält sich Simons neuerdings zurück.

Sie fährt einen 15 Jahre alten Jeep Cherokee, der auf 100 Kilometer 20 Liter Benzin verbraucht. "Der macht mich arm. Die Tankstellenrechnungen haben meine Kreditkarte in die Miesen gebracht", klagt Simons. Sie würde sich gerne ein neues, sparsameres Auto kaufen. Doch dafür reicht das Geld nicht.

In einem Land, wo öffentlicher Nahverkehr ein Fremdwort ist und wo die eigenen vier Räder als Quasi-Geburtsrecht gelten, sind die hohen Benzinpreise eine nationale Katastrophe. Weltweit rollt jedes vierte Auto über US-Straßen - insgesamt sind es 128 Millionen Wagen. Sie fahren nicht gerade sparsam.

Öffentlicher Aufreger

Ein Mittelklassewagen in den USA verbraucht im Schnitt 11,7 Liter pro 100 Kilometer. In Deutschland sind es bei Neuwagen weniger als sieben Liter. Zudem pflegen Amerikaner ihre Liebe zu vierradgetriebenen Großraumlimousinen, den Sport Utility Vehicles (SUV), die im Stadtverkehr locker 20 Liter schlucken.

Statistisch gesehen fahren Amerikaner mehr als 9000 Kilometer pro Jahr zwischen Arbeitsstelle und Wohnort. Pendler sitzen im Schnitt hundert Stunden pro Jahr im Auto - das ist länger als jene zwei Wochen Urlaub, die ihnen jährlich zustehen. 500 Gallonen Benzin braucht jeder US-Bürger im Jahr für sein Auto.

Ob in New York, Atlanta oder San Francisco - es gibt in den USA kaum ein anderes Thema, das die Menschen derzeit mehr aufregt als die Kraftstoffpreise. Die großen Fernsehsender wie Fox, NBC und CNN zeigen täglich Bilder von Tankstellen, die ihre Preistafeln wieder ausgetauscht haben. Sie stehen für die Fieberkurven einer Autofahrernation, die nur noch eine Richtung zu kennen scheinen: nach oben.

Benzinwut

"Was wird diesem Land zugemutet?", stöhnte der konservative CNN-Kommentator Lou Dobbs in seiner täglichen Politik- und Wirtschaftsshow "Lou Dobbs Tonight". Eine "Benzinwut" diagnostizierte das Boulevardblatt New York Post. Im Land der Spritschlucker brodelt es. "Yeah, das Ganze hat ein Loch in mein Budget gerissen", klagte Jamie Dillon in der Zeitung US-Today. Der 23-jährige College-Student aus Wisconsin, der einen grauen Buick Century aus dem Jahre 1989 fährt, muss für jede Tankfüllung statt 28 jetzt 42 Dollar bezahlen.

So richten die Amerikaner sich notgedrungen darauf ein, an anderen Ecken und Enden zu sparen. Bart Spencer aus Bloomington im Bundesstaat Illinois legte für seine Personalmanagement-Firma oft 900 Kilometer am Tag zurück. Nun hat er in Computersoftware investiert, und trifft Klienten virtuell. "Bei diesen Benzinpreisen muss das reichen", sagt Spencer. Michael Tamraz aus Saylorsburg in Pennsylvania hat einen Job in Manhattan. 130 Kilometer fährt er täglich pro Strecke. Um zu sparen, hat er Ausflüge mit den Kindern gestrichen, beklagt er sich in der Zeitung Times News.

Sogar die großen politischen Streitthemen wie der Irak-Krieg und die Protestaktionen der illegalen Immigranten in amerikanischen Städten rücken für viele Amerikaner in den Hintergrund. Denn beim Sprit geht es ums eigene Geld. Da hilft es kaum weiter, wenn besonnene Kommentatoren darauf hinweisen, dass die Amerikaner im Vergleich zu Europäern immer noch zum Schnäppchenpreis tanken.

Süchtig nach Öl

Denn umgerechnet kostet der Liter Benzin in den USA etwa 64 Euro-Cent, und die Benzinsteuern liegen bei umgerechnet zehn Euro-Cent pro Liter. Inflationsbereinigt hätten die US-Spritpreise noch lange nicht ihren historischen Gipfel von 1981 erreicht, rechnen Volkswirte vor. Nach heutigen Preisen hätten die Amerikaner damals 3,18 Dollar je Gallone zahlen müssen.

Doch sogar schon der konservative US-Präsident George W. Bush, der sich ansonsten um Umweltpolitik und Energiesparen nicht gerade intensiv kümmert, spricht davon, die USA seien "süchtig" nach Öl. Da führen schon kleine Entzugserscheinungen beim Stoff, der die weltgrößte Volkswirtschaft am Laufen hält, dazu, dass die Schmerzgrenze schnell überschritten ist. So erreicht die Welle der Empörung auch das politische Washington, wo ein heftiger Streit über die Energiepolitik entbrannt ist.

