Der neue Wirtschaftsminister:"Habe immer noch das Gefühl, ihn beschützen zu müssen"

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Nach einigen Patzern wird Michael Glos als schwächste Figur im Kabinett gehandelt - bei seiner Reise in Asien kommt er aber gut an, vor allem bei den Mittelständlern.

Nina Bovensiepen

Es sind drei kichernde Japanerinnen, die das Eis bei Michael Glos an diesem Tag brechen. Zufällig sind die jungen Damen auf die Party im Spiral Garden in Tokio geraten, einem schicken Ausstellungsforum, wo aus Anlass des Besuchs des deutschen Wirtschaftsministers eine Modenschau stattfindet.

Als Glos gerade gehen will, stehen die drei kleinen Asiatinnen vor ihm. Sie brechen in verschämtes Kichern aus, als sie hören, was für ein wichtiger Mann die "Langnase" ist, in deren Arme sie fast gestolpert sind.

Kaum wiederzuerkennen

Und da fällt von dem Minister plötzlich die Anspannung des Tages ab, die stoische Mimik macht einem breiten Lächeln Platz, die verschränkten Arme öffnen sich, scherzend und schäkernd posiert er mit den Damen für die Fotografen und überreicht den immer noch ki-chernden Japanerinnen am Ende das ge-wünschte Autogramm.

So gelöst war Michael Glos in letzter Zeit selten zu sehen. Der CSU-Politiker, der im neuen rot-schwarzen Kabinett die Wirtschaft vertreten soll, war in den vergangenen Wochen ohnehin kaum wiederzuerkennen.

Bei seinem Start im Ministeramt galt der langjährige Chef der CSU-Landesgruppe als listiger Strippenzieher: bekannt und gefürchtet für seine krachledernen Attacken gegen Widersacher aber vor allem gerühmt für sein in Jahrzehnten entwickeltes politisches Gespür.

Doch seitdem Glos vor knapp fünf Monaten nach dem plötzlichen Abgang Edmund Stoibers aus Berlin für den CSU-Chef als Ersatz eingesprungen ist, hat sich dieses Bild radikal gewandelt. Zuletzt war etwa von dem "Lehrbub" zu lesen, der irrlichternd seine neue Rolle suche, sogar über mögliche Nachfolgekandidaten für Glos wurde schon spekuliert.

In den wenigen Wochen seines Wirkens ist eine lange Liste mit Verfehlungen, Versprechern und unglücklichen Vorstößen zusammengekommen; sie reicht von missverständlichen Äußerungen zur Lohnentwicklung über heikle Zahlendreher, den ungeschickten Umgang bei der Besetzung von Staatssekretärsposten und misslungene TV-Auftritte.

Selbst Glos bestreitet inzwischen nicht mehr, dass sein Start im neuen Amt - gelinde gesagt - unglücklich verlaufen ist.

"Der ist durch"

Der neue CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer erklärte den Wandel seines Vorgängers kürzlich so: "Bei Michael Glos kann man beobachten, wie es ist, wenn man ein politisches Schwergewicht in einen bürokratischen Käfig hineinzwängt."

Da krache und scheppere es nun mal, sagte Ramsauer. Nach seiner Erfahrung seien aber am Ende oft diejenigen am erfolgreichsten, "die am Anfang am allermeisten geprügelt worden sind".

Diesen Glauben teilt indes nicht jeder. "Der ist durch", heißt es bei einem wichtigen deutschen Wirtschaftsverband. Von einem "verheerenden Start" und der "schwächsten Figur im Kabinett" ist dort die Rede.

Beim traditionellen Politiker-Derblecken auf dem Münchner Nockherberg hatte Fastenprediger Bruno Jonas für den Minister das Verb "glosen" entdeckt, das für glimmen stehe.

"Das ist der Zustand, wenn ein Feuer ganz heruntergebrannt ist", so der Kabarettist. Glos war auf dem Nockherberg nicht anzusehen, ob ihn das traf. Vertraute sagen, die Frotzeleien hätten ihm nichts ausgemacht - sie beteuern, dass ein glimmendes Feuer ja auch wieder aufflammen könne.

Wenn das bei Glos der Fall sein sollte, dann sprühen ein paar erste Funken vielleicht auf dieser Auslandsreise des Ministers. Mit einer großen Wirtschaftsdelegation ist er die vergangenen vier Tage durch Asien gereist und hat ein straffes Programm absolviert: In Singapur hat er eine Messe eröffnet, in Tokio ein Luftfahrt-Symposium, er hat ausländische Ministerkollegen und deutsche Botschafter getroffen, ein Toyota-Werk besichtigt und sich über das Wirken von Lufthansa, DHL und VW in Asien unterrichten lassen - und bei all dem nach Eindruck vieler Mitreisender eine gute Figur gemacht.

Das meint zum Beispiel Johann Wilhelm Arntz. Der quirlige, ältere Herr hat die Geschäfte in seinem mittelständischen Betrieb für Metallsägetechnik vor einiger Zeit an seinen Sohn übergeben, der das Unternehmen in siebter Generation führt.

Interessantes Gespann

Nun fährt er mit dem Minister auf Reisen. "Wir schätzen, dass der Wirtschaftsminister ein echter Mittelständler ist", sagt Arntz über den gelernten Müllermeister Glos, der die Führung des familieneigenen Getreidemühlen- und Landwirtschaftsbetriebs ebenfalls an den Sohn abgegeben hat.

Zudem strahle der Minister eine gelebte Ruhe und Beständigkeit aus, "und was wir brauchen, ist Kontinuität", erzählt Arntz, der keine Gelegenheit auf der Reise verstreichen lässt, Glos die Sorgen und Wünsche des deutschen Mittelstands darzulegen.

