Die größten Unternehmen:Wandel zum Erfolg

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Viele deutsche Konzerne erfinden sich neu - nicht immer freiwillig.

Simone Boehringer

Bayer besinnt sich zusammen mit Schering wieder auf das Pharmageschäft. Linde will nach der angestammten Kältetechnik auch die Gabelstaplersparte verkaufen und nur noch mit Industriegasen sein Geld verdienen. Und Siemens begeht sogar einen Tabubruch und trennt sich von seinen Wurzeln, der Telekommunikation. Die Netzwerksparte wird in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem finnischen Konkurrenten Nokia eingebracht.

Produktion eines Sprühtrockners beim Spezialmaschinenbauer GEA Group (früher mg technologies). (Foto: Foto: AP)

Und das alles geschieht meist aus einem einzigen Grund: im globalen Wettbewerb zu bestehen, möglichst in führender Position.

Die Liste der Neuausrichtungen deutscher Unternehmen ließe sich beliebig fortführen. Aber nirgends ist der Veränderungsdruck so groß wie unter den börsennotierten Konzernen, wo neben dem Management noch Analysten und Investoren zunehmend die Firmenstrategie mitbestimmen.

Klare Strukturen gefordert

Sie fordern in der Regel die Fokussierung auf ein oder zwei Kerngeschäfte, ziehen klare Strukturen den vermeintlich komplizierten Mischkonzernen vor. Entsprechend fließen auch die Anlagegelder.

Wie erfolgreich die umgestalteten Unternehmen letztlich operieren, ist aber nicht immer nur eine Frage der Kapitalausstattung. Auch Faktoren wie Innovationskraft, Führungs- und Firmenkultur, aber auch konjunkturelle Rahmenbedingungen bestimmen die Zukunft wesentlich mit.

"Die Krankheit vieler großer Firmen ist es, dass sie immer ihre Organisationen neu strukturieren und ständig vom Untersten zum Obersten kehren, statt in den Produktsparten innovativ zu sein", meint der Stuttgarter Unternehmensberater Brun-Hagen Hennerkes.

"Schöpferische Zerstörung"

Er ist freilich Spezialist für Familienunternehmen, also jene, in denen der unternehmerische Geist im Schumpeterschen Sinne zu Hause ist. Das geflügelte Wort von der "schöpferischen Zerstörung" des österreichischen Ökonomen, die notwendig sei, um neue Produkte, neue Methoden und neue Märkte zu erobern, beruht genau auf jenem Bild des selbst investierten Gründerunternehmers, wie er im 19. und teilweise auch im 20.Jahrhundert noch vorherrschte.

Heute aber spiegelt dieses Unternehmerbild die Realität nicht mehr ganz treffend wider. Zumindest nicht in Großunternehmen, weil dort die Führungsriege nur noch vereinzelt mit dem Geldgeber identisch ist.

Angestellte Manager aber agieren anders, nicht selten auch unter Aspekten des Machterhalts. Da sind regelmäßige Verwerfungen in der Organisation ein Effekt haschendes, aber selten ein Wert schaffendes Mittel. Das macht sie angreifbar, auch von außen.

Köpfespiel

Einer, der das Köpfespiel bis zur Perfektion trieb, war Karl-Josef Neukirchen. Der ehemalige Chef der Metallgesellschaft, später MG Technologies, entließ zahlreich leitende Mitarbeiter und festigte damit für nahezu zehn Jahre seine Führungsposition in dem ehemaligen Dax-Konglomerat, das er sanieren und neu ausrichten sollte.

Am Ende unterlag er aber einem mächtigen Großaktionär. Otto Happel, Spross der Gründerfamilie des Maschinenbauers Gea, einer der wichtigsten Konzernbeteiligungen, stockte seine Anteile auf und stritt mit Neukirchen um die Strategie.

Er warf dem Manager Wertvernichtung vor, nachdem der Aktienkurs des Dax-Konzerns immer weiter sank. Letztlich siegte der Geldgeber über den Manager. Neukirchen musste 2003 abtreten. Heute heißt MG Technologies Gea Group, macht nach wie vor in Maschinen- und Anlagebau, ist aber nicht mehr in der ersten Börsenliga vertreten.

Externe und interne Machthaber

Was das Spannungsverhältnis zwischen externen und internen Machthabern bei der Neustrukturierung von Konzernen angeht, war die Metallgesellschaft ein Vorreiter. Derzeit kämpft unter den Dax-Unternehmen die Deutsche Börse AG um einen Verbleib als Einheit aus Börsen-, Abwicklungs- und Indexdienstleister in einem.

Auch hier musste mit Werner Seifert schon ein Vorstandschef auf Druck von Finanzinvestoren seinen Stuhl räumen. Es geht um den bekannten Streit zwischen Fokussierung und Komplettangebot, zwischen Alleinstellung und Fusion um jeden Preis.

Der neue Börsenchef Reto Francioni agiert mit mehr diplomatischem Geschick, muss aber im Poker um den Wunschpartner Euronext mit ähnlichen Machtverhältnissen kämpfen wie sein Vorgänger.

Attraktiver Preis für Unternehmensteil

"Langfristig werden sich fokussierte Unternehmen am Markt durchsetzen", glaubt Unternehmensberater Hennerkes. Bei Mischkonzernen werde es ständig Unruhe geben, schon "weil jedes Fehlinvestment in einer Sparte sofort Finanzinvestoren auf den Plan ruft", die einen attraktiven Preis für den entsprechenden Unternehmensteil bezahlten.

Aber wer bestimmt die Marschroute? Und wie viel Wandel ist sinnvoll? Es gab, beziehungsweise gibt, zwei Firmen im Dax, die Mut machen. So stieg Mannesmann vom Stahl- und Röhrenwerk zum Telekommunikationskonzern auf und war damit so erfolgreich, dass es zu einem Vielfachen des Börsenwertes von der britischen Konkurrenz Vodafone geschluckt wurde.

Aus dem ehemaligen Mischkonzern Preussag ist binnen weniger Jahre Europas größter Reiseanbieter TUI geworden. Beide Unternehmen haben ihre Herkunft aufgegeben, sich quasi neu erfunden und hatten Erfolg.

Unter Einfluss von Beratern und Bankern

Bei Siemens steht diese Nagelprobe noch aus. Treibender ist hier Konzernchef Klaus Kleinfeld; auch unter dem Einfluss von Beratern und Investmentbankern.

Und ein weiterer Kandidat kündigt sich mittelfristig schon an: die Deutsche Telekom. Zwar hat der Finanzinvestor Blackstone bislang gerade einmal 4,5 Prozent der Anteile gekauft. Aber mit Minderheitsbeteiligungen haben sich internationale Beteiligungshäuser auf Dauer fast nie zufrieden gegeben.

© SZ vom 02.08.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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