China:Der grüne Marsch

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Chinas ökologische Aufholjagd gleicht dem Goldrausch im Wilden Westen. Das Tempo ist halsbrecherisch - und Peking wittert lukrative Geschäftschancen.

Henrik Bork, Dezhou

Rot ist der Kommunismus, doch grün sind seine jüngsten Helden. "Willkommen in Chinas Solar Valley", sagt Huang Ming. Dies hier sei das neue Zentrum der Solarindustrie, will er damit sagen. Von hier aus, von Dezhou, werde diese junge Industrie aufgerollt, genau wie die Software-Industrie einst vom "Silicon Valley" in Kalifornien. Selbstvertrauen hat der Mann, das muss man ihm lassen. Dezhou? Niemand muss sich schämen, wenn er den Namen noch nie gehört hat. Auf der halbfertigen Autobahn von Peking nach Shanghai geht es 330 Kilometer in Richtung Süden, durch Weizenfelder und Apfelplantagen, vorbei an schlafenden Hunden und ärmlichen Dörfern. Das Städtchen Dezhou war bis vor kurzem, wenn überhaupt, für seine Grillhähnchen bekannt.

Chinesischer Ökokommunismus: Das Land fördert mit aller Macht alternative Energien - wie die Windräder auf einem Berg in der Region Tongshan im Südosten der Provinz Hubei. (Foto: Foto: Imagechina)

Sofort nach der Autobahnabfahrt aber zeigt Dezhou, Provinz Schandong, dass es andere Pläne hat. Solarzellen blitzen im Sonnenlicht, so weit das Auge reicht. Jede Straßenlaterne wird mit Sonnenenergie betrieben. Auf den Dächern stehen Solarkollektoren und ihre Wassertanks. Haus um Haus, Block um Block, überall sind diese Solarsysteme zu sehen, die heißes Wasser liefern. Dezhou ist die Modellstadt des chinesischen Ökokommunismus. Daqing, einst von Mao als Modellstadt des sozialistischen Erdölbooms ausgerufen, ist längst out. Dezhou ist das neue Daqing.

Eine Million Einwohner hat Dezhou, und "90 Prozent aller Häuser der Neustadt" seien hier mit Solarkollektoren bestückt, sagen sie in der Stadt. Rechnet man die umliegenden Dörfer dazu, nutzen hier eine Million Einwohner die Sonne als Energiequelle. Nun wird in China gerne übertrieben. Das gehört zur Kultur. Aber selbst wenn es die Hälfte sein sollte, wäre es noch beeindruckend. Greenpeace China schreibt auf seiner Webseite begeistert von der Stadt der "Sonnenanbeter".

Ihr Hohepriester ist der Unternehmer Huang Ming. Seine Firma "Himin Solar Energy Group" ist Chinas größter Hersteller von Dach-Solaranlagen. Diese technisch relativ einfachen Geräte produzieren keinen Strom, wie die bei uns besser bekannten photovoltaischen Solarzellen. Vielmehr erhitzen sie Wasser, das zu diesem Zweck durch Glasröhren zirkuliert. Aus Wassertanks fließt es dann direkt in die Badezimmer. Zwei Millionen Quadratmeter solcher Sonnenkollektoren will Himin bis jetzt auf den Dächern von Dezhou installiert haben.

Börsengang in Vorbereitung

"Ich hatte einen Traum", sagt Huang Ming, "genau wie Martin Luther King." Sein Traum sei es, die Solarenergie in seinem Land populär zu machen. Der 51-jährige Chinese ist ausgerechnet Erdölingenieur von Beruf. Irgendwann hat er aber entschieden, dass die Zukunft der Solarnenergie gehört, angeblich kurz nach der Geburt seiner Tochter. Ob die Geschichte stimmt, ist genauso schwer zu verifizieren wie die Produktions- und Gewinnzahlen seiner Firma. Die Investmentbank Goldman Sachs hat kürzlich in "Himin" investiert, was er ohne Angabe weiterer Details bestätigt. Ein Börsengang in China wird vorbereitet. Mit Verweis darauf weigert sich Huang Ming, irgendwelche Daten mitzuteilen.

