Der neue SAT.1-Chef:Goldene Blume aus Zürich

Lesezeit: 5 min

Von der Schweiz in die weite Welt: Roger Schawinski und seine Karriere bei Sat1.

Von Hans Leyendecker und Hans-Jürgen Jakobs

(SZ vom 13.12.03) — Vor einer Woche hatte Roger Schawinski seinen ersten großen Auftritt in der feinen Berliner Gesellschaft. Er nahm samstags an einem europäisch-israelischen Dialog der Axel Springer AG teil.

Roger Schawinski, Eidgenosse, neuer SAT.1-Chef (Foto: Foto: AP)

Joschka Fischer war ebenso erschienen wie Kabinettsmitglieder aus Israel. Schawinski fiel in dieser Runde auf, da er keinen dunklen Anzug mit Krawatte trug - der neue Chef des Privatsenders Sat 1 kam in hellem Sakko mit offenem Hemd.

Der Schweizer, der an seinem zweiten Arbeitstag eigentlich auf Büro-Leben eingerichtet war, hatte von dem Termin nur zufällig erfahren, war dann aber flugs zu Springer geeilt. Immerhin war ja auch sein Chef Haim Saban da: Dem folgte der 58-jährige Medienmanager beharrlich, wie die Runde kolportierte.

Schlechter Start

Der Neue aus der Schweiz hatte in Deutschland keinen guten Start. Als er kam, meldete sich Harald Schmidt ab. Der war offenbar über die Auswechslung des bisherigen Sat1-Chefs Martin Hoffmann verärgert. Solche Probleme aber machen Schawinski nur mehr Lust auf Arbeit - diesen Eindruck vermittelt er im Gespräch. Er habe ja "nicht die Möglichkeit gehabt, sich mit Schmidt zu verkrachen", erzählt er: "Ich glaube, ich bin in Deutschland richtig angekommen.

Nach einer Woche kennt mich eine breitere Öffentlichkeit." Der Mann war "Frührentner", wie er selbst in seiner regelmäßigen Kolumne für die Weltwoche schrieb, nun aber kann er im zweithärtesten TV-Markt der Welt zeigen, was in ihm steckt: "Ich kenne das Fernsehen, liebe die Arbeit im Team und habe Bezug zu allen Genres im Fernsehen. In der Schweiz gelte ich als jemand, der Stars macht."

Pionier Schwawinski

Vor allem hat Schawinski 1979 im italienisch-schweizerischen Grenzgebiet auf dem 2948 Meter hohen Pizzo Groppera den Rundfunksender Radio 24 hingepflanzt, der die halbe Schweiz beschallte und somit privaten Rundfunk ins Land brachte. Er war auch Pionier im Kommerz-TV, doch vor zwei Jahren musste sein Sender Tele 24 aufhören.

Über die Vorbereitungen zur letzten Sendung berichtete die Neue Zürcher Zeitung: "Bringen wir den zu Tode gequälten Hund in Solothurn?", habe ein Verantwortlicher in der Morgensitzung gefragt. Dann sei es ums "Witwenschütteln" gegangen: Jemand sollte sich um Absturzopfer eines Flugzeugunglücks kümmern - also Witwen befragen, ob sie Bilder der Toten herausgeben.

Kurz vor Sendebeginn sei noch der Beitrag über einen Schüler fertig geworden, der eine Schülerin vergewaltigt hatte. Die "Faktenlage" sei dünn gewesen, so die NZZ, aber "Emotionen sind da. Immerhin". Immerhin hat Schawinski in dem 7,2-Millionen-Land seine Kolumnen in der Weltwoche in der Art der persönlichen Briefe von Franz Josef Wagner in Bild geschrieben.

Schüchterner Selbstzweifler

Das Primäre ist das Geplauder, wie in einer Bar; das Sekundäre: das Worüber. Am 30. Januar riet Schawinski etwa einem ehemaligen Chefredakteur des Boulevardblattes Blick, der nun in der PR-Branche arbeitet, "den Beruf zu wechseln und am besten wäre es, wenn Du gleich die Ingrid wechseln würdest.

Aber bitte: Sag ihr nichts davon." Der Ex-Blick-Mann antwortete dem "lieben Roger" im Februar: "Bei schüchternen Selbstzweiflern wie dir gehört... Gedächtnisschwund zur Tagesordnung. Jetzt warte ich eben darauf, dass du neuer Intendant von Sat 1 wirst."

Es gibt eben in der überschaubaren helvetischen Branche Cliquen, die sich mit boshafter Polemik überziehen. Schawinski sei ein Mann, der in der Schweiz eine Garage gemietet habe, um Autos zu reparieren und jetzt in Wolfsburg Chef von VW geworden sei, sagt ein in der Schweiz bekannter Schreiber. Wenn aber die SZ seinen Namen veröffentliche, reagiere Schawinski, und mit dem wolle er sich "wirklich nicht länger beschäftigen".

Das Motivationstalent

Schawinski sei tüchtig, er brenne, er könne motivieren, widerspricht dessen Freund Roger de Weck. Der frühere Chefredakteur der Zeit joggt mit dem TV-Mann, was Schawinski in seiner Kolumne verarbeitet: "Donnerstag. Am Morgen Joggen mit Roger de Weck. Sonst lösen wir auf einer Runde jeweils die Probleme der Welt...Sonntag.

Am Morgen wieder Joggen mit Roger de Weck." Vorher hatte Schawinskis Frau Gabriella "ihren großen Auftritt bei der Expo". Auch notierte ihr Mann: "Mittags im Zoo mit Gabriella und Lea. Schneeleoparden in ihrem neuen Gehege."

Anders als die Österreicher haben es die Schweizer nicht geschafft, die Bundesrepublik medial zu erobern. Wenn Schweizer Journalisten mal in Scharen kommen, schauen sie sich Urlaubsziele an. Da gerade die Eidgenossen "sehr fleißige Berichterstatter sind, wird es sicher auch bald Gästezuwachs aus unserem südlichen Nachbarland geben", vermerkte neulich der Tourismusverband "Insel Usedom" in einer Pressemitteilung.

Schweizer Zwergmedien

Über den "Schweizer Journalismus zwischen gestern und morgen" hat vor ein paar Jahren der Schweizer Professor Roger Blum einen lesenswerten Aufsatz verfasst. Seine Schlussfolgerung: "Der Schweizer Journalismus spielt sich erstens zu einem beträchtlichen Teil in Zwergmedien ab. Der Schweizer Journalismus ist zweitens überdurchschnittlich stark mit der Politik verbunden. Der Schweizer Journalismus hat sich drittens erst spät professionalisiert."

These eins: 140 der 196 Schweizer Zeitungen haben eine Auflage von höchstens 15000 Exemplaren. These zwei ist überholt: Mittlerweile sind einige Blätter stärker mit der Wirtschaft als mit der Politik verbunden. So ist die Weltwoche, die jetzt 70 Jahre alt wurde, zum Propaganda-Blatt des Rechts-Populisten Christoph Blocher verkommen.

Einst schrieben hier Golo Mann, Friedrich Dürrenmatt oder François Bondy. Die neue Weltwoche aber sei, so Klaus Harpprecht, "ein Anschlag auf den Journalismus". Blums dritte These, die von der späten Professionalisierung, hängt damit zusammen, dass Journalismus in der Schweiz früher eine Art Freizeitbeschäftigung war. Erst 1965 entstand die erste Journalistenschule. Die Schweizer Journalisten schrieben "schlechter" als die deutschen, sagt Roger de Weck, und ergänzt ein kokettes "noch schlechter".

Harter Konkurrenzkampf

Viele Journalisten leben in Zürich. Hier muss keiner nach draußen schauen, um am Leben teilzuhaben. Andererseits haben Presse-Beiträge einen internationalen Bezug. Der Konkurrenzkampf sei "hart", sagt de Weck. Peter Glotz, der in St. Gallen als Professor wirkt, findet den Schweizer Journalismus "interessant": Es gebe eine "vorzügliche Regionalpresse", das Boulevardblatt Blick sei "aufklärerisch und links". Schawinski, den er gut kenne, sei ein "sehr intelligenter, scharf formulierender Mann".

Der Gelobte hat bereits entdeckt, dass er in Deutschland mit Springer-Chef Mathias Döpfner etwas Wichtiges teile: Beide würden beim Einchecken im Hotel "Journalist" als Beruf nennen. Noch immer spricht Schawinski mit leuchtenden Augen von seiner ersten Weltwoche-Reportage, als er 1967 die Flower-Power-Meile Haight Asbury beschrieb ("Die Goldene Blume von San Francisco"). Später war er als 50-Prozent-Gesellschafter der Firma Stella zwei Jahre im Filmhandel tätig und schrieb auch zwei Drehbücher, die allerdings nicht verfilmt wurden.

Der einstige deutsche Branchenkönig Leo Kirch soll bereits im Dezember 2001, nachdem Schawinski sein Unternehmen verkauft hatte, dem Mann aus Zürich den Sat1-Chefposten angeboten haben. Damals wollte der Umworbene wohl lieber zunächst mit der Familie eine dreimonatige Weltreise machen - als er zurückkehrte, war Kirch finanziell am Ende.

Freund Hitzfeld

Nun ist der Schweizer tatsächlich bei Sat1 gelandet und erzählt etwa von seinem Freund Ottmar Hitzfeld, der einst sein Nachbar war, als der Fußballtrainer bei Grashoppers Zürich arbeitete. Seht ihr, soll das heißen, er hat's doch auch in Deutschland geschafft.

Am Mittwoch saß Schawinski im Münchner Olympiastadion, als Hitzfelds FC Bayern München gegen Anderlecht kickte, und Tribünengäste erzählen, dass sogar Ministerpräsident Edmund Stoiber ihn begrüßte: "Ich kenne Ihr Gesicht aus der Zeitung."

So hat der ganze Stress mit Harald Schmidt doch sein Gutes gehabt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: