Die schmutzigen Geschäfte der Firmenbestatter:Außer Pleite nichts gewesen

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Sie übernehmen insolvente Firmen, verschleiern Besitzverhältnisse und bringen so die Gläubiger um ihr Geld - wie "Krisenberater" sich auf Kosten anderer bereichern.

Von Daniela Kuhr

Die Kunden haben keine Ahnung, wie sollten sie auch. Schließlich sind die Verkaufsräume noch genauso dekoriert wie vorher. Es arbeiten dieselben Angestellten dort. Der Name hat sich nicht geändert. Und im Schaufenster stehen die gleichen Möbel: Tische, Betten und Regale aus Skandinavien. Selbst die Telefonnummer ist die alte. Von dem, was sich da abgespielt hat, können die Kunden gar nichts bemerkt haben.

Kein Schuldner weit und breit zu sehen: Insolventer Herrenausstatter. (Foto: Foto: ddp)

"Das ist ja das Dreiste", sagt Axel Bierbach, "die machen weiter, als wenn nichts geschehen wäre." Der 35-Jährige mit den schwarzen kurzen Haaren und der metallgerahmten Brille ist verärgert. Es geht um 70.000 Euro, von denen er weiß: "Das Geld kann ich vergessen."

Und dann lässt er einen Begriff fallen, der nur Wenigen bekannt sein dürfte, bei diesen Wenigen aber für Riesenärger sorgt: "ein typischer Fall von Firmenbestattung". Bierbach ist Insolvenzverwalter. Unter seinen Kollegen gibt es kaum einen, der den Ausdruck nicht kennt.

Gigantischer Schaden

Firmenbestatter selbst würden sich nie so nennen. Sie bevorzugen die Bezeichnung "Berater", gern auch "Krisenberater". Den Schaden, den sie jährlich anrichten, schätzen Wirtschaftskriminalisten auf mehr als fünf Milliarden Euro - eine Zahl, die man beim Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands für realistisch hält.

"Aus dem einfachen Grund, weil einem diese Fälle mittlerweile ständig begegnen", sagt Siegfried Beck, Vorsitzender des Verbands.

Die Wirtschaftskrise hat das Geschäft erst richtig angekurbelt. Firmenbestatter bieten ihre Dienste an, wenn ein Betrieb pleite ist und der Geschäftsführer laut Gesetz den Gang zum Amtsgericht antreten müsste.

"Oft zu mühsam"

"Der legale Weg, den das Insolvenzrecht bietet, ist den Beteiligten oft zu mühsam", sagt Bierbach, der für die Münchner Kanzlei Müller-Heydenreich, Beutler & Kollegen arbeitet.

Mit Hilfe eines Firmenbestatters dagegen ist man auf einen Schlag die Schulden los. "Das Schlimme ist, dass das in der Regel auch funktioniert", meint der Insolvenzverwalter.

Das System ist durchdacht: Statt ordnungsgemäß Insolvenz anzumelden, überträgt der Alt-Eigentümer seine Gesellschaftsanteile an eine Person, die in der Regel unauffindbar irgendwo im Ausland sitzt - den Firmenbestatter.

Unterlagen beseitigt

"Dann wird der Geschäftsführer ausgewechselt, oft auch mehrfach", sagt Bierbach. Meistens ändern die Beteiligten den Namen des Unternehmens und stellen den Betrieb ein. Ausnahmsweise, wie im Fall des Möbelhändlers, ändern sie nur geschickt die Rechtsform und führen das Geschäft fort. Immer aber beseitigen sie die Unterlagen, um den Vorgang zu verschleiern.

Das Ganze mit dem Ziel, den Alt-Eigentümer von seiner Schuldenlast zu befreien und den Gläubigern den Zugriff auf die noch vorhandenen Vermögenswerte zu versperren. Je größer das Chaos, umso besser. Mit jedem Wechsel des Gesellschafters und des Geschäftsführers steigt die Chance, dass am Ende niemand mehr durchblickt, an wen er sich nun eigentlich wenden müsste mit seinen Forderungen.

"Die Gelackmeierten", sagt Bierbach und lehnt sich in seinem Stuhl zurück, "sind die Gläubiger des früheren Eigentümers: Banken, Lieferanten, Arbeitnehmer, Krankenkassen und das Finanzamt zum Beispiel."

Der Jurist sitzt an einem runden Konferenztisch in seinem Büro, neben ihm sein Kollege Christian Beutler. Seit einem Jahr arbeiten die beiden gemeinsam an dem Verfahren gegen den Möbelhändler - Bierbach als Insolvenzverwalter, Beutler als Rechtsanwalt.

