Devialet:Die Lautsprecher-Großsprecher

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Am Pariser Audio-Ausrüster Devialet lässt sich studieren, wie planvoll-ungeniert in der Tech-Branche geprahlt wird, um Marken aufzubauen. Eine Anleitung zur Selbstbeweihräucherung.

Von Leo Klimm

Als Technik gewordene Anmaßung sieht der Hersteller sein Audiosystem Phantom. (Foto: Devialet/PR)

Das Objekt, das Begierde wecken soll, hat einen Altar: Der Lautsprecher ist auf eine Säule gehoben, um die herum ein mit rotem Samt bezogenes Kanapee gebaut ist. An den Wänden der Boutique, die das Tech-Unternehmen Devialet in den Arkaden der Pariser Garnier-Oper eröffnet hat, sind noch mehr Modelle des Audiosystems Phantom aufgereiht. Der Phantom Opéra für knapp 2800 Euro etwa, der Live-Streamings aus dem Konzerthaus ins Wohnzimmer erlaubt. Das etwas günstigere Gold-Modell. Die Basis-Version. Ein Verstärker für 28 000 Euro ist auch dabei.

Ein Verkäufer dreht den Sound auf. Tatatata! Mächtig erschallt Beethovens Fünfte. "Der beste Klang der Welt!", tönt der Mann. Bescheidenheit ist keine Zier. Der Superlativ ist bei Devialet die Grundform.

Ein paar Straßenzüge entfernt liegt die Devialet-Zentrale. Vor Quentin Sannié, einem freundlichen Mann von 55 Jahren, liegen Schaltzeichnungen und ein in die Einzelteile zerlegter Phantom. Das sieht nach Arbeit aus, nicht nach Luxus. Dennoch ist Sannié der oberste aller Lautsprecher-Großsprecher: "Wir wollen einen Mythos erzeugen", sagt der Devialet-Chef. "Unser Ziel ist, Branchenführer der Klangindustrie zu sein". Jawohl, diese kleine französische Firma soll alle Japaner, die US-Größe Bose oder die dänische Edelmanufaktur Bang & Olufsen ausstechen.

Vor zehn Jahren hat Sannié Devialet gegründet, gemeinsam mit seinem Cousin, dem Chefdesigner, und mit einem patenten Akustik-Ingenieur. Seitdem verfolgt Sannié, ein ehemaliger Unternehmensberater, einen Masterplan, der dem Trio zu Weltruhm verhelfen soll. Sannié sagt: "Wir halten uns genau an den Plan, den wir 2007 entworfen haben".

Und diese Strategie ist ein Lehrstück, wie ungeniert-unbescheiden und zugleich planvoll Start-ups der Tech-Branche ihre Produkte verkaufen - und sich selbst. Eine Anleitung in fünf Lektionen.

1. Biete gute Ware. Gib damit an

"Wir müssen anmaßend sein", sagt Sannié. "Die technische Performance muss die Erwartungen übertreffen." Zweifellos ist der Phantom ein ausgefeiltes Produkt. Das eiförmige Gerät, das in Paris entwickelt und in einer französischen Fabrik des deutschen Partners Bosch gefertigt wird, liefert reinen Klang - unabhängig davon, ob die Musik vom Smartphone abgespielt wird oder von einem Plattenspieler. Bis zu 4500 Watt Leistung verbergen sich auf engem Raum, patentierte Technologie ermöglicht, so Sannié, die exakte Reproduktion des Schalldrucks im Moment der Musikaufzeichnung. Die Boxen schaffen Höhen von 27 Kilohertz und Bässe von 14 Hertz. Weltrekord, sagt Devialet.

Solche Prahlerei setzt den Ton für die Verkäufer - ob sie nun im Laden wirken oder in der PR-Abteilung. Von "atemberaubendem Klang" ist dann die Rede und von einer neuen Zeitrechnung, die mit der Erfindung des Phantom begonnen habe.

"Das ist nicht zu dick aufgetragen", findet Alain Roussel. Er führt die Pariser Filiale der deutschen Werbeagentur Serviceplan und hat in seiner Karriere manches französisches Luxuslabel beim sogenannten Brand Building betreut. "Die Firma bemüht einen Gründungsmythos. Aber der ist von der Wirklichkeit gedeckt, die Innovation ist real", sagt Roussel.

2. Kopiere Apple. Inszeniere die Ware

Wenige Firmen beherrschen die verkaufsfördernde Zurschaustellung von Nutztechnik so wie Apple. Hier schaut sich Devialet etwas ab. "Beide Unternehmen gründen auf eigener Technologie und eigener Ästhetik. Und beide betonen genau das", so Roussel. "Devialet liefert eine Kopie des Apple-Marketings." Sannié bestreitet das nicht, der kalifornische Konzern und dessen verstorbener Gründer Steve Jobs seien "sehr inspirierend". Wie nah er dem Vorbild kommt, zeigt sich daran, dass Apple die Edel-Lautsprecher inzwischen in seinen Stores verkauft.

