Der Riesenvogel:Zu kurz, zu dick, zu hoch

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Für die einen ist der A380 ein Wunder, für die anderen eine fliegende Leberwurst — der europäische Prestigeflieger staubt in allen Kategorien Bestnoten und Superlative ab.

Von Sibylle Haas

Toulouse, 18. Januar - Schon die Anreise zu diesem Mega-Ereignis fiel aus dem Rahmen. Viele der mehr als 5000 Gäste, darunter allein 900 Journalisten, kamen zu spät.

Der Riesenvogel von hinten betrachtet. (Foto: Foto: AP)

Busse und Autos umkurvten immer wieder die Endmontagehalle in Toulouse, weil die Gendarmerie sie nicht passieren ließ.

Ohne Namensschild sollte keiner auf das Gelände des europäischen Flugzeugbauers Airbus gelangen, doch die Schilder gab es in der Halle, wo an diesem regnerischen Dienstag das Flugzeug der Superlative präsentiert wurde.

Bestnoten wollten die Veranstalter wohl auch bei der Sicherheit einheimsen und orderten einen Haufen Polizisten an. Dass mancher Gast dann lediglich die Monatskarte seines heimischen Verkehrsverbundes zur Identifizierung vorlegte und damit auf das Gelände kam, war kurios.

Von Ikarus, Feen und Elfen

Die Endmontagehalle in Toulouse, in der der neue Airbus noch versteckt steht, ist in blaues Licht gehüllt.

Nebelschwaden steigen auf, und ein computeranimierter übergroßer Magier taucht auf einer Leinwand auf. Er erzählt von Ikarus, dem Pionier unter den Fliegern, der zu hoch flog und dessen Flügel die Sonne zerschmolz.

Feen und Elfen schweben über die Bühne, Wasserspiele entführen die Zuschauer in eine ferne Märchenwelt. "Der Mensch ist zu allem in der Lage", sagt der Magier bedächtig und beschwört "die Vision der Gemeinsamkeit" herauf.

Gemeinsamkeit war ein Wort, das oft fiel bei dieser Show, die den A380 als das größte Industrieprojekt Europas feiert. Als sich der Vorhang hebt und der dicke Vogel zu sehen ist, beginnt so etwas wie ein Tanz um das Goldene Kalb. Selten zuvor haben die Staatschefs so viel Einigkeit gezeigt wie bei der Vorstellung dieses gemeinsamen Projekts.

Mit dem ersten durchgängig zweistöckigen Flugzeug, das mit Bars, Fitnessräumen, Shops und vielem mehr bestückt werden kann, soll ein neues Zeitalter in der Luftfahrt beginnen.

Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach von einem "großen Tag für Europa" und von einem Triumph der europäischen Wissenschaft und Ingenieurkunst. "Es mag sein, dass wir nach den Sternen in der Industriepolitik gegriffen haben, aber wesentliche Teile haben wir in der Hand", sagte er.

Der A380 — ein Ergebnis europäischer Zusammenarbeit. (Foto: Foto: dpa)

Als Jacques Chirac, Tony Blair, Gerhard Schröder und José Luis Rodriguez Zapatero das Flugzeug vor den Augen Tausender enthüllen, da eint sie nicht nur diese Tat. Sie eint das Staunen und das Lob über diesen Flieger, dem größten, der bisher für die zivile Luftfahrt gebaut worden ist.

Nicht an Lob gespart

Mehr als 500 Passagiere passen in die Grundversion des Airbus A380, je nach Ausstattung sollen es sogar mehr als 800 sein. Allein die Spannweite der Flügel von 80 Metern gilt als technisches Wunderwerk. Zahlen, die bisher alles je Dagewesene im Luftverkehr übertreffen.

Von einem menschlichen und industriellen Abenteuer und einem Moment starker Emotionen und des großen Stolzes sprach der französische Staatspräsident Chirac.

