Deutschlands Premium-Metallarbeiter:Eine Krankheit, die wütend macht

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Seit Mercedes-Chef Jürgen Hubbert das unselige Wort von der "baden-württembergischen" Krankheit in den Mund genommen hat, ist die Wut der Metallarbeiter im Südwesten groß. Sie wehren sich massiv gegen den verlangten Verzicht auf komfortable Vergünstigungen.

Von Dagmar Deckstein

Sage niemand, Gewerkschafter hätten nicht manchmal auch Humor. Die Stuttgarter Bezirksleitung der IG Metall ist mit einem Lkw vor Tor 3 des Sindelfinger DaimlerChrysler-Werks gerollt, Helfer verteilen T-Shirts an die heranströmenden Demonstranten.

In weißer Schrift auf schwarzem Baumwolltuch steht da: "Erpress-Werk DaimlerChrysler". Dazu gibt es rote Kappen mit dem IG-Metall-Emblem und rote Trillerpfeifen, und schon kurz nach neun Uhr, zum Beginn der Kundgebung, ist der Platz vor dem Werkstor ein wogendes Meer rotbemützter Köpfe.

Unter einer dieser Kappen steckt Jochen Fuhrer, einer der wenigen, die, wenn auch zögerlich, ihren Namen zu nennen bereit sind. "Man wird sonst gern mal rausgepickt und bekommt Druck."

Seit 30 Jahren arbeitet der Maschinenbestücker in Sindelfingen. Er hätte nach der Nachtschicht, die um 22 Uhr begann, eigentlich um sechs Uhr nach Hause ins Bett gehen können. Aber für ihn ist es Ehrensache, an der Protestaktion teilzunehmen.

Geladen ist er sowieso: "Der Schrempp hat Milliarden mit Chrysler und Mitsubishi in den Sand gesetzt, und wir können dann in der Bild-Zeitung nachlesen, dass sie uns ans Geld wollen."

"Auf dem Weg zurück ins Mittelalter"

Sein Kollege - "nenn mich einfach Harry" - sieht den Autokonzern schon "auf dem Weg zurück ins Mittelalter". Harry schafft seit 19 Jahren beim Daimler in Sindelfingen, heute lackiert er die teuren Maybach-Luxuslimousinen. "Seit Jahren schon geben wir ständig was her, hier eine Pause, dort einen Zuschlag, was wollen die eigentlich noch?"

Was die wollen, weiß Erich Klemm am besten. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende des Konzerns und mächtigste Arbeitnehmervertreter der Republik steht inzwischen auf dem Mikrofonwagen und freut sich über die "größte Kundgebung, die dieses Werk je gesehen hat".

20.000 Mercedes-Werker zählt er, die am Donnerstag ihre Arbeit Arbeit sein ließen und mit Schildern vors Tor zogen, auf denen zum Beispiel steht: "Ihr nehmt uns die Pausen, wir euch dafür die Ruhe."

Erich Klemm, zugleich stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender, verhandelt gerade mit dem Vorstand, der in Sindelfingen jährlich 500 Millionen Euro einsparen will.

34.000 Menschen arbeiten hier im größten Fertigungswerk des Konzerns, wo Mercedes-Autos der C-, E- und S-Klasse sowie der Maybach hergestellt werden.

Aber 6000 von ihnen, hat Mercedes-Chef Jürgen Hubbert dieser Tage gedroht, stünden über kurz oder lang auf der Straße, wenn sie nicht billiger produzierten. Und deswegen haben sich die 20.000 vor dem Werk versammelt, noch einmal rund 60.000 DaimlerChrysler-Beschäftigte an anderen Standorten zwischen Bremen und Rastatt zeigten sich solidarisch und legten ebenfalls die Arbeit kurzfristig nieder.

Erich Klemm weiß, wovon er spricht, wenn er sagt: "Wir sind in einer verdammt schwierigen Situation." Waren es doch er und Mercedes-Boss Hubbert, die maßgeblich dafür sorgten, dass der designierte Nachfolger Hubberts, Wolfgang Bernhard, Ende April kurzfristig gekippt wurde.

Bernhard hatte sich als rüder Kostenkiller geoutet und Mercedes schlicht zum Sanierungsfall erklärt. Dieser Stil passt nicht zum pfleglichen Umgang, den Bosse und Belegschaft hier seit Jahrzehnten miteinander haben.

Und nun kommt wenige Monate später "Mister Mercedes" Hubbert daher und nimmt das unselige Wort von der "baden-württembergischen Krankheit" in den Mund.

"Wer verdient denn hier das Geld?"

Das bringt sie nun erst recht auf die Palme, vor allem den Maybach-Lackierer Harry: "Wer verdient denn hier das Geld, mit dem Schrempp dann seine Fusionsabenteuer bezahlt?"

Tatsächlich hat im vergangenen Jahr die Mercedes Car Group allein 3,1 der insgesamt 5,7 Milliarden Gewinn des gesamten Konzerns eingefahren. So hat Hubberts "Krankheit" beste Chancen, eine ähnliche Karriere zu machen wie die "peanuts", mit denen sich DaimlerChryslers Aufsichtsratschef Hilmar Kopper einst als Chef der Deutschen Bank blamierte.

Wie Kopper damals die Millionenforderungen an den getürmten Baulöwen Jürgen Schreiber als Nichtigkeiten abtat, so meint Hubbert heute mit der Krankheit jene tarifvertraglichen Spezialitäten, die es nur im Pilotbezirk Baden-Württemberg gibt: jene fünf Minuten "Steinkühler-Pinkelpause" je Akkordarbeitsstunde oder Spätschichtzuschläge von 20 Prozent ab zwölf Uhr Mittag, ab 19 Uhr gibt es sogar 30 Prozent.

Es sind Relikte aus dem Jahr 1973, und DaimlerChrysler hat damals mitgewirkt. In den Tarifverhandlungen dominierten stets die Personalchefs der großen Autobauer und Zulieferer Daimler, Bosch und Porsche, die ihre kampfstarken Belegschaften mit Tarifschmankerln vom Streik abzuhalten versuchten.

Seit jeher stöhnen die Mittelständler unter diesen Verträgen, deren Last sie unverhältnismäßig drückt. Dass man in Baden-Württemberg seit eh und je am liebsten "beim Daimler schafft", hat auch damit zu tun, dass sich der Konzern obendrein mit betrieblicher Altersversorgung, Wohnbauförderung, Familienzeit für Kindererziehung oder bezahlten Kuren großzügig zeigt.

Aber jetzt ist es vorbei mit der Großzügigkeit. Hubbert, dessen Vorstandsvertrag im nächsten April ausläuft, hat ausgerechnet, dass im Bremer Mercedes-Werk ganze zwei Wochen im Jahr länger gearbeitet wird, wenn man alle Feiertage und Pausen im Süden zusammenzählt.

Wenn die neue C-Klasse von 2007 an wieder in Sindelfingen vom Band rollen soll, so sein Diktum, müssen die Kosten sinken. Sonst verlagere der Konzern die Produktion nach Bremen und einen kleinen Teil nach Südafrika.

Für die Sindelfinger Werker ist das "blanke Erpressung", wenngleich auch Erich Klemm jetzt gerade ins Mikrofon ruft: "Es gibt eine reale Gefahr für unsere Arbeitsplätze."

Für den seinen zwar nicht, aber dass Mercedes ein Kostenproblem hat, ist branchenbekannt. So hat Ferdinand Dudenhöffer, Chef des Center of Automotive Research der Fachhochschule Gelsenkirchen, ausgerechnet, dass Mercedes zwar pro Fahrzeug mehr umsetzt als der Wettbewerber BMW, aber nicht so viel Gewinn damit erzielt.

"Pro Auto produziert Mercedes rund 500 Euro teurer", sagt Dudenhöffer und wundert sich auch nicht weiter: "Die stellen ja auch noch ihre Sitze selbst her."

Gehaltseinbußen schon ausgerechnet

Die Belegschaft hat schon ausgerechnet, was sie die Sparpläne des Vorstands kosteten. "Wenn das eins zu eins umgesetzt würde, was Hubbert will, dann bedeutete das für manche Kollegen bis zu 700 Euro im Monat weniger", erregt sich Jochen Fuhrer, der Maschinenbestücker.

Und klatscht begeistert über den Satz, den IG-Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann in die Menge bellt: "Eine Premiummarke braucht auch eine Premiumbelegschaft. S-Klasse bauen und Lupo-Löhne bezahlten, das passt nicht zusammen."

Überhaupt, die IG Metall: sie schaut sehr argwöhnisch auf die Auseinandersetzung im Hause DaimlerChrysler. Was Hubbert "Krankheit" nennt, ist Bestandteil des Flächentarifvertrags für Nordwürttemberg-Nordbaden, und der steht jetzt in einem einzelnen Unternehmen zur Disposition.

Der Betriebsrat Erich Klemm hat bereits Abstriche beim neuen Entgeltrahmentarifvertrag als Verhandlungsmasse auf den Tisch gelegt, die sich zu Einsparungen von 180 Millionen Euro summieren. Das reicht Hubbert aber noch längst nicht.

Schützenhilfe wurde ihm bereits von unerwarteter Seite zuteil. Der Stuttgarter Kabarettist Christoph Sonntag mischte sich in die Debatte: "Ich muss Herrn Hubbert zustimmen: Baden-Württemberg ist krank. Und ich darf hinzufügen: alle anderen Bundesländer sind gesund. Am gesündesten sind die fünf neuen."

© SZ vom 16.07.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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