Fest steht, dass der Firmenchef ein großer Selbstdarsteller ist. Im Foyer der Firma hängt sein Kinderfoto neben einem Bild des alten Einstein. Als "Pionier" seiner Branche in China hat er Reden auf UN-Konferenzen gehalten, was in seinem Firmenprospekt ausgebreitet wird. Letztes Jahr hat er Angela Merkel in Peking zum Lunch getroffen. Ein Bild von Huang Ming und Colin Powell wirft er selbst mit einem Dia-Projektor an die Wand. Huang Ming verfügt auch über exzellente politische Kontakte zur kommunistischen Führung seines Landes. Er ist Abgeordneter des Nationalen Volkskongresses. Selbst auf dem Dach des Mao-Mausoleums in Peking sind seine Sonnenkollektoren installiert. Allerdings nicht, um die Leiche des großen Vorsitzenden zu kühlen, wie sein Marketing-Chef klarstellt, sondern nur für den "Heißwasserbedarf der Angestellten".

Eine ganze Stadt in China mit Sonnenkollektoren zu überziehen, wäre ohne politische Rückendeckung unmöglich. Die Stadtregierung von Dezhou hatte kurzerhand alle Immobilienfirmen gezwungen, Dach-Solaranlagen zu installieren. Alle neu gebauten Apartmentblocks, alle Krankenhäuser, Hotels und Schwimmbäder wurden dazu verpflichtet.

Seit Chinas Zentralregierung den Ausbau von erneuerbaren Energien fördert, stürzen sich örtliche Parteisekretäre und Beamte gemeinsam mit einzelnen Unternehmern auf die neue Gewinnsparte. Im Prinzip ist das gut, denn Solarenergie ist eine sinnvolle Sache. Allerdings werden die Bürger oft erst gar nicht gefragt, bevor sie zahlen müssen. Die Regierung habe die "zwangsweise Installation von Solarenergie-Heißwasser-Systemen" verfügt, kritisiert die Zeitung Xiandai Kuaibao. Dennoch gebe es bei mehreren Anbietern "Probleme wie schlechte Produktqualität, schlechten Kundenservice nach dem Verkauf und irreführende Werbung". Die Zeitung zitiert einen Herrn Wu, der eine Solaranlage von Himin gekauft habe, die nicht funktioniere. Seine Anrufe habe die Firma ignoriert.

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Wer einen rot-grünen Vorzeigeunternehmer wie Huang Ming öffentlich kritisiert, der handelt sich leicht Ärger ein. "Huang Ming hat die Polizei in Dezhou aufgefordert, mich festnehmen zu lassen", sagt Liu Zong Yong, der einen Artikel über die Firma Himin und ihren Chef recherchiert. "Die Produkte der Firma haben eine recht gute Qualität, aber der Kundenservice ist sehr schlecht. Wegen seiner politischen Kontakte muss Huang Ming keinerlei Verantwortung übernehmen", sagt Liu.

Die neueste Initiative der Firma ist es, ihre Sonnenkollektoren auf den Dörfern zu vermarkten. Auch da helfen gute Partei- und Regierungskontakte. "Huang Mings Anlagen können für 2000 Yuan pro Stück produziert werden, aber er will sie auf dem Land für 5000 Yuan verkaufen. Andere Hersteller, die für 4000 Yuan verkaufen wollen, kommen nicht zum Zug. In unserem Land gibt es eine enge Zusammenarbeit zwischen der Regierung und bestimmten Unternehmern", sagt Liu. 5000 Yuan sind rund 540 Euro, eine Menge Geld für einen chinesischen Bauern. Himin hat die Vorwürfe Lius und ähnliche von anderen Kritikern öffentlich zurückgewiesen.