Mit Lob über die Technik und die Wirtschaftlichkeit sparten auch die Chefs der inzwischen 14 Fluggesellschaften nicht, die den A380 bestellt haben. Sie alle waren anwesend, doch zu hören waren ihre Statements nur über große Leinwände.

Überhaupt wurde keine Bestnote ausgelassen bei der Bewertung dieses Gesamtkunstwerks. Nur eines wurde nicht erwähnt: Der A380 erfüllt auch in ästhetischer Hinsicht einen Superlativ, denn er gehört zu den hässlichsten Flugzeugen der Neuzeit.

Europa hat die USA vom Podest gestoßen

Das Flugzeug ist zu kurz, zu dick, zu hoch. Es sieht aus wie eine fliegende Leberwurst, deren Zipfel verrutscht ist - oder wie ein Elefant, dessen Rüssel traurig nach unten hängt. So ist der A380 eigentlich viel mehr ein "Jumbo" als die dagegen schlanke Boeing 747. Der A380 - ein trauriger Elefant?

Nein, all dies soll bei der feierlichen Enthüllung nicht gesagt werden, die Staatschefs sind im Gleichklang. Vergessen sind die Tage, als Divergenzen bei der Irak-Politik für einen eisigen Wind sorgten und sich ein Graben durch Europa zog. Heute eint sie der "Sieg".

Denn Europa hat Amerika vom Podest gestoßen und ein Monopol gebrochen bei einer Sache, die wie kaum eine andere für die Freiheitswerte der Amerikaner steht.

Das Ergebnis staatlicher Hilfen

Mobilität symbolisiert deren way of life. Diese als Grundrecht empfundene Beweglichkeit ist ein Grund dafür, dass die amerikanischen Flugzeugbauer schon lange mit der Unterstützung ihres Staates rechnen dürfen.

Dies hat zu Pionierleistungen geführt, zu denen auch der Boeing-Jumbo 747 zählt. Er war mit etwas mehr als 520 Flugsitzen das bisher größte Flugzeug auf Langstrecken. Nun ist es der Airbus aus Europa.

Die alte Welt hat also von der neuen gelernt. Denn der A380 ist das Ergebnis staatlicher Hilfen. Ohne Unterstützung der vier Airbus-Länder Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Spanien hätte das Zwölf-Milliarden-Euro-Projekt nicht gestemmt werden können.

In 16 verschiedenen Werken gebaut

Es gilt aber auch als die umfassendste Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg: Immerhin wird das Flugzeug in 16 Airbus-Werken gebaut. Französische Zeitungen sprechen deshalb von einem glorreichen Tag.

Airbus-Chef Noël Forgeard jedenfalls nutzte die Feier für einen großen Auftritt. Dieses Ereignis ist wichtig für ihn, denn im Sommer wechselt er an die Spitze der EADS. Neben dem britischen Flugzeugbauer BAE ist EADS immerhin der mit 80Prozent größte Airbus-Aktionär.

Es ist ein Posten, den Forgeard sich mit harten Bandagen erkämpft hat. Es war ziemlich unfreundlich, wie er nicht nur seinen Vorgänger bei der EADS, Philippe Camus, vom Sockel stieß, sondern anschließend dann auch noch den Anspruch erhob, alleiniger Chef zu sein. Doch EADS-Großaktionär DaimlerChrysler begehrte auf, und so gibt es weiterhin eine deutsch-französische Doppelspitze.

Ein echtes europäisches Unternehmen

Der A380 wäre ohne die Bereitschaft des Managements zur Zusammenarbeit nicht möglich gewesen, betonte denn auch Bundeskanzler Schröder in Toulouse. "Das ist ein hohes Gut, und das darf nicht in Frage gestellt werden", sagte er.

Der Super-Airbus mag technisch ein großer Erfolg für Europa sein, doch im Machtkampf um die Führungsspitze des Konzerns hat sich gezeigt, dass die alte Welt doch noch kein echtes europäisches Unternehmen hat.

© SZ vom 19.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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