Datenschutz in Schweden:Einblick beim Nachbarn

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Ein Blick in die Steuererklärung des Nachbarn ist in Schweden kein Problem - der Staat setzt auf Transparenz. Doch ist der offene Umgang mit Daten in Internet-Zeiten haltbar?

Elmar Jung

In Schweden haben die Bürger freien Zugang zu allen behördlichen Akten, doch das könnte bald der Vergangenheit angehören. Der höchste Datenschützer in der schwedischen Regierung, Göran Lambertz, lässt die Rechtmäßigkeit eines Online-Angebots prüfen, das mit vertraulichen Daten Geschäfte macht.

Der Blick in die Steuererklärung des Nachbarn ist in Schweden kein Problem. (Foto: Foto: dpa)

Lambertz ist als Justizkanzler in der Regierung für die Wahrung der Bürgerrechte zuständig. Die Seite ratsit.se bietet gegen Bezahlung Informationen über Firmen und Privatpersonen.

Der Blick in die Steuererklärung der Nachbarn ist kein Problem, Unternehmen können prüfen, ob ihre Kunden kreditwürdig sind. Lambertz vermutet: Die Aktivitäten von ratsit.se verstoßen gegen das Datenschutzgesetz und fallen nicht unter das schwedische Öffentlichkeitsprinzip.

Derzeit prüft das ein Gericht in Göteborg. Sollte sich der Verdacht erhärten, würde das eine grundsätzliche Frage aufwerfen: Ist die schwedische Vorstellung von der freien Information für jedermann im Internet-Zeitalter noch aufrecht zu erhalten?

Geheimhaltung ist die Ausnahme

Normalerweise ist den Schweden Offenheit und Transparenz heilig. Jeder Bürger hat das Recht, bei Behörden und Ämtern in alle Akten und Dokumente Einsicht zu nehmen. Amtshandlungen sollen sich nicht im Verborgenen abspielen und sollen, wenn nötig, kritisiert werden können.

Ausnahmen gibt es natürlich: Geheimdienstakten sind tabu, ebenso Dokumente, die die Verteidigung des Landes betreffen. Trotzdem ist Offenheit in Schweden die Grundregel, Geheimhaltung die Ausnahme.

Das sogenannte Öffentlichkeitsprinzip wurde 1766 festgeschrieben und ist seitdem im schwedischen Grundgesetz verankert. Bisher funktionierte es sehr gut.

Das Internet jedoch verleiht der Auskunftspflicht von Behörden und Dienstleistern eine neue Dimension.

Es könnte sogar bewirken, dass das Öffentlichkeitsprinzip mit seiner jahrhundertealten Tradition überdacht werden muss. War es in der Vergangenheit meist nötig, dass der Antragsteller persönlich erschien, kann man seit dem 23. November vergangenen Jahres auf ratsit.se bequem von zu Hause aus seine Mitbürger durchleuchten.

Die Daten werden von dem Unternehmen "Businesscheck" mit Sitz in Göteborg gekauft. Von dem Angebot machten die Schweden von Beginn an regen Gebrauch.

Bereits am Ende des ersten Tages zählte ratsit.se 67 000 Mitglieder, inzwischen sind es 620 000. Mehr als 14 Millionen Anfragen gab es bisher. Schweden hat etwa neun Millionen Einwohner.

Offiziell und legal

Nicht nur der Andrang wurde stärker, die Beschwerden von Bürgern, die sich ausspioniert fühlten, nahmen ebenfalls zu. Die schwedische Steuerbehörde sprach von einer "Lawine".

Im Frühjahr 2007 leitete die Polizei eine Untersuchung ein, die jedoch ergebnislos blieb. Man war sich unsicher, ob die Rechtslage den Zugriff in dieser Form erlaubte.

Am 8. März legalisierte die schwedische Regierung den Dienst von ratsit.se und erteilte eine offizielle Genehmigung, knüpfte diese aber an eine Auflage. Seit dem 11. Juni muss ratsit.de die betroffenen Personen, über die jemand genauer Bescheid wissen will, informieren.

Göran Lambertz geht die Online-Schnüffelei dennoch zu weit. Er halte das Angebot von ratsit.se für strafbar, sagte der Justizkanzler der Dagens Nyheter.

Das gelte zumindest für den Zeitraum, ehe die Regierung eine Genehmigung erteilte. Anders Johansson, Betreiber von ratsit.se, ist anderer Ansicht. Man habe sich die Erlaubnis nur für Marketing-Zwecke besorgt. "Eigentlich bräuchten wir überhaupt keine Genehmigung", glaubt er.

© SZ vom 7.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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