Deutsche Autokonzerne:Der Vorsprung schrumpft

Lesezeit: 2 min

Die traditionell erfolgreiche Automobilindustrie in Deutschland läuft Gefahr, im globalen Wettbewerb ausgebremst zu werden.

Von Dagmar Deckstein

(SZ vom 10.11.03) — Eine neue Studie zeigt, dass vor allem das Zusammenspiel der Hersteller mit ihren Entwicklungspartnern schlecht funktioniert, was immer häufiger zu Pannen führt.

Rund die Hälfte der in einer Studie befragten Unternehmen aus der Automobilbranche müssen sich Sorgen um ihre Zukunft als Entwicklungspartner machen, da es vor allem beim Projekt- und Prozessmanagement in der automobilen Produktentwicklung hakt.

Die Herausforderungen werden künftig sogar noch größer, weil der Trend zu höherer Variantenvielfalt und damit zu größerer Komplexität der Automodelle anhält.

Die Kernerkenntnis

Dies ist die Kernerkenntnis einer in den nächsten Tagen erscheinenden Studie des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation sowie der Münchner MVI Group, einem international tätigen Dienstleister für die Automobilindustrie, Titel: "Automobilentwicklung in Deutschland - wie sicher in die Zukunft?".

Aus Tiefeninterviews mit 140 Experten von Autoherstellern, Zulieferern und Entwicklungsdienstleistern zogen die Autoren der Studie die Erkenntnis, dass die Automobilentwickler Gefahr laufen, das ganzheitliche technische Know-how und den Kundennutzen aus den Augen zu verlieren.

Projekte starten zu spät

Schwächen offenbarten sich vor allem beim Projektmanagement: Projekte starten zu spät, Entwicklungspartner werden nicht früh genug einbezogen, Festlegungen unterlassen oder übersehen. In der Folge kommt es zu operativer Hektik und Mängeln in der Projektdurchführung.

Das wiederum führe immer häufiger zu Anlaufproblemen in der Produktion, Pannen und teuren Rückrufaktionen bei ausgelieferten Modellen. Allein 2002 zählte das Kraftfahrt-Bundesamt 127 offizielle Rückrufe, mehr als doppelt so viele wie fünf Jahre zuvor.

Zeitdruck mindert Zuverlässigkeit

Das deute darauf hin, so heißt es in der Studie, dass es mit der Entwicklungsqualität auch deutscher High-Tech-Autos nicht zum Besten stünde.

Zeitdruck sowie wachsende Modellvielfalt führten offensichtlich dazu, dass der Reifegrad von Fahrzeugsystemen und deren zuverlässiges Zusammenspiel bei der Markteinführung der Fahrzeuge häufig nicht den Erwartungen der Kunden entsprächen.

Vor dem Hintergrund des verschärften Wettbewerbs und Kostendrucks der Autohersteller haben diese inzwischen 80 Prozent der Wertschöpfung eines Fahrzeugs an Zulieferer übertragen, die für die Entwicklung und Fertigung von Modulen, Systemen und teilweise sogar kompletten Fahrzeugen verantwortlich sind. Der Studie zufolge hapert es aber an der Kooperation in der übergreifenden Automobil-Entwicklung.

Schlechte Kommunikation

Dabei sahen die befragten Experten die größten Schwachstellen beim übergreifenden Projektmanagement sowie bei den Themen "Entwicklungsprozesse" und "Kooperation und Kommunikation".

Zudem belasteten Detailverliebtheit der Konstrukteure und späte Änderungswünsche der Hersteller die Entwickler. Das Verbesserungspotenzial in der gesamten Prozesskette der Fahrzeugentwicklung schätzen die Befragten auf durchschnittlich 27 Prozent.

Sortierungsbedarf

Dietmar Raschke vom Fraunhofer-Institut, der die Studie mit ausarbeitete, vergleicht die Aufgabe der Automobilentwickler in Deutschland mit jener, vor der die Autohersteller vor mehr als zehn Jahren in der Produktion standen: "Es gibt da noch viel Sortierungsbedarf bei der Abstimmung aufeinander aufbauender Abläufe."

Er sieht neue Chancen für Entwicklungsdienstleister, die sich als Generalunternehmer um die bisher vernachlässigte Koordination aller Projektteilnehmer verdient machen könnten.

Besserungspotential in Sicht

Ferdinand Dudenhöffer hingegen, Professor für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule Gelsenkirchen, hält die generelle Gefahr für den Automobil-Entwicklungsstandort Deutschland für nicht so groß, wie die Studie schließen lässt: "Man muss differenzieren nach den unterschiedlichen Kulturen, die in den beteiligten Unternehmen herrschen.

Bei manchen würde es selbst dann nicht klappen, wenn sie die gesamte Entwicklung in der Hand hielten." Besserungspotenzial bei den Automobilentwicklern sieht aber auch der Wissenschaftler: "Auch da können wir von den Japanern lernen - und zwar mehr Disziplin."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: