Deutschland:Ein Amt recycelt sich selbst

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Warum die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte verschwindet und als Deutsche Rentenversicherung Bund wieder auftaucht

Andreas Hoffmann

Merkwürdig, was manchem zum 1. Oktober einfällt. Stefan Keil denkt bei diesem Datum an eine Bugwelle. Er hat sie kommen sehen, beobachtet, wie sie angeschwollen ist und nun den Höhepunkt erreicht, und so sagt er: "Das wird ein historischer Tag." Keil ist für Öffentlichkeitsarbeit zuständig.

Er sitzt im sechsten Stock eines Bürogebäudes in der Konstanzer Straße in Berlin. Neben ihm liegt ein ausgebreiteter Aktenordner. Man sieht Graphiken, Fotos von Häusern bei Tag und Nacht. Er redet von Logos und Schildern, denn das alles gehört zur Bugwelle von Stefan Keil, die seinen Arbeitgeber erfasst hat: die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA).

Die Behörde, die sich um 25 Millionen Angestellte und neun Millionen Rentner kümmert, die hunderttausende Kuren genehmigt und Rentenbescheide verschickt, verschwindet -- und taucht in neuem Gewand auf: Deutsche Rentenversicherung Bund. Rentenorganisationsreform nennt sich das, und bereits der Name schreckt ab.

Gewandelte Arbeitswelt

Denken doch viele bei der Rente an Milliardenlöcher in der Alterskasse und fürchten die Zeit, wenn sie ihre dritten Zähne nachts im Glas aufbewahren müssen und die Rente nicht reichen könnte zum Leben. Vor der RVOrgG, wie Fachleute das Vorhaben nennen, muss sich kaum einer fürchten, obwohl das Gesetz 86 Artikel und 53 Seiten umfasst und die Begründung weitere 50 Seiten stark ist.

Es ist die wichtigste Neuordnung der Rentenkassen in den vergangenen 50 Jahren, doch dadurch erhält kein Ruheständler weniger Rente, kein Arbeitnehmer muss mehr Beitrag zahlen. Die meisten Menschen werden das Vorhaben vermutlich nicht einmal bemerken.

Manche rätseln über die neu gestalteten Briefe, die sie von ihrem Rentenamt bekommen, über den Briefkopf mit dem gelbgrünen Logo, das 100.000 Euro kostete und Seriosität und Tatkraft ausstrahlen soll.

Oder sie wundern sich, wenn sie die BfA-Telefonnummer wählen und hören: "Deutsche Rentenversicherung Bund. Was kann ich für sie tun? " Ansonsten hat das Vorhaben kaum Folgen, die den Bürgern auffallen werden, was insofern bemerkenswert ist, da viele lange darum gerungen haben: Bund, Länder, Gewerkschaften, Verbände, Personalräte.

Es geht um die Arbeit der Rentenbehörden. Heute sind 26 verschiedene tätig, die BfA betreut die Angestellten, die Seekasse die Seeleute, die Knappschaft die Bergarbeiter, die Bahnversicherungsanstalt die Bahnbediensteten, für die Arbeiter sind weitere 22 Landesversicherungsanstalten (LVA) zuständig, und darüber thront der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) als Ansprechpartner für Journalisten und Politiker.

Unternehmensberater wollten diesen Ämterdschungel schon lange lichten, auch weil sich die Arbeitswelt gewandelt hat. Es gibt immer mehr Angestellte und immer weniger Arbeiter, Seemänner und Bergleute. Und warum gilt der Fahrer eines Supermarkts, behördlich betrachtet, als Angestellter, während sein Kollege von der Brauerei zum Arbeiter wird? Viel Ungereimtes ist da, weswegen etliche Behörden überflüssig sind. Eigentlich.

Aber es gibt auch 75 000 Arbeitsplätze in den Rentenämtern, und es gibt Bundesländer, die ihren Behörden die Jobs sichern wollen. Also entstand ein komplizierter Kompromiss.

Künftig übernimmt die Deutsche Rentenversicherung Bund die Arbeit von BfA und VDR. Daneben entsteht die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft, Bahn, See, die sich um die Beschäftigten dieser Branchen kümmert, und in den Ländern sind die regionalen Ableger der Deutschen Rentenversicherung tätig, welche die heutigen LVA ersetzen, wobei einige zusammengehen; statt 26 Behörden soll es nur 18 geben. Vor allem wird Arbeit umverteilt.

Die umgewandelte BfA soll sich mehr um Statistik, Medien und Politik kümmern. Dafür muss sie in den nächsten 15 Jahren viele Akten abgeben an die anderen Träger. Ob ein Amt gut oder schlecht ist, ob die Sachbearbeiter fix oder schlampig arbeiten, ist egal. Bei der Umverteilung regiert die Quote -- nicht der Wettbewerb.

Herbert Rische schmunzelt. Er sitzt einige Stockwerke unter Stefan Keil in einem langen Raum. An der Seite stehen Stehpult und ein Glastisch, man sieht einen weißen Porzellanbären mit BfA-Logo. Herbert Rische trägt einen Schnurrbart, der lustig auf und ab federt, wenn er redet. Noch ist er der Präsident der BfA, doch bald wird er Chef der Deutschen Rentenversicherung Bund sein. Ein einflussreicher Posten.

