David Davis:"Die Sache ist dringend"

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David Davis spricht zu den Gästen des SZ-Wirtschaftsgipfels. (Foto: Johannes Simon)

Der Brexit-Minister möchte, dass der Austritt seines Landes Geschäfte über den Ärmelkanal nicht erschwert. Hier Auszüge aus seiner Rede.

Ich weiß, dass Großbritannien und Deutschland von unterschiedlichen Ausgangspositionen in die EU gekommen sind. Für Deutschland und andere Staaten wurde mit der EU die Grundlage für Frieden und Stabilität, Demokratie und Gerechtigkeit auf dem ganzen Kontinent geschaffen.

Die Erfahrungen des Vereinigten Königreichs sind andere. Für uns war die EU - und vorher die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft - in erster Linie ein wirtschaftliches Unterfangen. Eines, das den Handel gefördert hat, aber stets eine laute öffentliche Debatte über die politische Integrität souveräner Staaten ausgelöst hat.

Das heißt nicht, dass das eine richtig und das andere falsch wäre. Beides ist sogar miteinander verknüpft. Sondern lediglich, dass wir die Union immer anders gesehen haben. (. . .)

"Wir wissen, dass wir nicht die Europäische Union verlassen können und gleichzeitig alles beim Alten bleibt."

Das britische Volk hat zwar seine Meinung kundgetan, und wir haben beschlossen, aus den Institutionen der EU auszuscheiden - aber der Brexit kann und darf nicht das Ende unserer Beziehungen zu Deutschland bedeuten. Er darf auch nicht bedeuten, dass der Handel zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland zurückgeht. Und er untergräbt oder schmälert auch unser unerschütterliches Bekenntnis zur Sicherheit Europas nicht.

Ich glaube vielmehr, dass bei entsprechendem Willen auf beiden Seiten das Gegenteil der Fall sein kann. Deshalb müssen wir für die Zeit nach unserem Austritt geeignete Strukturen schaffen, in denen unsere Partnerschaft florieren kann. (. . .)

Der Handel zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland beläuft sich auf insgesamt 176 Milliarden Euro pro Jahr. Er erstreckt sich auf die gesamte Wirtschaft. Das sind in beiden Ländern mehr als tausend Euro für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind. (. . .) Angesichts dieser Faktenlage bin ich mir sicher, niemand würde diese Errungenschaften durch kurzfristige Interessen aufs Spiel setzen wollen. (. . .)

Gewiss, manche in der Europäischen Union haben seit dem Referendum im letzten Jahr ihre Zweifel, was für ein Land Großbritannien ist oder wofür es steht. (. . .) Wir sind weiter das Land, das wir immer waren. Wir haben noch immer dieselben Werte und Prinzipien. Wir sind ein Land, auf das sich unsere Partner verlassen können. (. . .) Und natürlich ist und bleibt Großbritannien ein Land, das seine internationalen Zusagen und Verpflichtungen einhält. Das ist mehr als nur Rhetorik. Wenn wir für Verteidigung und internationale Entwicklung nur so viel ausgeben würden wie der EU-Durchschnitt, wären das 22 Milliarden Pfund pro Jahr weniger. Das ist Geld, das zeigt, wie ernst wir unsere Rolle auf der Weltbühne nehmen. (. . .)

Wir wissen, dass wir nicht die EU verlassen können und gleichzeitig alles beim Alten bleibt. Wenn wir ausscheiden, verlassen wir auch den Binnenmarkt und die Zollunion. Das ist keine ideologisch motivierte Entscheidung, sondern eine praktische Notwendigkeit, die sich aus dem Votum unserer Bürger und unserem Respekt für die vier Freiheiten der EU ergibt. Es ist klar, dass das britische Volk für bessere Möglichkeiten zur Kontrolle gestimmt hat. Über unsere Grenzen. Über unsere Gesetze. Und ein größeres Mitspracherecht über Großbritanniens Platz in der Welt.

Wenn wir jetzt über die Zukunft reden, ist uns durchaus bewusst, dass die vier Freiheiten des Binnenmarkts unteilbar sind. Und dass er auf einem Gleichgewicht von Rechten und Pflichten beruht. Wir behaupten also nicht, dass man alle Vorteile einer Mitgliedschaft im Binnenmarkt haben kann, ohne auch die Pflichten zu haben. Wir müssen vielmehr einen neuen Rahmen finden, der eine enge Wirtschaftspartnerschaft ermöglicht, in dem diese Rechte und Pflichten sich aber in einem neuen und anderen Gleichgewicht befinden. (. . .)

Wir werden ein Drittstaatenpartner wie kein anderer sein. Viel näher als Kanada, viel größer als Norwegen, und in besonderer Weise integriert in allen Bereichen, von den Energienetzen bis hin zu den Dienstleistungen. Die wichtigste Säule wird ein tief gehendes und umfassendes Freihandelsabkommen sein - dessen Umfang über alles hinausgehen sollte, was die EU jemals vereinbart hat. (. . .) Es sollte sich unter anderem auf Güter, die Landwirtschaft und Dienstleistungen erstrecken, Finanzdienstleistungen eingeschlossen.

Es sollte einen weitestgehend zollfreien Handel gewährleisten, der so reibungslos wie möglich funktioniert. Und es sollte flankiert werden durch eine weitere Zusammenarbeit in stark regulierten Bereichen wie Verkehr, Energie und Daten. (. . .)

Die eigentliche Frage ist also, wie diese wirtschaftliche Partnerschaft in den wichtigsten Bereichen unserer Wirtschaft - nämlich Waren und Dienstleistungen - funktionieren sollte. Unser Warenhandel ist eng verzahnt, und ich denke, es ist im Interesse beider Seiten, dass das so bleibt. Dass die Verbraucher und die Unternehmen auch weiterhin Zugang zu einem möglichst breiten Spektrum von Waren haben.