Von der Art des Herrn Arntz gibt es einige Vertreter auf dieser Reise, und viele von ihnen sehen den neuen Minister beileibe nicht nur in positivem Licht.

Allesamt sind sie jedoch froh darüber, dass es mit Glos endlich überhaupt wieder einen Minister gibt, der ihre Interessen vertritt. Eine richtige Unzufriedenheit hat sich aufgestaut, dass dies die letzten Jahre anders war.

Tatsächlich hatte Arbeits- und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) in seiner Amtszeit vor allem mit Hartz I bis IV zu kämpfen. Und dessen Vorgänger, Werner Müller, habe vielleicht die Interessen der Energiekonzerne vertreten, viel mehr aber auch nicht, klagen die Unternehmer.

Auch Jürgen Thumann, der Vorsitzende des einflussreichen Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), ist voll des Lobes für den neuen Wirtschaftsminister.

Thumann und Glos treten auf dieser Reise häufig gemeinsam auf, und der wichtige Wirtschaftslobbyist und der neue CSU-Politiker bilden dabei ein interessantes Gespann. Von Thumann ist bekannt, dass er - anders als manch anderer Verbandspräsident - große Stücke auf Glos hält.

Im Januar vergangenen Jahres, als Glos noch Landesgruppenchef und Thumann gerade neu im Amt war, hatte der Politiker den BDI-Chef zur CSU-Klausurtagung nach Kreuth eingeladen. Daraus hat sich ein Vertrauensverhältnis entwickelt.

Glos unterstützte den BDI-Chef beispielsweise am Anfang darin, in den politischen Betrieb hineinzufinden. Inzwischen ist Thumann in seine Rolle hineingewachsen, während Glos sich in vieles noch finden muss - und so wirkt der politisch beschlagene Minister bei gemeinsamen Pressekonferenzen in Tokio oft täppischer als der trittsichere BDI-Chef.

"Ich habe immer noch das Gefühl, ihn beschützen zu müssen", hat kürzlich ein Sozialdemokrat über Glos gesagt, und das, obwohl der Genosse sich noch gut an die Zeiten erinnert, als der CSU-Politiker die Sozen am liebsten mit Häme übergoss und Grünen-Chef Joschka Fischer im Zuge der Visa-Affäre sogar mal als Zuhälter beschimpfte. Ein anderer führender SPD-Mann sorgt sich gar, dass der Minister depressiv sein könne.

Glos würde das bestreiten. Er beteuert neuerdings gerne, dass ihm sein neuer Job von Tag zu Tag mehr Spaß mache. Im Gegensatz zu den ersten Wochen seiner Amtszeit sind auch Veränderungen spürbar. Zum Beispiel passieren ihm nicht mehr solche Patzer wie etwa bei der Vorlage des Jahreswirtschaftsberichts.

Da ließ der Minister zum Wirtschaftswachstum sein Bauchgefühl sprechen und verkaufte seine optimistische Einschätzung dann als "persönliche Prognose".

Vor japanischen Journalisten und Korrespondenten in Tokio arbeitet er sich zwar wenig ambitioniert, aber souverän durch Fragen zur europäischen Zinspolitik, zum Atomkonflikt mit Iran, zur deutschen Energie- und Gesundheitspolitik, den Welthandel und die Probleme mit der chinesischen Fälschungsindustrie. Wenn es heikel wird, greift er lieber zu politischen Floskeln, als Gefahr zu laufen, in ein Fettnäpfchen zu treten.

Auch hier, fernab des koalitionären Alltags in Berlin, macht Glos außerdem deutlich, mit welchen Themen er künftig sein noch nicht klar erkennbares Profil zu schärfen gedenkt.

Das ist erstens die Atompolitik. In Richtung seines streitbaren Kabinettskollegen, Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD), warnt er vor dem deutschen Sonderweg, die Kernkraft aufzugeben.

Und das ist zweitens der Kündigungsschutz, über den der Wirtschaftsminister notfalls mit Arbeitsminister und Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) einen Konflikt riskieren will. "Wir müssen auf dem Arbeitsmarkt die Fesseln lockern, und wenn wir das für falsch halten, was im Koalitionsvertrag vereinbart ist, müssen wir das Gesetzgebungsverfahren aufhalten", sagt Glos.

Beide Themen bergen Sprengstoff für das schwarz-rote Projekt, in beiden hat Glos sich schon heftige Rüffel eingefangen - an beiden könnte er in nächster Zeit aber auch seine Position innerhalb des Kabinetts und als Wirtschaftsminister unter Beweis stellen.

Er wisse zwar, dass die Menschen von der großen Koalition Harmonie erwarteten, diktiert Glos dem Journalistentross zwischen Tokio und Nagoya in den Block. Und er wolle auch keinen Streit um des Rumpelns willen. "Aber wenn es darum geht, etwas durchzusetzen, dann stelle ich meine Meinung nicht zurück", sagt er.

Als er das Amt von Clement übernahm, hatte Glos gesagt, er wolle im Sinne Ludwig Erhards die mahnende und intervenierende Stimme in der großen Koalition sein.

Am eigenen Anspruch hat sich trotz des missglückten Starts offenbar nichts geändert. Das zeigt sich auch, wenn bei dem Minister sein Humor durchschlägt, was neuerdings wieder öfter passiert.

Etwa beim Empfang des deutschen Botschafters in Tokio. Wie der Kirschbaum im Garten der Botschaft seien dank Glos' Besuch die deutsch-japanischen Beziehungen erblüht, lobte der Gastgeber da den aus Bayern stammenden Minister. Glos erwiderte: "Die Blüte kommt von Süden nach Norden, das ist bei uns in Deutschland auch so."

© SZ vom 25.03.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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