Er ist dann der oberste Rentenverwalter der Republik. Sein Wort zählt, wenn die Politiker wieder die Rente reformieren wollen. Rische sagt nicht viel an diesem Tag, nur dass sich wenig ändern wird: "Die BfA geht nicht unter, sie erhält nur einen neuen Namen."

Er ist vorsichtig. Noch ist er nicht gewählt. Er steckt sich eine Zigarette an, holt ein Papier hervor. Der Ablaufplan für den 1. Oktober: elf Sitzungen, von 9.30 bis 19 Uhr. Neue Aufsichtsgremien treten zusammen, alte treten ab. Es wird viel beraten und beschlossen. Reformieren ist kompliziert. Irgendwann wird er Sozialministerin Ulla Schmidt treffen, und Franz Ruland, seinen früheren Konkurrenten um den Posten des obersten Rentenverwalters.

Das ist auch etwas, was verschwindet. Der Wettstreit zwischen Rische und Ruland, dem VDR-Chef. Beide betrieben oft ein Schaulaufen in den Medien oder bei Anhörungen im Bundestag. Erst sagte Ruland Kritisches, dann Rische, und stets waren die Worte ähnlich. Beide pochten auf Unabhängigkeit und gaben das Duett der Rentenmanager. Damit ist es vorbei. Ruland hört auf, Rische übernimmt das Büro, einige Dutzend Mitarbeiter beider Häuser wechseln die Schreibtische.

Ruland lobt die Reform. Er schaut von seinem Schreibtisch auf eine Glasfront mit zehn Fenstern. Auf dem Boden liegen Broschüren und aufgeklappte Akten. Er steht seit 13 Jahren an der VDR-Spitze, hat Blüm, Riester und Schmidt erlebt, und manche sagen, dass er der eigentliche Rentenminister ist, auch weil er auf einem Bierdeckel die Rentenformel erklären kann.

Er spricht davon, dass die Reform 350 Millionen Euro einsparen wird, wobei man sich fragt, wie das gehen soll, wenn die Behörden nur die Arbeit umverteilen und keinem Arbeitnehmer gekündigt werden soll. Er sagt, ohne die Reform wäre die BfA immer weiter gewachsen, und das hätte zum Problem werden können.

Dabei ist die BfA schon heute eine Mammutbehörde. Allein in Berlin hat sie 27 Gebäude an 13 Orten, der gesamte Büroraum umfasst eine Fläche von 50 Fußballfeldern. Sie ist in der Stadt einer der größten Arbeitgeber mit 27.000 Beschäftigten.

Reformieren ist kompliziert

125 Milliarden Euro werden im Jahr umgewälzt, 53 Millionen Postsendungen verschickt, pro Tag 250 000 Blatt Papier und 165 000 Kuverts bedruckt. Im sechsten Stock steht die Hausdruckerei. Briefe und Umschläge drehen sich an kleinen Rädern. Mannshohe 400-Kilo-Rollen spulen Papierbahnen ab. Es wird sortiert und kuvertiert, und manchen beschleicht ein mulmiges Gefühl.

Wie Ulrich Theil. Er ist Vizesprecher der BfA und sorgt sich naturgemäß um das öffentliche Bild seiner Anstalt. Er denkt an die vielen Rentenbescheide, die Reha-Anträge, an 2000 verschiedene Papiervordrucke, 700 elektronische Vordrucke und 600 Computer-Vorlagen, aus denen das Kürzel BfA getilgt werden muss. Ansonsten wären die Briefe ungültig, und in den Zeitungen hieße es: "Rentenamt verschickt falsche Bescheide." Theil erschrickt kurz bei dem Gedanken, aber er erzählt von Probeläufen der Techniker und wird wehmütig, wenn er an das Ende des BfA-Kürzel denkt: "Da verändert sich etwas im Bewusstsein."

Der neue Name ist auch für Stefan Keil ein Problem. Wegen der Schilder und Stempel, die er überall austauschen muss. Ständig rufen unbekannte Leute an, und er wundert sich, was sein Arbeitgeber alles macht. Er schaut auf seine Graphiken und Fotos, überlegt, wo die neuen Schilder an den Gebäuden hängen könnten und erzählt von seinem Sieg über das Bauamt. Es ging um ein Eingangsschild. In meterhohen Bronzebuchstaben stand auf einem Vordach: BUNDESVERSICHERUNGSANSTALT

FÜR ANGESTELLTE. Keil wollte die Buchstaben abnehmen und durch ein Wandschild ersetzen, aber das Bauamt sperrte sich. Nun werden die Buchstaben abmontiert, umgestellt, teilweise neu gegossen und danach aufpoliert, bis über dem Eingang prangt: DEUTSCHE RENTENVERSICHERUNG BUND. Ein Amt recycelt sich selbst.

© SZ vom 1.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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