Defilees:Pariser Träume vom Luxus

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Bei den großen Modeschauen geht es immer mehr um die Kunst der Inszenierung. Doch politische Risiken wie der Handelskonflikt zwischen den USA und China könnten die Branche hart treffen.

Von Katharina Wetzel

Was ist Luxus? Die Frage lässt sich nicht einfach mit einem Designerkleidungsstück oder ein paar teuren Schuhen beantworten. Wäre es so einfach, bräuchte es keine Modeschauen, für die Firmen Unsummen ausgeben. Klar, der Luxusbranche, insbesondere der französischen, geht es prächtig. Laut Analysten von Bain & Company wird das weltweite Umsatzwachstum mit persönlichen Luxusgütern dieses Jahr um bis zu acht Prozent auf 281 Milliarden Euro steigen. Angetrieben wird das Wachstum vor allem von einer jungen Generation in China, die Lust auf hochpreisige Accessoires, Kosmetik, Schmuck oder Kleidung hat. Dennoch können sich die Firmen nicht auf ihren Erfolgen ausruhen. Der Handelsstreit zwischen den USA und China sowie eine zunehmende Schuldenkrise in Italien könnten der positiven Entwicklung rasch wieder einen Strich durch die Rechnung machen. Von solchen Sorgen war auf der Pariser Modewoche, die Anfang Oktober zu Ende ging, jedoch wenig zu spüren.

Vielleicht lassen sich im Herzen von Paris auch besonders leicht jene Sehnsüchte wecken, von der die Branche lebt. Wenn die Pariser Modewoche ansteht, ist der Schauenmarathon in Berlin, London, New York und Mailand bereits gelaufen. Und dennoch: Nichts geht ohne Paris. Viele Einkäufer heben sich eigens ein Budget für die Messe auf und entscheiden dann erst, ob sie die ein oder andere Kollektion noch kaufen oder ergänzen. Davon profitiert auch die Pariser Modemesse Tranoï. Im Vergleich zu einer Berliner Panorama ist die Veranstaltung klein, deutsche Veranstalter schauen jedoch immer mit etwas Bewunderung auf das französische Vorzeigebeispiel, das einen hohen Anteil an internationalen Fachbesuchern aufweist.

Wer eine Tasche für Tausende Euro zum Must-have der nächsten Saison erklären will, muss den Nerv der Kunden treffen. In Paris konkurrieren die Luxuslabels und Designer darum, wer die Kunst der Inszenierung am besten beherrscht. Viele Marken setzen auf große Gefühle, um ihre Produkte ins beste Licht zu rücken und Menschen in aller Welt davon träumen zu lassen. Wie in früheren Saisons setzt sich der Trend zu sportiven Looks für Frühjahr/Sommer 2019 fort. So sollen auch neue Kunden erreicht werden, die bislang weniger luxusaffin unterwegs waren. Der Umsatz im Luxusgütersegment wächst derzeit vor allem durch größere Absatzmengen und weniger durch Preissteigerungen. Größe ist ohnehin längst zum Trumpf geworden. Die beiden französischen Luxusgüterkonzerne LVMH und Kering konkurrieren seit Jahrzehnten um das jeweils bessere Portfolio. In einem Interview beanspruchte Keringchef François-Henri Pinault kürzlich für sich, der reinste Luxusanbieter zu sein. Der größere Spieler am Markt ist jedoch sein Rivale Bernard Arnault. Jüngst sollen beide leer ausgegangen sein. Beim Mailänder Haus Versace kam bekanntlich Michael Kors zum Zug.

Kaum eine Show wird jedoch von so vielen Einkäufern und Modeleuten mit Spannung erwartet wie die von Karl Lagerfeld für Chanel. So mancher deutscher Firmenchef lässt im Vorfeld seine Kontakte spielen, um im Grand Palais noch einen Platz in der hinteren Reihe zu bekommen. Dafür dürften sich einige von ihnen dieses Mal ihre Schuhe im Sand ruiniert haben. Lagerfeld gelang es jedenfalls wieder einmal, das Publikum in eine andere Welt zu versetzen - in eine bessere, ohne im Meer schwimmende Plastikberge wohlgemerkt.

"Hier trifft sich die ganze Welt, um Mode zu präsentieren und zu ordern."

Ob Lagerfeld dabei Umweltgedanken hegte? Zweifellos kamen bei der Kulisse mit echtem Wasser, Sand und Dünengras Sommergefühle auf. Barfuß laufende Models zeigten bei Meeresrauschen und Möwengesang die typischen Chanel-Klassiker, gemixt mit ein paar kleinen Provokationen wie etwa einer Radlerhose. Stilvoll mit einem Schuss Humor. Allzu viel Neues, außer ein paar an der Vorderseite geschlitzte Hosenbeine, gab es nicht zu sehen, der Chanel-Kundin, die in der Münchner Maximilianstraße shoppen geht, wird es jedoch ebenso gefallen wie der Kundin, die sich mal eine elegante, lässige Jeans gönnt. Für die einen ist "Baywatch"-Star Pamela Anderson da, für die anderen Chanel-Muse Inès de la Fressange. So einen Spagat schafft nur Karl.

Karl Lagerfeld zeigt für die Frühjahr-/Sommer-Kollektion von Chanel eine Radlerhose. (Foto: Katharina Wetzel)

Am Ende zeigte sich Lagerfeld auffällig lange ohne Sonnenbrille auf einem Holzsteg vor einer Wand mit aufgemalter Dünenlandschaft, so hat man ihn selten gesehen. Es sind manchmal solche Momente, die eine Schau unvergesslich machen.

Dabei braucht es keine große Kulisse. Auch ein Lied kann bewegen und den Zuschauer auf eine Reise mitnehmen, sofern das Produkt stimmt. Designer Giambattista Valli hat sich unter anderem von der Künstlerin und Sängerin Yoko Ono inspirieren lassen: "Yoko ist eine Ikone, nicht nur wegen ihres Stils, sondern auch wegen ihrer Geisteshaltung, sie ist unabhängig, ein freier Geist und hat eine schöne Seele", so Valli. Seine Kollektion hat er mit Kussmündern in den verschiedensten Größen und Variationen übersät, mal plakativ auf der Brust, mal leise versteckt in einem Spitzeneinsatz. Die Botschaft ist klar. Liebe über alles. Dazu läuft am Ende John Lennon und Yoko Onos Song "Love".

"Freiheit ist nicht Flucht, sondern Präsenz", findet Designer Pierpaolo Piccioli. Und dieser Akt gelänge am besten durch die Freiheit, man selbst zu sein. Die Aufmerksamkeit seiner Gäste konnte Piccioli gewinnen. Seine für Valentino kreierten Roben wirkten anmutig wie Kunstwerke von Gauguin oder Matisse. Die Musik zur Schau - die Liste reichte von Lady Gaga und Bradley Cooper mit dem Filmsoundtrack "A Star Is born" bis hin zu Opernstar Kiri Te Kanawa mit "Chi Il Bel Sogno Di Doretta" aus der Oper La Rondine - war so gut choreografiert und aufeinander abgestimmt wie bei sonst keinem Defilee. Wow.

Zu den Höhepunkten der Pariser Modewoche zählte auch die Alexander-McQueen-Show. Die britische Designerin Sarah Burton hat sich von der rauen Landschaft im Südwesten Englands inspirieren lassen. Ihre spannungsreiche Kollektion lebt von der Widersprüchlichkeit. In der Orangerie im Jardin du Luxembourg schickt sie ihre Models in femininen Kleidern und handbemalten Lederrüstungen durch weiße Kieselsteine aus Marmor, an aufgestellten Felsen vorbei. Mit jedem Schritt knarzt und knirscht es, was nur noch von den lauten Bässen übertönt wird. Wie aufwendig die Verarbeitung und Herstellung der Kollektion gewesen sein muss, lässt sich erahnen, wenn man sie sich nochmals von Nahem ansieht.

Die ausgestellten Leder-Korsagen sind inzwischen fast schon zum Synonym für das Haus geworden, berichtet eine Mitarbeiterin stolz und vergisst nicht darauf hinzuweisen, dass die provokanten, dem Motorradsport entlehnten Lederoutfits an bestimmten Zonen deutlich softer im Griff sind. Die modernen Amazonen werden es Burton danken. Schließlich kann man nicht jeden Tag Hochzeit feiern und in eines der von innen wie außen bestickten Seidenkleidern mit Puffärmeln und ausgestellten Hüften schlüpfen. Drei der von Hand gefertigten dekonstruierten Roben könnten auch aus einer Haute-Couture-Linie stammen, preislich liegen sie im hohen fünfstelligen Bereich. Bei aller Liebe zum Detail dürfte dies das Budget vieler Einkäufer dann doch sprengen.

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(Foto: Pascal Le Segretain/Getty Images)

Valentino präsentiert seine Mode so bunt wie ein Gemälde von Matisse.

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(Foto: PR)

Bei Giambattista Valli sind die Roben vorne kurz und hinten lang.

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(Foto: Francois Guillot/AFP)

Bei Alexander McQueen wird der Look dekonstruiert.

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(Foto: PR)

Das Münchner Label Talbot Runhof zeigt verfremdete Camouflagekleider.

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(Foto: Thierry Chesnot/Getty Images)

Bei Agnès B. ist auch eine Radlerhose dabei.

