Der TÜV:Die Allesprüfer

Lesezeit: 6 min

Erst kontrollierte der TÜV Dampfmaschinen, dann Autos - inzwischen zählen auch Spielplätze, Flugzeugsitze oder Kondome zum Repertoire. Die Technischen Überwachungs-Vereine verdienen Millionen mit dem Wissen um die Gefahr.

Sebastian Jost

Rolf vom Stein bricht ein - bei Autoherstellern oder Banken, klaut Designs und druckt Kontoauszüge von wildfremden Menschen aus. Und das alles im Auftrag der attackierten Firmen. Stein ist ein Hacker. Gemeinsam mit elf Kollegen testet der 43-Jährige beim TÜV Rheinland, wie sicher ein Computernetz ist.

In einem TÜV-Labor werden Kondome auf Dichtheit, Reißfestigkeit und die geltende Normgröße hin überprüft. (Foto: Foto: ddp)

Früher hatte ein typischer TÜV-Kontrolleur einen Bremsenprüfstand, einen blauen Arbeitsmantel und eine emotionslose Zahnarztmiene. Heute sitzt er auch mal vor einem Bildschirm in der Größe eines Küchenfensters, trägt ein offenes Hemd mit bunten Längsstreifen und T-Shirt darunter.

Stein steht für den neuen TÜV. Einen TÜV, bei dem immer weniger Mitarbeiter mit Autos oder Kraftwerkskontrollen zu tun haben. Für einen TÜV, der nicht mehr nörgelnd prüft, sondern freundlich erklärt.

Von der Beinahe-Behörde zum modernen Unternehmen

Der TÜV Rheinland zeigt, dass sich eine Beinahe-Behörde in ein Unternehmen mit 728 Millionen Euro Jahresumsatz und mehr als 30 Millionen Euro Vorsteuergewinn verwandeln lässt - ohne auch nur einen Cent auf das hohe Börsenlied der Konzentration auf Kernkompetenzen zu geben: Der TÜV Rheinland schult heute Manager und Lehrlinge, vergibt Qualitätssiegel für neue Elektrogeräte oder für die Organisation einer Firma und fungiert als Unternehmensberater.

Ein bisschen Behördencharme versprüht sie freilich immer noch, die TÜV-Rheinland-Zentrale in Köln. Wenn ein Besucher freitags gegen zwölf Uhr die Drehtür am Fuß des 22-stöckigen Turms ansteuert, strömen ihm Mitarbeiter mit diesem nach Schrebergarten gierenden Blick entgegen.

Hinter der Tür sitzt aber kein mürrischer Amtspförtner, sondern ein freundlicher Herr im Anzug. Und einige Türen weiter, im Vorstandsrestaurant im Erdgeschoss, entscheidet sich Detlev Henze für einen trockenen Weißwein.

Das ist der Wandel des TÜV

"Sehen Sie, das ist der Wandel des TÜV", sagt der Geschäftsführer der Informations- und Technologie-Sparte und deutet um sich: Tische aus schwarzem Edelholz, plüschige Stühle, Ober mit Serviette über dem Arm, Platzteller mit runden Deckchen drauf, damit der Spargelteller beim Abstellen nicht klirrt.

"Früher haben wir oft nur den Finger in die Wunde gelegt", sagt Henze. "Bei den Autos zum Beispiel. Wir haben den Schraubenzieher in ein Blech reingehauen und gesagt: Das Ding ist kaputt." Henze beugt sich weit nach vorn und klopft mit der Handkante auf die Tischplatte, als wollte er zeigen, wie weit der TÜV Rheinland diese Vergangenheit hinter sich gelassen hat. "Heute wollen wir auch Hilfestellung geben, wie es besser gemacht werden kann."

"Jetzt räumen wir gemeinsam wieder auf"

Und das ausgerechnet mit Hackern, die nach Henzes Meinung eine "destruktive Grundhaltung" brauchen. Sie müssen die Sicherheitsschranken einreißen, die die Firmen mühsam aufgebaut haben. "Danach sagen wir: Jetzt haben wir das System in Schutt und Asche gelegt, jetzt räumen wir gemeinsam wieder auf."

Deshalb sei nicht jeder Hacker für den Job beim TÜV gemacht, sagt Stein. Man müsse das Unternehmen verstehen und Empfehlungen geben können. "Wir sind nicht die Typen, die als Jugendliche nachts mit Pizza und Cola den Nasa-Computer gehackt haben." Inzwischen hackt Stein aber sehr wohl zur Schlafenszeit, manchmal zumindest. "Nachts kommen einem oft die besten Ideen", sagt der Familienvater. "Und ein Wochenende geht auch schon mal drauf."