Mietschulden

Das geschädigte Unternehmen, um das es ihnen eigentlich geht, ist ein Christbaumschmuck-Hersteller, der Insolvenz anmelden musste. Er hatte dem Möbelhändler eine Lagerhalle vermietet. "Die ausstehenden Mietschulden müssten wir für die Insolvenzmasse einfordern", sagt Beutler.

Doch er weiß genau, was passiert, wenn er den Gerichtsvollzieher mit dem Vollstreckungsbescheid in das Möbelgeschäft schickt. "Entschuldigung, aber das sind wir nicht, werden die behaupten. Und mir lässt man ausrichten, ich solle mich an eine Firma in Portugal wenden." Er atmet tief durch.

"Es ist eine Kettenreaktion - einer zahlt nicht mehr und reißt die anderen mit rein. Die haben ja schließlich auch Schulden zu begleichen, Lieferanten zu bezahlen und Darlehen zu tilgen. So führt eine Pleite zur nächsten." Er schüttelt den Kopf. "Wenn da nicht bald was geschieht, traut bald keiner mehr dem anderen."

Neues Gesetz

Dass das Problem dringlich ist, hat auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) erkannt. Ihr Haus arbeitet an einem Gesetz, das den Bestattern das Geschäft erschweren soll.

So will die Ministerin zum Beispiel die Zustellung von Klagen oder Vollstreckungsbescheiden vereinfachen. Noch vor der Sommerpause soll der Gesetzentwurf vorliegen. "Wir müssen abwarten, was da im Detail drin steht", sagt Beutler. Viel Hoffnung hat er aber nicht. "Was nützt es mir, wenn ich die Klage in Portugal zustellen kann, dort aber nichts mehr zu holen ist", fragt er und verzieht das Gesicht. "Man sieht doch, dass die vor der Übertragung alle Vermögenswerte rausgezogen haben."

Hilflos und wütend, so fühle er sich. Wütend, "weil das Ganze so unverschämt ist". Und hilflos, "weil unser Zivilrecht dem nicht gewachsen ist". Er zuckt mit den Schultern. "Aus meiner Sicht kann da nur noch der Staatsanwalt helfen."

Bundesweiter Kampf

Martina Schäfer-Masur ist keine Staatsanwältin. Und doch leistet die zierliche blonde Frau derzeit wohl den entscheidenden Teil im bundesweiten Kampf gegen Firmenbestatter.

Als stellvertretende Leiterin des Kommissariats 242 in München, zuständig für Wirtschaftsdelikte, ermittelt die 44-Jährige in einem der größten Fälle von Firmenbestattungen, die es derzeit in der Bundesrepublik gibt.

Sechs Männer und eine Frau stecken dahinter; gut 300 Firmen haben sie aufgekauft. Einige ihrer Zeitungsinserate hat Schäfer-Masur in der Akte. "Konkurs - am Ende?", heißt es da. "Das muss nicht sein. Es gibt immer einen Weg. Sichern Sie Ihr Vermögen und Ihren guten Namen."

Rufwahrung

"Den guten Namen zu retten, das ist häufig der Hauptgrund, warum sich die Leute darauf einlassen", meint Schäfer-Masur. "Stellen Sie sich einen einfachen Handwerker vor, der in einem kleinen Ort wohnt und dem die Schulden über den Kopf gewachsen sind", sagt sie und nimmt die Brille ab.

"Wenn der Insolvenz anmeldet, spricht sich das doch sofort im Dorf rum. Ruft er stattdessen aber hier an", sie deutet auf die Telefonnummer in der Anzeige, "kann er anschließend sagen: Tut mir leid, wenn ihr euer Geld nicht bekommt, aber mir gehört der Laden nicht mehr." Sie verschränkt die Arme.

"Natürlich wird er nicht erzählen, dass er dem Firmenbestatter zwischen 2500 und 10.000 Euro dafür bezahlt hat, dass dieser sein Unternehmen übernimmt."

100 Kartons Akten

Auf dem Flur vor ihrem Büro stapeln sich die Kisten - lauter Umzugskartons, den ganzen gebogenen Gang lang. Drei, teilweise vier übereinander, einige davon offen: drinnen Leitzordner, Rechner, Disketten. Insgesamt sind es mehr als 100 Kartons, die seit Anfang November vergangenen Jahres den Gang der zweiten Etage im Polizeigebäude füllen.

"Der Brandschutz macht uns schon Druck, damit wir das endlich wegräumen", sagt Schäfer-Masur. Jeder Karton ist beschriftet mit Firmen und Ortsnamen aus dem ganzen Bundesgebiet.

Gemeinsam ist ihnen nur eines: Sie alle hatten zuletzt denselben Geschäftsführer: einen gelernten Elektromeister, Jahrgang 1950, mit stämmiger Figur. Er ist einer der sieben Drahtzieher, gegen die nun die Münchner Ermittlungen laufen. Sein derzeitiger Wohnsitz ist die Justizvollzugsanstalt Stadelheim. "Die anderen sind frei, ihre Tatbeiträge werden noch ermittelt", sagt Schäfer-Masur mit Blick auf die Kisten im Gang.

Schon länger in Verdacht

Zwei Monate lang hat die Kriminalbeamtin jeden einzelnen Karton durchgearbeitet, Unterlagen sortiert, Aktenordner angelegt und Listen erstellt. "Wir hatten die Gruppe schon länger in Verdacht", erzählt sie, "denn immer wieder riefen Insolvenzverwalter oder Staatsanwälte aus dem ganzen Bundesgebiet an, ob wir da nicht mal vorbeigehen und Unterlagen sicherstellen könnten."

Doch in dem Büro in der Münchner Innenstadt befand sich nur ein einziges Regal, und die Leitzordner darin waren alle leer. "Das ist das wichtigste bei so einer Firmenbestattung", sagt Schäfer-Masur, "die Unterlagen müssen verschwinden. Es darf nichts, aber auch gar nichts gefunden werden, was beweisen könnte, dass die Firma zum Zeitpunkt der Übertragung bereits pleite war."

Denn der Verkauf eines Betriebs allein ist nicht strafbar, auch nicht die Pleite - wenn sie denn ordnungsgemäß abgewickelt wird. "Kriminell wird es erst, wenn jemand sein Unternehmen überträgt, nur um den Insolvenzantrag zu vermeiden", sagt Schäfer-Masur und zählt auf: "Insolvenzverschleppung, Bankrott, Verletzung der Buchführungspflicht, da kommt die ganze Latte der Insolvenzdelikte in Betracht."

Entscheidender Tipp

Bei einem der Besuche bekamen sie einen Tipp, eine Adresse, wo sich die Unterlagen befänden. Ein Lagerraum im Keller einer alten Villa in München, 70 Quadratmeter groß, voll mit Regalen, Kartons, Büromöbeln, Kopiergeräten, "eben alles, was man aus den alten Firmen rausholen konnte", sagt Schäfer-Masur.

"Die Unterlagen haben die für den Fall der Fälle aufbewahrt, denn es könnte ja sein, dass man mal was Unverfängliches vorlegen muss, irgendwas, was einen entlastet." Einige Gegenstände hatten die Täter auch verkauft und das Geld in die eigene Tasche gesteckt. "Dabei würde es natürlich eigentlich den Gläubigern zustehen", sagt die Ermittlerin.

Riesenglück

Die Entdeckung des Lagerraums war ein Riesenglück. "Da fanden wir alles, was wir brauchten", erzählt Schäfer-Masur. "Die Absprachen zwischen den Beteiligten, die Höhe der Schulden" - zu viele Details darf sie nicht nennen, "schließlich will ich hier keine Anleitung geben, was am besten alles vernichtet werden sollte".

Sie hofft, dass es spätestens im Sommer zur Anklage kommt. "In Berlin gab es mal ein Verfahren gegen Firmenbestatter, das durchweg mit Freisprüchen geendet hat", sagt sie. "Seitdem lassen viele Staatsanwälte lieber die Finger von solchen Ermittlungen."

Doch durch die Anfragen von Kollegen aus den unterschiedlichsten Orten weiß Schäfer-Masur, dass der Münchner Fall bundesweit interessiert verfolgt wird. "Hier jedenfalls wird gegen die Täter hart durchgegriffen", sagt sie und macht eine kurze Pause. "Bei der Sache machen sich ja nicht nur die Bestatter strafbar, sondern die Alt-Eigentümer ebenfalls."

Erwünschte Anklage

Auch Beutler wartet auf die Anklage: "Es muss sich herumsprechen, dass man dafür auch ins Gefängnis kommen kann." Der Rechtsanwalt kramt einen Ausdruck aus dem Internet hervor. Es ist das Inserat eines Firmenbestatters. "Hier", sagt er und zeigt auf eine blau markierte Stelle: "Wir haben keinerlei Bedenken, jede angeschlagene Gesellschaft dem Zugriff einer unserer Meinung nach inkompetenten, ignoranten und überheblichen Wirtschaftsjustiz zu entziehen", liest er vor und blickt zu seinem Kollegen.

"Da bestehen offenbar keine Hemmungen", meint Bierbach und nickt. "Wenn sich diese Auffassung durchsetzt, dauert es nicht mehr lang, und jeder zieht jeden über den Tisch."

© SZ vom 06.05.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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