"Das kann nicht das ganze Leben sein":Eine Analystin tritt ab

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Alexandra Merz mischte mit ihren Bewertungen die Fondsbranche auf - nun zieht sie sich völlig überraschend zurück.

Simone Gröneweg

Spontan ist Alexandra Merz in jedem Fall. Nachdem die Mutter von fünf Kindern in der Finanzwelt Karriere gemacht und für reichlich Wirbel bei Banken und Fondsgesellschaften gesorgt hat, zieht sie sich nun völlig überraschend zurück.

Alexandra Merz (Foto: Foto: Gröneweg)

In Zukunft will die 40-Jährige nicht mehr offene Immobilienfonds bewerten, sondern familiengerechte Ferienhäuser in Südfrankreich vermitteln. Die Fachwelt staunt, aber Alexandra Merz hat keine Zweifel: "Nach drei Monaten Urlaub habe ich gemerkt: Das kann nicht das ganze Leben sein. Ich empfinde meine Entscheidung als Befreiung."

Die Finanzexpertin verlässt eine Branche, die sie kräftig aufgemischt hat. Sie lebte in den vergangenen Jahren zwar in Südfrankreich, sorgte aber hierzulande bei Bankern und Fondsmanagern für Unruhe. Als Senior-Analystin bei Moody's und zuletzt als Mitglied der Geschäftsführung bei der Ratingagentur Scope bewertete sie offene Immobilienfonds.

Mit Kind ohne Chance - in Deutschland

Jahrzehntelang hatten deren Anbieter Milliarden bei Investoren eingesammelt und viele Daten unter Verschluss gehalten.

Im Jahr 2001 entwickelte Merz bei Moody's ihr Rating. Die Fonds gab es seit den fünfziger Jahren, geratet wurden sie bis dahin nicht. Nach dem Ausstieg bei Moody's entwickelte sie bei Scope ihr Bewertungssystem auf eigene Faust weiter. "Jeden Morgen saß ich trotz der großen Familie in meinem Büro. Habe Rechenschaftsberichte gelesen, mit Managern gesprochen und aufgepasst, dass mir bloß nichts entgeht."

Im Januar sorgte sie dann mit der Herabstufung der offenen Immobilienfonds der Gesellschaft Kanam für Schlagzeilen. Bei den Anlegern brach Panik aus. Sie gaben massenweise Anteile zurück, so dass die Gesellschaft die Rücknahme zeitweise aussetzte.

Die Investoren kamen nicht mehr an ihr Geld. Kritik gab es darauf von allen Seiten. Das Spektakel überstand die Finanzexpertin jedoch. "Ich stehe zu der Empfehlung. Sie war korrekt", sagt sie. Und legt nach: "Ich mache schließlich keine halben Sachen."

Aufgewachsen ist sie im Schwarzwald, hat internationale Betriebswirtschaftslehre studiert, und ging dann zunächst zur Deutschen Bank nach Paris. Johann, der älteste Sohn war damals schon geboren. "In Deutschland hätte ich mit einem Kind keine großen Chancen gehabt." Redselig und spontan arbeitete sich Alexandra Merz nach oben.

Nach der Geburt des zweiten Sohnes Théo schnappte ihr ein Kollege bei der Deutschen Bank in Frankreich den versprochenen Posten weg. Merz wehrte sich, bekam eine Abfindung und einen besseren Posten bei Moody's. Auch bei der Berliner Ratingagentur Scope zeigte sie sich konsequent.

Es gab Querelen, über die sie nichts Konkretes sagt, jedenfalls kehrte sie danach der Agentur den Rücken. Das Analysehaus Bulwiengesa verkündete, man werde mit der Analystin eine neue Gesellschaft gründen, um offene Immobilienfonds zu bewerten. Eigentlich wäre nächste Woche der Notartermin gewesen, die Verträge lagen vor.

An diesem Mittwoch informierte Merz den Unternehmensgründer Hartmut Bulwien jedoch darüber, dass sie aufhören will. "Wir waren überrascht und bedauern das", sagt er. Wenig verwunderlich, Alexandra Merz wäre ein ideales Zugpferd für diesen Bereich gewesen.

Johann, Théo, Marie, Rose und Oskar können sich freuen. Das Votum der Kinder war eindeutig, als es um die Frage ging: Gründung einer neuen Firma in Deutschland oder lieber Ausstieg aus dem Geschäft? Sie wünschten sich, dass ihre Mutter in Frankreich blieb und mehr Zeit haben würde. "Das hat mir zu denken gegeben", sagt sie.

Aber rumsitzen wird sie auch in Zukunft nicht. "Wir haben da eine Idee...", erklärt sie. Sie und ihr Mann, von Beruf Statistiker und Finanzanalyst, hätten eine Marktlücke in Südfrankreich entdeckt: familiengerechte Ferienhäuser. "Wir haben unser Landhaus im Sommer an Engländer vermietet, die waren begeistert." Nun bastelt sie an einer Internetseite, will sich um passende Häuser bemühen. "Ich brauche die Website in Russisch. Dort ist das Interesse bestimmt groß. Freunde hatten schon an Russen vermietet."

Die Rechenschaftsberichte der Fondsgesellschaften hat sie bereits in eine Kiste gepackt. "Ganz schön schwer. Mein ältester Sohn und mein Mann mussten die in die Garage tragen." Ins Haus komme die Kiste jedenfalls nicht zurück.

© SZ vom 1.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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