Ein TÜV-Prüfer checkt ein Fahrgeschäft auf der Kirmes in Düsseldorf auf mögliche Materialschwächen. (Foto: Foto: dpa)

Vor 20 Jahren sah die TÜV-Welt noch anders aus. Die Technischen Überwachungs-Vereine, die im 19. Jahrhundert alle als Dampfmaschinen-Kontrolleure angefangen hatten, waren in ihrer Region Quasi-Monopolisten, prüften in staatlichem Auftrag Autos und Industrieanlagen, zum Beispiel Kraftwerke.

Fusionen waren unvermeidlich

Doch dann kam der Wettbewerb. 1989 hielt er Einzug in der Kfz-Prüfung. Fusionen waren unvermeidlich: Wo es Anfang der neunziger Jahre zwölf Vereine gab, sind heute noch drei große TÜV-Gruppen übrig: Nord, Süd und Rheinland. Nur der TÜV Saarland ist noch allein.

Und schon naht neues Liberalisierungs-Ungemach: Bis 2008 fallen die letzten Monopol-Bastionen bei der Prüfung von Industrieanlagen, derzeit noch eine sprudelnde Geldquelle für die Vereine. Zahlreiche Konkurrenten aus dem In- und Ausland stehen nun bereit.

Kampf um jeden Kunden

"Früher konnten die Kfz-Prüfer sich auf der Prüfstelle hinsetzen und warten, bis jemand zur Hauptuntersuchung kam", sagt Dietrich Schallehn, der für die Gewerkschaft Verdi die TÜV im Auge behält. "Heute kämpfen sie in den Werkstätten um jeden Kunden." Inzwischen hat der TÜV Rheinland samstags geöffnet, kontrolliert auf Wunsch gleich noch die Stoßdämpfer oder schätzt den Wert eines Gebrauchtwagens.

Die Kontrolleure sind auf Kundenfreundlichkeit getrimmt. Ihre Bezahlung richtet sich nicht mehr nach einer bürokratischen Landesbesoldungsordnung, sondern zu einem Gutteil nach ihrer Leistung: Wenn die Umsätze sprudeln, können die Prüfer leicht mehr verdienen als früher. "Inzwischen sehen die Mitarbeiter die Veränderungen nicht mehr mit Angst und Schrecken", sagt Gewerkschafter Schallehn. "Man gewöhnt sich dran und sieht auch die Chancen für sich selbst."

Die Umwälzungen der vergangenen zwölf Jahre gingen vom 22. Stock des TÜV-Turms aus. Dort sitzt zwischen Rednerpult, Flip-Chart und einem wuchtigen schwarzen Schreibtisch der 62-jährige Vorstandschef Bruno Braun.

Wort gehalten

Der Energietechnik-Professor mit dem buschigen Schnurrbart und der sonoren Stimme war 1993 angetreten, um den TÜV Rheinland zu verändern. Und er hat Wort gehalten. Seinen TÜV verschmolz er mit den Pendants in der Pfalz und in Berlin und Brandenburg.

Das Sammelsurium aus Tochtergesellschaften sortierte er neu. Gab es früher vier oder fünf Auslandsbüros, so arbeitet die Firma heute in 54 Ländern, erzielt mehr als ein Drittel des Umsatzes im Ausland und beschäftigt dort annähernd die Hälfte ihrer 8700 Mitarbeiter. "Wir haben uns einfach nach dem Markt gerichtet, nicht nach der Tradition", sagt Braun und lehnt sich zurück. "Wir glauben, dass wir relativ innovativ sind, das muss man schon sagen."

Marktanteil gesunken

Was bleibt den TÜV auch anderes übrig? Denn mit Autoprüfungen allein kann man sich "keine goldene Nase mehr verdienen", wie Braun meint. Vor 16 Jahren hatten die TÜV bei der zweijährlichen Hauptuntersuchung noch einen Marktanteil von mehr als 80 Prozent - heute sind es noch 44 Prozent, die Kraftfahr-Sparte des TÜV Rheinland schrieb zuletzt sogar Verluste.

Autos mit abgelaufenen Plaketten fahren zu kleinen Prüforganisationen wie GTÜ oder KÜS - oder zum traditionellen TÜV-Widersacher Dekra. Ein Problem der TÜV: Sie dürfen nach wie vor nur in ihrem Vereinsgebiet Autos prüfen, ein Überbleibsel ihrer Sonderstellung.