Dass britische und europäische Unternehmen weiter in der Lage sind, mit integrierten Lieferketten zu arbeiten. Und dass die Sicherheit der Verbraucher und Patienten wie auch die Lebensmittelsicherheit in jeglicher Vereinbarung an oberster Stelle stehen sollten.

Der erste Schritt ist sicherzustellen, dass wir den zollfreien Handel auf ganzer Linie beibehalten. Dafür gibt es auch schon Beispiele. Das Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der EU wird langfristig alle Zölle auf Industrieerzeugnisse abschaffen, wie auch die meisten Zolltarife für nichtindustrielle Güter.

Aber wir können noch weiter gehen. Denn wir verfügen schon über bestehende Lieferketten. Und im Gegensatz zu anderen Abkommen geht es hier nicht darum, einen bisher geschützten Markt für neue Wettbewerber aus anderen Ländern zu öffnen. Wir sollten versuchen, das zu bewahren, was wir bereits haben. (. . .)

Wir haben auch volles gegenseitiges Vertrauen in unsere Institutionen. Jahrzehntelang haben wir es den deutschen Behörden gern überlassen, die nötigen Prüfungen durchzuführen, um zu gewährleisten, dass Güter - von Autos bis hin zu medizischen Geräten - für den britischen Markt tauglich sind. Und unsere Aufsichtsbehörden arbeiten innerhalb der europäischen Agenturen zusammen. Sie kooperieren bei technischen Bewertungen für die Zulassung von Produkten, von Arzneimitteln bis hin zu Chemikalien, zur Verwendung in der gesamten EU, und sie tauschen Daten zu Gefahren für die öffentliche Gesundheit und Sicherheit aus. Unser Ausscheiden aus der Europäischen Union muss nicht zwangsläufig zu einer veränderten Haltung zu dieser Zusammenarbeit führen, selbst wenn wir uns auseinanderbewegen. (. . .)

"Die laufenden Verhandlungen sind schwierig - und das werden sie vorerst bleiben."

Diese Grundsätze gelten nicht nur für Waren, sondern auch für Dienstleistungen. (. . .) Unser Ziel ist es, dass über die Grenzen hinweg mit Dienstleistungen gehandelt werden kann - von stark regulierten Branchen wie dem Finanzdienstleistungssektor bis hin zu ganz neuen Branchen wie zum Beispiel künstliche Intelligenz. Aber auch hier brauchen wir gemeinsame Grundsätze für unsere neue Partnerschaft im Dienstleistungssektor. (. . .)

Erstens bedarf es der weiteren Zusammenarbeit unserer Behörden, aufbauend auf ihrer langjährigen Kooperation. Und zweitens brauchen wir ein effektives Streitschlichtungsverfahren, das alle Streitfälle, die sich ergeben könnten, klar und angemessen regelt. Man würde nicht erwarten, dass solche Streitigkeiten vor britischen Gerichten verhandelt werden, aber auch nicht vor dem Europäischen Gerichtshof. Das Verfahren muss für beide Seiten angemessen sein, damit es den Unternehmen das nötige Vertrauen in die Tragfähigkeit dieser Partnerschaft geben kann. (. . .)

Aber ganz gleich, wie wir die Sache angehen - beide Seiten werden Zeit brauchen, um die neuen Vereinbarungen umzusetzen. Und aus genau diesem Grund streben wir, wie die Premierministerin in ihrer Rede in Florenz dargelegt hat, eine zeitlich befristete Übergangsperiode an - wir denken an etwa zwei Jahre -, während der der Zugang zum britischen und zu den europäischen Märkten zu den derzeit geltenden Regeln Fortbestand hätte und wir sowohl die Rechte als auch die Pflichten eines EU-Mitglieds beibehalten würden, was auch die Rolle des Europäischen Gerichtshofs einschließen würde. Während dieser Übergangszeit würden wir auch weiter allen EU-Aufsichtsbehörden und Agenturen angehören. Das bedeutet, dass die Unternehmen sich im Zuge der Neugestaltung der Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU nur einmal auf Veränderungen einstellen müssen. (. . .) Die Übergangsfrist sorgt dafür, dass Unternehmen weder in Großbritannien noch in der EU Entscheidungen treffen müssen, bevor sie wissen, wie die neue Vereinbarung letztlich aussehen wird. Gäbe es keine solche Umsetzungsperiode, müssten demnächst einige dieser Entscheidungen auf der Basis von Spekulationen getroffen werden. Und das ist der Grund, warum wir diese Frist vereinbaren möchten, sobald die EU das Mandat dafür hat.

Die Sache ist dringend - für alle 28 Mitgliedstaaten, einschließlich Großbritanniens und Deutschlands, und für unsere Unternehmen und unsere Bürger. Meine Botschaft heute an Sie ist diese: Wenn es um eine Umsetzungsperiode und unsere wirtschaftliche Partnerschaft geht, sind Sie keine distanzierten Beobachter, sondern wesentliche Beteiligte. (. . .)

Ich habe dargelegt, welches meiner Meinung nach die Lösungen und auch die Chancen sein können, wenn wir aus der Europäischen Union austreten und ein neues Verhältnis für die kommenden Jahrzehnte gestalten. Aber ich mache mir keine Illusionen. Ich weiß, die laufenden Verhandlungen sind schwierig - und das werden sie vorerst auch bleiben. Trotz alledem bin ich mir jedoch sicher, dass alle 28 EU-Mitgliedstaaten auch nach dem Austritt Großbritanniens eine glänzende Zukunft haben werden.

© SZ vom 18.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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