Doch Devialet treibt die Anbetung der Technik noch weiter. Die Geräte werden eben auf Altäre platziert oder mit Tragetaschen von Louis Vuitton ausstaffiert. Und: Die "Sound Center" kann man nur im Laden kaufen, nicht online. "Um das Produkt zu begehren, muss man es erlebt und gehört haben", sagt Sannié. Natürlich lässt er sich nicht mit jedem ein. Mit Apple schon. Auch mit den Kaufhäusern Ludwig Beck in München oder Harrods in London. "Aber ich würde mich nicht mit Saturn zusammentun", sagt Sannié.

3. Schreibe an Deiner eigenen Legende

Devialet. Hört sich sehr französisch und auch etwas nobel an. Genau das soll es. Devialet ist ein Kunstname. Eine Marketing-Story an der Grenze zwischen Dichtung und Wahrheit: Sannié hat sich dafür bei einem gewissen Guillaume Vialet bedient. Der half im 18. Jahrhundert dem Philosophen Denis Diderot, seine Encyclopédie zu schreiben, ein Hauptwerk der Aufklärung. Nun soll Vialets abgewandelter Name eine Hightech-Marke des 21. Jahrhunderts mit Bedeutung aufladen, mit dem Glauben an Fortschritt. Der Anspruch reicht weit über den puren Gegenstand hinaus. "Das ist hochtrabend", sagt Experte Roussel. "Aber das ist auch sehr französisch." Und als französisch will Devialet ja erkannt werden.

Sannié hat noch mehr Legenden auf Lager. Etwa die mit Jay-Z: Der US-Rapper stieß in den Räumen des norwegischen Streamingdienstes Tidal auf ein Devialet-Gerät. Jay-Z war gerade dabei, Tidal aufzukaufen. Das hätte er wohl auch gern mit Devialet getan, so begeistert soll er gewesen sein. Jedenfalls bat der Superstar Sannié um alsbaldige Unterredung - und ist seit 2016 zumindest an Devialet beteiligt.

4. Pflege den richtigen Umgang

Namen sind nicht Schall und Rauch. Das gilt für Vertriebspartner wie für kalkulierte Freundschaften mit Klangkünstlern und Investoren. "Wenn man bei null startet, muss man sich der Prominenz anderer bedienen", erklärt Sannié. Er sorgt dafür, dass Stars sein Audio-System kennenlernen, damit sie es loben. Es fließe kein Geld an diese sogenannten Influencer, versichert der Chef, "das ist Beziehungsmarketing". Am besten ist, das Lob verbreitet sich viral im Internet. So wie das acht Millionen Mal geklickte Video eines US-Youtubers, der vor dem Phantom in Ekstase gerät. Wenn das Gerät auf Fotos aus dem Arbeitszimmer des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu sehen ist, dann ist der PR-Effekt erst recht unbezahlbar.

Gute Beziehungen wollen gepflegt werden. Vor der ersten Devialet-Finanzierungsrunde 2009 lud Sannié Multimilliardäre zur Hörprobe in einen abgedunkelten Raum. Bernard Arnault, Hauptaktionär des weltweit größten Luxusgüterkonzerns LVMH, oder der Pariser Telekommagnat Xavier Niel machten daraufhin Geld locker. "Ich wollte nicht irgendeinen Fonds", sagt Sannié. Vor einem Jahr sammelte er noch mal 100 Millionen Euro ein, darunter bei asiatischen Elektronikfertigern wie Foxconn und Sharp. Ein Hinweis, dass demnächst nicht mehr nur Klasse zählt bei Devialet - sondern auch Masse.

5. Bekomme niemals genug

"Im Groß-und-berühmt-Werden liegt die Gefahr", warnt Experte Roussel. Devialet ist keine kleine Bude mehr, die Firma zählt 400 Mitarbeiter. Die für 2017 angepeilte Verdoppelung des Umsatzes auf 120 Millionen Euro hat sie aber verfehlt. Sie schreibt auch noch keine Gewinne.

Groß-und-berühmt-Werden hat bisher Vorrang. Sannié sucht neue Erlösquellen. Devialet soll ein Konzern für jeden Lebensbereich werden. Fernsehen soll besser klingen; am britischen Markt hat Sannié Devialet-Chips schon in die Empfängerboxen des Pay-TV-Senders Sky einbauen lassen. Auch im Auto wollen die Kunden beste Akustik, sagt Sannié. Sprachgesteuerte Assistenten wie Alexa, die als die Internet-Zugangspunkte der Zukunft gelten, sollen nicht mehr hohl klingen. Eines Tages soll selbst aus Smartphones Luxus-Sound wummern. "Wir wollen alles abräumen", sagt Sannié. "Ich möchte das tollste Audio-Unternehmen aller Zeiten aufziehen!" Große Töne? Gehören zum Konzept.

© SZ vom 13.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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