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(Foto: Anne-Christine Poujoulat/AFP)

Bei Poiret sticht ein transparenter, orangefarbener Lagenlook ins Auge.

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(Foto: Katharina Wetzel)

Sacai setzt auf Material- und Mustermix.

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(Foto: Katharina Wetzel)

Den Anker auswerfen: Thom Browne setzt auf eine maritime Symbolik.

Für das Schweizer Label Akris ließ sich Designer Albert Kriemler von der rumänischen Künstlerin Geta Brătescu inspirieren.

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(Foto: Anne-Christine Poujoulat/AFP)

Und Sonia Rykiel zeigt in der gleichnamigen Allée lässigen Strick mit Lochmuster und Fransen.

Eine Schau wirkt im besten Fall wie ein gelungener Gedichtvortrag, eine Ballettinszenierung oder ein Klavierkonzert. Schade ist es, wenn die Inszenierung abrupt abbricht, die Zuschauer aufstehen und zum nächsten Event eilen, während die Show noch nicht mal zu Ende ist, wie etwa bei Sonia Rykiel. Hätte "die Königin des Strick", die 2016 verstarb, dem Open-Air-Defilee von oben zugeschaut, dürfte sie es wohl gelassen nehmen. Schließlich weihte die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo zuvor ihr zu Ehren eine Allee ein, und das hat nicht mal Coco Chanel geschafft. Die "Allée Sonia Rykiel" liegt mitten im Künstlerviertel Saint-Germain-des-Prés, in dem die Designerin zu ihren Lebzeiten auch wohnte. Und man kann sich gut vorstellen, dass hier bald die Pariserinnen in Sonia-Rykiel-Strickkleidern mit durchsetztem Lochmuster und Fransen entlang flanieren. "Paris ist das Weltzentrum für Mode, hier trifft sich die ganze Welt, um Mode zu präsentieren und zu ordern", sagt Adrian Runhof, einer der Designer des Münchner Labels Talbot Runhof. München, Düsseldorf, Berlin seien dagegen regionale Orderplätze mit vergleichsweise kleinen Einzugsgebieten. "Wir wickeln unser gesamtes internationales Geschäft über unseren Showroom und unser Defilee in Paris ab", ergänzt sein Partner Johnny Talbot. Die Schau im Hotel The Westin ist ihre wichtigste Werbe- und Marketingplattform. Im voll besetzten Saal - auch Vogue-Chefin Christiane Arp sitzt in der ersten Reihe - zeigen sie Khakikleider aus Baumwollpopelinstretch und viel Camouflage neben den typischen Glitzerkleidern, für die das Label, das wohl die meisten Stars zum bayerischen Filmpreis einkleidet, steht.

Beim Schweizer Label Akris sticht ein schwarzer Anzug ins Auge, bei Poiret ein transparenter, orangefarbener Lagenlook, bei Sacai eine Weste mit vielen kleinen Taschen. Und Thom Browne schickt seine Models mit Tiermotiven aus der Unterwasserwelt und einer Melone als Kopfbedeckung durch eine als Meerbad inszenierte Halle. Den Models sind teils Hände und Arme gebunden. "Is it good or is it bad?", fragt der Designer in der Pressemitteilung. Tja, eine Inszenierung kann gelingen, in Zeiten von "Me Too" aber auch schiefgehen. Ermenegildo Zegna hat es wohl dennoch gefallen. Was soll er auch anderes sagen. Der italienische Nobelherrenmodeschneider hat 85 Prozent der Anteile an dem amerikanischen Label erworben. In einem Interview zeigte sich der Vorstandsvorsitzende Zegna jetzt allerdings besorgt: Grund ist der Handelsstreit und die Konsumentwicklung in China. Geopolitische Risiken à la Trump sind dann also doch zu spüren.

Und so kann man zu Agnès B. überleiten. Die 76-jährige Designerin Agnès Troublé, einst eine aktive Achtundsechzigerin, die selbst von sich sagt, dass sie sich keine andere Modenschau ansieht, schickt vorab Models auf die Bühne, die Friedenstauben auf ihren Shirts tragen. Dazu singt die französische Sängerin Jain live "Things gonna be alright" (Es wird alles gut). Im Raum herrscht eine gute Stimmung. Dann zeigen Models tragbare Mode, farbenfrohe Streifen- und Pepitakleider. Und ja, eine Radlerhose ist auch dabei. "Dreams are my reality" aus dem Film "La Boum" läuft über Lautsprecher. Die Schau endet wie früher üblich mit einem Brautpaar. Ende gut, alles gut? Träume - ob von großen Gefühlen, der Liebe oder einer besseren Welt - in Paris können sie wahr werden. Zumindest für den Moment. Was für ein Luxus.

© SZ vom 23.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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