Deutschlands-Chefs von Merrill Lynch:"Wir fahren immer noch sehr schnell"

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Die Deutschlandchefs der Investmentbank Merrill Lynch, Lothar Späth und Flavio Valeri, über die Krise am Kreditmarkt, deutsche Banken und die Medienlandschaft. Interview: Martin Hesse und Ansgar Siemens

SZ: Politiker in Berlin und Brüssel wollen Unternehmen vor Finanzinvestoren und Staatsfonds schützen. Droht eine neue Welle des Protektionismus?

Lothar Späth: Man muss dafür Verständnis haben, dass Politiker angesichts des wachsenden Einflusses etwa von Hedge Fonds und großen staatlichen Investitionsfonds beunruhigt sind. Aber das Thema ist ja nicht ganz neu, wenn Sie etwa an die Investitionen von Öl-Ländern denken. Wenn es um militärische Projekte oder Unternehmen ging, war das in den USA wie auch in Europa schon immer eine sensible Veranstaltung. Ich glaube nicht, dass wir zu einer neuen Form umfassender staatlicher Interventionen kommen werden.

SZ: Halten Sie es für sinnvoll, bestimmte Branchen vor Übernahmen zu schützen?

Späth: Das kann generell nicht sinnvoll sein. Wie gesagt, im militärischen Bereich gibt es Spielregeln in vielen Staaten mit nationalen Interventionsmöglichkeiten. Wenn es um große Infrastrukturprojekte der Rohstoffversorgung geht, ist die Politik in der Regel ohnehin involviert. Ich kann auch nicht sehen, dass große Investitionsfonds im öffentlichen Eigentum ganze Industrien etwa in Deutschland aufkaufen wollen.

SZ: Die Übernahme von Pro Sieben Sat 1 durch Finanzinvestoren hat die Frage aufgeworfen, ob die Medien eine schützenswerte Branche sind.

Späth: Zum Kern der deutschen Medienpolitik gehört, dass wir öffentlich-rechtliche Sender haben, die den Versorgungsauftrag erfüllen. Außerdem haben wir private Sender zugelassen. Es wäre falsch, diese besonders zu schützen oder Mindestbedingungen für die Eigentümer aufzustellen. Wir müssen uns keine Sorgen machen, dass die Versorgung mit Nachrichten zu kurz kommt.

SZ: Sind Finanzinvestoren eine Gefahr für die Qualität des Journalismus?

Späth: Unabhängige Redaktionen sind das heilige Gut unserer Medienlandschaft. Ich habe nicht den Eindruck, dass bei den großen Medien eine Einflussnahme durch die Eigentümer auf die Redaktionen erfolgt.

"Deutschland ist in Kontinentaleuropa der wichtigste Markt"

SZ: Wie sieht die deutsche Medienlandschaft in zehn Jahren aus?

Späth: Ich würde mir vor allem eine europäische Konsolidierung wünschen. Es ist schade, dass wir in Europa zwar eine einheitliche Agrarpolitik haben, aber wenig gemeinsame Medienformate und Informationsstrukturen. Das Internet wird dafür sorgen, dass wir mehr derartige Angebote bekommen.

SZ: Welche Rolle spielt die Beratung von Medienunternehmen bei Merrill Lynch?

Flavio Valeri: Die Medien sind zwar für Merrill Lynch eine wichtige Branche, andere Sektoren wie etwa der Maschinenbau, die Telekommunikation oder die Versorger spielen allerdings eine größere Rolle. Denn in Deutschland ist die Medienbranche schon relativ stark konsolidiert, vor diesem Hintergrund sehen wir die Kombinationsmöglichkeiten auf der europäischen Ebene.

SZ: Investmentbanken haben in den vergangenen Jahren sehr großes Interesse an Deutschland gezeigt. Was macht den Standort und die Unternehmen für Sie so interessant?

Valeri: Für das Investmentbanking von Merrill Lynch ist Deutschland in Kontinentaleuropa jetzt der wichtigste Markt. Die Konjunktur ist solide, die Unternehmen in starker Verfassung, der Immobilienmarkt kommt in Bewegung und Finanzinvestoren sind sehr aktiv. All das belebt das Geschäft. Nach Schätzungen hat Deutschland gemessen an der Bedeutung der Wirtschaft das Potenzial, auf etwa 20 bis 25 Prozent des Geschäftes aller Investmentbanken in EMEA (Europa, Mittlerer Osten und Afrika) zu kommen. In einer Wirtschaft, in der der Export so eine wichtige Rolle spielt, werden wir zudem noch sehr viel mehr grenzüberschreitende Übernahmen sehen.

SZ: Sehen Sie deutsche Unternehmen eher als Käufer denn als Übernahmeziele?

Valeri: Deutsche Firmen werden in Europa, Asien oder Lateinamerika zukaufen, ein wenig auch im Inland. Aber vor allem geht es um Wachstum im Ausland.

SZ: Für deutsche Banken scheint das nicht zu gelten.

V aleri: Es gibt eine große Diskrepanz zwischen der Größe der deutschen Wirtschaft und ihrer Banken. Die Nummer eins der Banken in Deutschland liegt derzeit - gemessen an dem Börsenwert - nur etwa auf Platz 10 in Europa. Deshalb ist eine Konsolidierung des Bankensektors unvermeidbar. Unsere Kunden außerhalb des Finanzsektors sind globaler aufgestellt als fast alle deutschen Banken. Wenn sie die gewünschten Dienstleistungen anderswo besser und billiger bekommen, werden sie den deutschen Instituten davonlaufen.

SZ: Wo werden wir den eher Zusammenschlüsse sehen: bei den privaten oder den öffentlichen Banken?

Späth: Eher bei den öffentlichen Banken. Der Verkauf der Landesbank Berlin hat gezeigt, dass das Drei-Säulen-Modell aus privaten, genossenschaftlichen und öffentlichen Banken nicht so leicht einzureißen ist. Deshalb wird es eher innerhalb des Landesbanken- und Sparkassenbereichs zu Zusammenschlüssen kommen als zwischen den drei Sektoren.

SZ: Kann das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen nach den Rekorden der vergangenen Jahre noch zunehmen?

Valeri: Selbstverständlich. Im Moment sind die Unternehmen sehr, sehr stark. Ihre Verschuldung ist relativ gering, die Ratings haben sich deutlich verbessert. Das ist eine gute Voraussetzung für weitere Übernahmen. Auch die Finanzierungsmöglichkeiten sind gut - nicht so wie vor zwei Monaten, aber immer noch sehr gut.

SZ: Aber wegen der Kreditkrise am amerikanischen Immobilienmarkt, ist es zuletzt auch deutlich schwieriger geworden, Übernahmen zu finanzieren.

Valeri: Was ich vorher gesagt habe, gilt vor allem für die Unternehmen. Bei den Übernahmen der vergangenen zwei bis drei Wochen haben wir gesehen, dass die Finanzinvestoren diese Transaktionen zu einem etwas geringeren Maße mit Schulden finanzieren als bisher. Wir fahren aber immer noch sehr schnell, es ist so als steige man von einem Ferrari in einen BMW.

SZ: Finanzinvestoren werden also nicht aufhören, Firmen zu kaufen?

Späth: Ganz sicher nicht. Finanzinvestoren erfahren gerade, dass sie bei der Schuldenfinanzierung nicht überziehen dürfen. Diese Reaktion des Marktes ist sehr gesund. Vor sechs Monaten kamen die höchsten Gebote für Übernahmen fast immer von Finanzinvestoren. Jetzt gewinnen wieder häufiger die strategischen Käufer.

"Hedge-Fonds sind in Teilbereichen unsere wichtigsten Kunden"

SZ: Die Ratingagenturen warnen, dass die Kreditausfälle deutlich zunehmen werden.

Valeri: Kreditausfälle gibt es am amerikanischen Immobilienmarkt. Das ist allerdings eine stark regional begrenztes Phänomen. Wir sehen keine direkte Verbindung zu deutschen Unternehmen.

SZ: Über Pleiten von Hedge-Fonds und eine zunehmende Risikoscheu der Investoren könnten sich die Probleme ausbreiten.

Valeri: Bislang hatten wir zwei Hedge-Fonds-Pleiten. Es gibt aber hunderte Hedge-Fonds. Manche entwickeln sich jetzt vielleicht nicht mehr so gut, aber sie sind immer noch da.

SZ: Haben sich Investmentbanken wie Merrill Lynch zu abhängig von Hedge-Fonds und Private-Equity-Gesellschaften gemacht?

Valeri: Keineswegs. Es ist schlichtweg eine Tatsache, dass Hedge-Fonds in Teilbereichen wie dem Handelsgeschäft unsere aktivsten Kunden sind. Wenn - was ich nicht erwarte - die Hedge-Fonds-Welt morgen zusammenbrechen würde, wäre das ein Schlag für alle Investmentbanken. Aber selbst dann haben wir immer noch viele traditionelle Investoren, die unser Kern-Geschäft ausmachen. Auch die Private-Equity-Firmen sind wichtige Kunden für uns, beim Geschäft mit Fusionen und Übernahmen. Aber sie sind weniger anfällig für Krisen, weil sie einen längeren Anlagehorizont haben und so auch über Konjunkturzyklen hinweg das Risiko streuen.

Späth: Wenn, wie in den vergangenen Monaten gesehen, etwa die Hälfte der Fusionen und Übernahmen von Finanzinvestoren kommt, dann sind das natürlich auch unsere Geschäftspartner. Für uns kommt es letztlich darauf an, die Marktrends früh zu erkennen.

SZ: Sie beraten Finanzinvestoren und finanzieren ihre Übernahmen, andererseits steigen Sie als Bank manchmal selbst bei Unternehmen ein. Ist die Gefahr von Interessenkonflikten da nicht sehr groß?

Valeri: Wenn unsere eigene Beteiligungssparte in Konkurrenz mit einem Finanzinvestor oder einem strategischen Käufer tritt, stellt sich schon die Frage: Sollen wir den Finanzinvestor, den Strategen oder unsere eigenen Leute beraten oder sogar das Zielunternehmen? Und wen von ihnen sollen wir finanzieren? Dieses Problem stellt sich vor allem Investmentbanken, die über ein sehr starkes, eigenes Beteiligungs-Geschäft verfügen...

SZ: ...wie zum Beispiel Goldman Sachs...

Valeri: ...ich nenne keine Namen. Aber es gibt Banken, die eine sehr ausgeprägte Private-Equity-Strategie haben. Bei Merrill Lynch gilt immer: Zuerst der Kunde, dann unser eigenes Private-Equity-Geschäft. Deshalb ist die Gefahr von Interessenkonflikten begrenzt.

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