Gefährlicher Raubbau

Chinas ökologische Aufholjagd gleicht bei genauem Hinsehen oft verdächtig dem Goldrausch im Wilden Westen der USA. Das Tempo ist ähnlich halsbrecherisch, und Regeln entstehen auch erst nach und nach. In den vergangenen zwei Jahrzehnten seiner wirtschaftlichen Entwicklung hat das Land einen gewaltigen Raubbau an seiner Umwelt begangen. Zehn der Städte mit der weltweit schlimmsten Luftverschmutzung liegen in China. Hunderttausende Chinesen sterben jährlich vorzeitig an Atemwegserkrankungen. Dutzende "Krebsdörfer" sind dafür berüchtigt, dass auffällig viele ihrer Bewohner wegen verseuchten Trinkwassers sterben. Zum Teil aus Einsicht, dass es so nicht weitergehen kann, zum Teil wegen lukrativer Geschäftschancen fördert Peking nun den Ausbau erneuerbarer Energien.

Gleich bei mehreren grünen Zukunftstechnologien hat sich die Volksrepublik innerhalb kürzester Zeit weltweit als zumindest quantitativ größter Produzent etabliert. Dank heimischer Firmen wie Suntech Power ist das Land der größte Hersteller von Photovoltaik-Modulen aus kristallinem Silizium. In anderen grünen Industrien ist China weltweit der größte Markt, oft ebenfalls dank der aggressiven Förderpolitik seiner Regierung. Ein Beispiel sind Windturbinen. Und die chinesische Autofirma Byd hat das erste in Serie produzierte Hybrid-Auto, das an die Steckdose angeschlossen werden kann.

Der gerade erst verabschiedete "Plan zur mittel- und langfristigen Entwicklung erneuerbarer Energien" ist schon wieder überholt. Bis zum Jahr 2010 sollten 150 Millionen Quadratmeter Solaranlagen zum Wassererhitzen installiert sein. Bis zum Jahr 2020 sollten 15 Prozent der Energieproduktion aus erneuerbaren Quellen stammen. "Die Ziele könnten angehoben werden", zitierte die China Daily in dieser Woche Liu Qi, den Vizedirektor der neu gegründeten Nationalen Energiebehörde.

Überzogene Ängste

Die beeindruckenden Ziele und Zahlen lösen im Westen oft Ängste aus. Eine "Flut" billiger chinesischer Produkte könnte künftig westliche Öko-Industrien auslöschen, heißt es da häufig. Völlig unbegründet sind solche Bedenken nicht. "China zwingt europäische Firmen manchmal zum Technologietransfer, etwa bei Windturbinen, und bevorzugt gleichzeitig bei der Auftragsvergabe immer wieder heimische Firmen", sagt Jörg Wuttke von der Europäischen Handelskammer in Peking.

Viele dieser Ängste sind jedoch überzogen. Bei Dach-Solaranlagen etwa, wie sie der "Solarkönig" Huang Ming in Dezhou produziert, zählt guter Kundenservice weltweit zu den wichtigsten Kriterien, die Kunden beim Kauf erwägen. Ein örtliches Netz von Verkaufsagenten und Technikern ist für die Hersteller unverzichtbar. "Himin" exportiert derzeit nur fünf Prozent seiner Produktion. Wer in China konkurrenzfähig ist, ist das noch nicht unbedingt in Deutschland oder Kalifornien.

"Ich habe viele Autofabriken überall auf der Erde besucht", sagt Huang Ming im "Solar Valley" in Dezhou. Da sei ihm die Idee zur ersten vollautomatischen Fließbandproduktion von Vakuumröhren für seine Solaranlagen gekommen. "Und dann hatte ich einen Traum. Eines Tages werde ich größer sein als ihr. Eines Tages werde ich Euch auslöschen", sagt Huang. Warten wir's ab.

© SZ vom 06./07.06.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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