"Ein Spediteur will sein Kraftfahrzeug aber dort prüfen, wo er gerade Luft hat", sagt Braun. "Das ist mal in Köln, mal in München, auch mal in Berlin." Dekra und Co. dürfen überall Plaketten verteilen, die einzelnen TÜV nicht. Das störte Braun schon vor Jahren. Ihm schwebte ein gemeinsamer "TÜV Kraftfahrt Deutschland" vor. "Ich hab's lange probiert", sagt Braun und zuckt mit den Schultern. "Es gab immer Partikularinteressen."

Die Rheinländer traten aus

Gewerkschafter Schallehn formuliert es so: "Auf der Vorstandsebene sind da lauter alte Herren, die die Macht nicht untereinander teilen wollen." Vor Gericht stritten die Vereine, ob der TÜV Rheinland allein unter der Internetadresse www.tuv.com auftreten darf. Vergangenen Sommer traten dann die Rheinländer aus dem gemeinsamen "Verband der TÜV" aus.

Weil also der Wettbewerb das klassische Prüfgeschäft vermasselt, müssen neue Geldquellen her. Zum Beispiel eine Kammer, die aussieht wie ein wohnzimmergroßes Waffeleisen. Die Wände sind ausgekleidet mit schwarzen, etwa 30 Zentimeter hohen Styropor-Zacken. In diesem Waffeleisen testet der TÜV Rheinland, ob die Magnetfelder um ein Elektrogerät Schaden anrichten, ob sie etwa einen Herzschrittmacher stören könnten.

Ein paar Türen weiter lassen die Tester die Bremsstopper von Inline-Skates gegen eine Bordsteinkante donnern, daneben rattert eine Bohrmaschine im Dauertest. Die meisten Prüfungen sind nicht vorgeschrieben - den Unternehmen geht es um ein Qualitätssiegel, zum Beispiel das "GS"-Zeichen.

Weiteres Tätigkeitsfeld

In den siebziger Jahren entdeckte der TÜV ein weiteres Tätigkeitsfeld für sich. Damals hätten viele Industriebetriebe keine Lust mehr gehabt, eine Maschine einfach rattern zu lassen, bis sie den Geist aufgibt, sagt Michael Schmidt, Vertriebschef der Sparte Bildung und Consulting. Die Firmen wollten wissen, welche Lager oder Getriebe sie ab und zu ölen müssen, damit die Maschine länger läuft.

Die Hersteller aber hatten wenig Interesse, den Mechanikern das beizubringen. "Die wollten vor allem neue Anlagen verkaufen", sagt Schmidt. "Aber wir vom TÜV kannten die Geräte auch gut, weil wir sie ja geprüft haben." Also gründete man die TÜV-Akademie. Heute residiert die Sparte in Köln in einem kreisrunden Glasbau hinter dem TÜV-Turm.

"Die Leute fragen nicht: Kann der TÜV das?", meint Schmidt, "sondern sagen: Der TÜV kann das, sonst würde er es nicht anbieten." Denn die Prüfer mit dem Schraubenzieher im Autoblech hatten auch ihr Gutes: Sie haben dafür gesorgt, dass der TÜV für Sicherheit und unbestechliche Kontrolle steht. "Dieses Image kann man problemlos auf viele Felder ausdehnen", meint der Kölner Produktpolitik-Professor Udo Koppelmann.

Mit dem Zertifikat auf Werbefeldzug

So attestierte der TÜV Süd, die Münchner Konkurrenz der Rheinländer, im vergangenen Jahr der Commerzbank, dass deren Anlageberater keine hauseigenen Fonds bevorzugen, sondern neutral beraten. Die Bank ging mit dem Zertifikat auf Werbefeldzug. "Die Kunden haben natürlich ein Interesse daran, mit der Marke TÜV zu werben", sagt Rainer Strang, Kommunikationschef beim TÜV Süd.

Allerdings müssten die Vereine aufpassen auf ihre Marke, "damit nicht der Eindruck entsteht, da steckt der billige Jakob dahinter". Deshalb sind die Technischen Überwachungs-Vereine auch ständig hinter windigen Buben her, die gefälschte TÜV-Siegel auf ihre Elektrogeräte oder Maschinen kleben - und bleiben nach eigenem Bekunden hart, wenn ein Kunde um eine Plakette bettelt. "Ein schnelles Geschäft lohnt sich nicht", sagt Strang, "denn dann sind die drei Buchstaben bald nichts mehr wert."

© SZ vom 06.08.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: