Der Fall Welteke und die Moral:Eine Frage des richtigen Gespürs

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Die Wirtschaft bittet zum Fest - sollen Politiker und Spitzenbeamte solchen Einladungen folgen?

Von Ulrich Schäfer

Man kennt sich, man trifft sich, man lädt sich ein. Mal in Frankfurt oder Wien beim Opernball, mal in einem Wüstencamp in Dubai, oder in Davos beim Weltwirtschaftsforum. Es sind stets dieselben Leute: Manager und Banker, Politiker, Lobbyisten und PR-Strategen. Einer, der auf vielen Festivitäten mit dabei war, bekam damit nun ein Problem: Ernst Welteke.

Vier Nächte hat der nun zurückgetretene Bundesbank-Präsident samt Familie zum Jahreswechsel 2001/2002 im Berliner Fünf-Sterne-Hotel Adlon logiert. Bezahlt hat dies zunächst die Dresdner Bank. Welteke sah darin anfangs kein Problem und fragte öffentlich: "Soll ich das etwa selber bezahlen?" Echte Reue hat er erst einmal nicht gezeigt; einen Verstoß gegen Recht und Moral mochte er zwei Wochen lang öffentlich nicht erkennen.

Selbstverständlichkeiten der Führungselite

Wahrscheinlich lag dies daran, dass in den Kreisen, in denen Welteke sich bewegte, wechselseitige Einladungen ganz normal sind. Als Bundesbank-Chef war er Teil jener Gesellschaftsschicht, die man als wirtschaftliche Führungselite bezeichnet. Die Herren bitten sich gegenseitig zum Essen, zum Cocktail-Empfang, zum Golf-Wochenende. Wie selbstverständlich bieten Geldhäuser und Industriekonzerne jedem, den sie als prominenten Redner einladen, auch an, dass sie sich um die Unterbringung kümmern, um den Flug, um den Fahrdienst.

Manche beauftragen sogar Agenturen, die professionell hochkarätige Gäste vermitteln. Ein nationaler Politiker oder Wirtschaftsboss kann zwischen 5000 und 20000 Euro pro Abend kosten; für einen bekannten Gast aus dem Ausland wird schon mal ein sechsstelliger Betrag fällig. Ob der Eingeladene die Offerte mit den Verhaltensregeln seines eigenen Hauses vereinbaren kann, ob er also das Honorar nebst freier Kost und Logis annehmen darf oder das Geld spenden muss, interessiert die Gastgeber in der Regel wenig - wenn der Geladene nichts sagt, zahlen sie.

Welteke hat oft zahlen lassen. Freimütig hat er dies sogar eingeräumt. Er, oder besser: die Bundesbank, hat dies umgekehrt ja auch getan. Ein Jahr nach seinem Trip zum Wiener Opernball hat er den Gouverneur der österreichischen Notenbank zu einer Festveranstaltung eingeladen: "Wir waren wienerisch untergebracht. Unsere Gäste frankfurterisch. Und ich muss sagen, ich habe mich geschämt", erzählte er vor SPD-Genossen.

Dass die Adlon-Nächte dem Bundesbankchef nun so viel Ärger bereiteten, hat mit seiner besonderen Rolle zu tun: Welteke unterstand einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis. Deshalb wurden an ihn andere Maßstäbe angelegt als an Vertreter der Privatwirtschaft. Die dürfen sich, zumindest sieht das die Öffentlichkeit derzeit so, einladen, so oft sie wollen - selbst wenn sie den Gastgeber über einen Sitz in dessen Aufsichtsrat kontrollieren. Wer dagegen im öffentlichen Auftrag kontrolliert, darf nicht befangen sein.

Wo aber liegt die Grenze? Wo hört das erlaubte Geschenk, die unverfängliche Einladung auf - und wird der Übergang zur Bestechung fließend? Wie nah dürfen sich Politiker und Bosse sein? Der Kanzler zum Beispiel war im Herbst vorigen Jahres in New York. Sandy Weill, Boss des Finanzkonzerns Citigroup, lud ihn damals in sein Privathaus zum Abendessen ein. Hätte Schröder die Einladung ausschlagen sollen? Oder hätte er die Kosten für das Essen und den teuren Wein beim Abschied erstatten sollen?

Höflich wäre das nicht gewesen. Und was ist mit jenem Ausflug, auf den sich Welteke im September 2003 am Rande der Jahrestagung des Internationalem Währungsfonds in Dubai begeben hat? Die Commerzbank ließ ein paar hundert Gäste per Jeep zu einem Essen in ein Wüstencamp karren. Es gab Feuerschlucker und Bauchtänzerinnen zu bestaunen. Wer wollte, konnte auf einem Kamel seine Runden drehen; Welteke und der damalige Präsident der Europäischen Zentralbank, Wim Duisenberg, wollten - die anderen Gäste amüsierten sich köstlich.

Den beiden Notenbankern diesen Abend auf Kosten des Instituts zum Vorwurf zu machen, wäre absurd. Sie waren in dienstlicher Mission in Dubai, ein Festbesuch ist da nicht verwerflich, er dient schließlich auch der Kontaktpflege oder der informellen Besprechung. Anders wäre es hingegen, wenn die Bank auch den Flug in das Emirat oder das Hotel vor Ort bezahlt hätte. So wurde Welteke in der Adlon-Affäre ja auch nicht zum Vorwurf gemacht, dass er zum Jahreswechsel 2001/2002 auf der Festveranstaltung der Dresdner Bank war, sondern dass er seinen Aufenthalt in Berlin weit über das dienstlich notwendige Maß hinaus ausgedehnt hat. Genau hier ist die Grenze zu ziehen zwischen dem, was erlaubt ist - und was nicht.

Um sich moralisch korrekt zu verhalten, braucht man eigentlich keinen Ehrenkodex, wie ihn die Bundesbank nun plant. Im Prinzip bedarf es nur des richtigen Gespürs. Ernst Welteke besaß, wie seine Einlassungen zur Adlon-Affäre zeigen, dieses Gespür offenbar nicht.

© SZ vom 17.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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