Die jüngsten Preissteigerungen seien "Sargnägel" für die Republikaner bei den Kongresswahlen im Herbst, wetterte New Yorks demokratischer Senator Charles Schumer. Das wollen sich die regierenden Konservativen jedoch nicht bieten lassen.

Finanzielles Trostpflaster

Umgehend trat der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Bill Frist, im frühlingshaften Washington vor die Fernsehkameras und zauberte einen ganz neuen Vorschlag aus dem Hut: Jeder Amerikaner soll einen Scheck in Höhe von hundert Dollar von der Regierung erhalten, verriet der Bush-Vertraute mit gönnerischer Miene. Gewissermaßen ein finanzielles Trostpflaster für die erlittenen Qualen an der Zapfsäule.

Nur: Diese Großzügigkeit kommt bei Teilen des Volkes gar nicht gut an. Seit Tagen sieht sich Frist wüster Beschimpfungen im Internet ausgesetzt. "Wir Amerikaner sind doch keine Huren, die man mit ein paar Dollars abspeist", schimpft Eric Waltz aus New York in seinem Web-Tagebuch. "Die Politiker haben komplett versagt. Jetzt müssen die Verbraucher die Suppe auslöffeln", meint Jim McDonald aus Chicago.

So stöhnen und löhnen die amerikanischen Autofahrer weiter. Der Benzinverbrauch sinkt nicht. Höchstens der Anstieg verlangsamt sich. Im März wurde nach Angaben des Energieministeriums 0,8 Prozent mehr Benzin gekauft als vor einem Jahr. Die Steigerung lag schon bei 1,5 Prozent. Ein schwacher Trost.

Täglich 20 Millionen Barrel

Denn für die Amerikaner rächt sich jetzt jene sorglose Energiepolitik, die in den vergangenen Jahrzehnten darauf baute, dass schwarzes Gold unbegrenzt aus der Erde sprudelt. Das Land verbraucht täglich 20 Millionen Barrel Öl (ein Barrel sind 159 Liter) oder fast ein Viertel des globalen Konsums. Fast die Hälfte entfällt auf Treibstoffe. Damit beanspruchen die USA mit nur sechs Prozent der Weltbevölkerung fast die Hälfte des Treibstoffverbrauchs für sich.

Nach Meinung von Volkswirten haben sich die Koordinaten am internationalen Ölmarkt jedoch geändert. Die stark wachsende Weltwirtschaft treibt den Bedarf nach oben. Vor allem Schwellenländer wie Indien und China brauchen mehr Öl. Die kommunistische Volksrepublik ist schon der zweitgrößte Ölkonsument nach den USA.

Ferner spielt die Furcht vor Versorgungsengpässen, vor allem infolge der Iran-Krise, eine zentrale Rolle. Kritiker machen jedoch auch die internationalen Ölkonzerne für die Krise mitverantwortlich, welche die teure Erschließung neuer Erdölreserven in den vergangenen Jahren vernachlässigt haben, um dadurch ihre exorbitanten Gewinne nicht zu schmälern.

Gefährliches Monopoly

"Es ist ein Monopoly, das für die amerikanische Wirtschaft gefährlicher ist als zu Rockefellers Zeiten", warnt der US-Unternehmer Jon Meade Huntsman in Anspielung auf die skrupellosen Ölgeschäfte des Tycoons John D. Rockefeller im 19. Jahrhundert. Huntsman gilt als einer der schärfsten Kritiker der Ölkonzerne und prophezeit der US-Wirtschaft eine düstere Zukunft, wenn es nicht gelingt, die Branche zu mehr Investitionen zu bewegen.

Iran-Krise, Verknappung der Erdölreserven, künftige Erwartungen - alle diese Faktoren spiegeln sich an der New Yorker Rohstoffbörse (Nymex) wider. In dem tristen Beton im Finanzviertel von Manhattan werden die Preise für das Barrel Rohöl festgelegt. Broker in bunten Jacken laufen übers Parkett. Sie schreien und gestikulieren.

Die Nymex funktioniert wie eine Auktion. Die Makler handeln Kontrakte mit einem bestimmten Liefertermin, der Wochen oder sogar Monate voraus liegen kann. Immerhin sank der Preis in diesen Tagen erstmals wieder, nachdem er zwischenzeitlich auf mehr als 75 Dollar pro Barrel gestiegen war. Können Amerikas Autofahrer also Hoffnung schöpfen? Kaum, sagen die Broker. Es ist die Angst an den internationalen Märkten, die weiter für Unsicherheit sorgen wird.

© SZ vom 6.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: