Deutschland/Frankreich:Paar der Gegensätze

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Ob bei Bevölkerungswachstum, Arbeitslosenquote oder Rentensystem: Deutschlands und Frankreichs Wirtschaft streben auseinander. Das tut beiden Seiten auf Dauer nicht gut, sagen die Regierungen.

S. Boehringer, L. Klimm (Text), C. Kramer, A. Monka (Datenrecherche), S. Unterhitzenberger (Grafik)

Auf den ersten Blick werden gängige Vorstellungen über Frankreich bestätigt: Die Franzosen sind im Durchschnitt jünger, verdienen mehr, vereinbaren Familie und Beruf besser, bekommen daher mehr Kinder und zahlen weniger an die EU als die Deutschen. Savoir-vivre also?

Man kann es auch anders sehen. Viel weniger Menschen in Frankreich leisten es sich, wegen der Kinder Teilzeit zu arbeiten oder ganz zu Hause zu bleiben. Während in Deutschland 72 Prozent der Mütter angeben, nicht voll zu arbeiten, sind es in Frankreich nur ein Drittel. Vor dem Hintergrund der weit höheren Arbeitslosigkeit im Nachbarland ist das allerdings kein Wunder: Bei Beinahe-Vollbeschäftigung wie in Deutschland fällt es leichter, flexible Arbeitszeitmodelle beim Chef durchzusetzen.

Besonders frappierend ist es, dass jeder vierte Jugendliche in Frankreich arbeitslos ist. Wer solche Perspektiven hat, krallt sich an jede befristete Vollzeitstelle, die er oder sie kriegen kann. Auch wenn Arbeitnehmer wie Unternehmer in Frankreich deutlich mehr vom Verdienst und Gewinn an den Staat abgeben müssen als in Deutschland: Das spätere Rentenniveau im Verhältnis zum Gehalt ist dort deutlich höher.

Und während deutsche Unternehmen vergleichsweise viel für Forschung und Entwicklung ausgeben, deutlich häufiger Patente anmelden und mehr Waren exportieren, gründen die Franzosen ganz schnell neue Firmen. Keine vier Tage dauert das, in Deutschland mehr als zehn.

Die beiden größten Volkswirtschaften Europas wirken wie ein Gegensatzpaar. Gegensätze mögen sich anziehen. Werden sie aber zu groß, so halten Ökonomen dies für schädlich für beide Länder - zumal sie in einer Währungsunion aneinander gebunden sind. Beim deutsch-französischen Ministerrat, der nächste Woche in Paris stattfindet, sollen daher Wege zur "ökonomischen Konvergenz" ausgelotet werden. Doch dabei dürfte es noch bei Absichtsbekundungen bleiben. Denn das - zumindest für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron - eigentliche Ziel eines gemeinsamen EU-Haushalts inklusive massiver Finanztransfers ist für Kanzlerin Angela Merkel politisch so heikel, dass sie sich vor der Bundestagswahl im September kaum auf Konkretes zur gemeinsamen Wirtschaftspolitik einlassen dürfte.

Frankreichs Regierung weiß ohnehin, dass Berlin von ihr die ersten Schritte zur ökonomischen Annäherung erwartet. Obwohl die französische Wirtschaft 2017 Prognosen zufolge um 1,5 Prozent wachsen dürfte - und damit nicht wesentlich schwächer als die deutsche - profitiert das Land weniger vom Aufschwung. Die Arbeitslosigkeit bleibt viel höher als in Deutschland.

Ein Grund dafür ist die fortgeschrittene Deindustrialisierung, die dazu führt, dass die steigende Nachfrage von Unternehmen und Verbrauchern großteils ausländischen Firmen zugutekommt - etwa deutschen. Das wiederum verfestigt das hohe französische Handelsdefizit. Als strukturellen Nachteil gegenüber ihren deutschen Geschäftspartnern und Rivalen werten französische Unternehmen die höheren Abgaben und Steuern. Schließlich sind die Staatsausgaben, gemessen an der Wirtschaftsleistung, links des Rheins weit höher. Und es ist in Frankreich umstritten, ob der Staat für dieses Geld auch bessere Leistungen erbringt - etwa im Schulwesen oder bei der Gesundheitsversorgung. Einer Umfrage des Allensbach-Instituts zufolge sind jedenfalls 47 Prozent der Franzosen für tief greifende Wirtschaftsreformen. In Deutschland befürworten nur 26 Prozent solche Reformen, die oft mit Einschnitten verbunden sind.

Die relativ hohe Veränderungsbereitschaft der Franzosen spiegelte sich im Mai in der Wahl Emmanuel Macrons wider, der daraus ein Reform-Mandat ableitet. Als Erstes möchte der Präsident das Arbeitsrecht lockern. Er hofft, Firmen würden dann mehr einstellen und so zur Senkung der Arbeitslosigkeit beitragen. Allerdings geben Unternehmer in Befragungen nicht das komplexe Arbeitsrecht als wichtigsten Hinderungsgrund für Neueinstellungen an - sondern den Mangel an Fachkräften. Die Bildungsreformen, die Macron plant, schaffen da höchstens langfristig Abhilfe.

Andere Pläne, um den Rückstand aufzuholen, musste Paris bereits vertagen: Die Senkung der Körperschaftsteuer wurde auf 2022 verschoben, ebenso andere Steuer- und Abgabenerleichterungen. Macron steckt im Dilemma: In der Staatskasse fehlen Milliarden. Da der Präsident sein Versprechen an die EU-Partner erfüllen will, das Haushaltsdefizit ab 2017 unter drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu drücken, kann er sich keine unternehmensfreundlichen Steuersenkungen leisten, sondern muss sparen. Das trifft vor allem Beamte.

Deshalb könnte es nicht lange dauern, bis Macron eine alte französische Forderung hervorholt: Deutschland solle nicht Überschüsse horten, sondern seine öffentlichen Investitionen aufstocken. Das helfe auch Frankreichs Wirtschaft. Sollte Merkel diese Logik des Gebens und Nehmens ablehnen, könnte es schwierig werden mit der Konvergenz - auch mit der politischen.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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