Call-Center:Druck in der Leitung

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Unerlaubte Telefonwerbung kratzt am Image der Call-Center, der Gesetzgeber denkt bereits über neue Sanktionen nach. Die Branchenverbände reagieren bislang hilflos.

Gabi Schreier

Als sich Bundeskanzlerin Angela Merkel kurz vor Weihnachten per Video-Podcast zum von ihr anberaumten IT-Gipfel meldete, waren die Vertreter der Call-Center-Branche ganz Ohr. "Wir werden eine Qualitätsoffensive für Call-Center starten", kündigte die Kanzlerin energisch an. Das erklärte Ziel: "Nutzer besser zu informieren".

Die Call-Center-Branche: Endlose Warteschleifen iund blecherne Automatenstimmen. (Foto: Foto: AP)

Dass sich Angela Merkel der Sache annimmt, zeigt, wie weit es die Call-Center-Branche inzwischen gebracht hat - als rotes Tuch für Politiker jeglicher Couleur. "Der Ärger in den Fraktionen ist ziemlich groß", meldete sich CDU-Frau Julia Klöckner, verbraucherpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, zu Wort.

Inzwischen werden die Vertreter der Call-Center-Branche fast im Wochentakt mit Einlassungen zum Thema konfrontiert. So wird das 2004 von Justizministerin Brigitte Zypries geänderte Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb derzeit vor allem aus den Reihen der Union als "völlig wirkungslos" kritisiert.

Instrumente gegen Telefonwerbung - ungewiss

Inzwischen denkt man im gescholtenen Bundesjustizministerium über wirksamere Instrumente gegen unerlaubte Telefonwerbung nach - Ergebnis ungewiss.

Die öffentliche Erregung ist nicht wirklich neu. Mit endlosen Warteschleifen, blechernen Automatenstimmen, inkompetenten Mitarbeitern und unerlaubten Anrufen fiel die Call-Center-Branche schon in der Vergangenheit negativ auf.

Doch jetzt geht es, angetrieben von den Verbraucherschützern, ans Eingemachte. "Werbeverbot greift nicht", überschrieb der Berliner Verbraucherverband Bundeszentrale (vzbv) eine kürzlich veröffentlichte Mitteilung. Untermauert wurde die Aussage mit Zahlen der Nürnberger GfK, die einen deutlichen Zuwachs an Werbeanrufen attestieren.

Über 72 Millionen Werbeanrufe

Demnach wurden im dritten Quartal 2006 in Deutschland über 72 Millionen Werbeanrufe registriert - gut 15 Millionen mehr als im Vorjahreszeitraum.

"Allein bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen", so die Verbraucherschützer weiter, "gehen im Jahr über 12.000 Verbraucherbeschwerden über ungebetene Anrufe ein." Quasi als i-Tüpfelchen wird eine Umfrage aus 2006 zitiert.

Bitteres Ergebnis: Wenn es um unerwünschte Werbung geht, fühlen sich die Bürger von nichts mehr belästigt als von Akquiseanrufen per Telefon. Kein Wunder, dass Branchenverbände wie das Call-Center Forum (CCF) bisher nicht gerade mit stolz geschwellter Brust durch die Gegend laufen und Pressemitteilungen schon mal mit dem Titel "Ungeliebter Wachstumsmotor?" überschreiben.

Gegen die Kritik von allen Seiten konnten die Verbandsvertreter bislang wenig ausrichten. "Das Thema hat sich verselbstständigt", klagt Patrick Tapp, Vizepräsident des Deutschen Direktmarketing-Verbands (DDV), der mit seiner Dialog Frankfurt GmbH selbst im Call-Center-Geschäft aktiv ist.

Mitte Dezember hat Tapp zusammen mit CCF-Präsident Manfred Stockmann einen offenen Brief an Angela Merkel verfasst und dabei neben dem Bekenntnis zu mehr Qualität auch mit Argumenten wie "Job-Motor" gewunken. Mittlerweile hat der Verband laut seinem Vizepräsidenten immerhin eins erreicht: die Teilnahme an der "politischen Willensbildung".

Geringes Interesse an Zertifikat

Und die tendiert, als erster Schritt zur Besserung, zu der Forderung nach mehr Qualität. Ein Thema, an dem sich der DDV schon seit einiger Zeit abarbeitet. Die Gesamtleistung des Unternehmens inklusive die der Agenten und Team-Manager - all das können Call-Center-Betreiber längst prüfen und mit einem Zertifikat bestätigen lassen. Das Problem: Es macht keiner.

Für das vor zwei Jahren von DDV und CCF öffentlichkeitswirksam präsentierte und 2006 überarbeitete Zertifizierungsmodell Total Quality Excellence (TQE) gibt es nur ein Erfolgsbeispiel: das Call-Center der WDR Mediagroup Dialog in Köln. Ansonsten kann der DDV, außer "intensiven" Gesprächen mit elf weiteren Unternehmen, noch nichts Konkretes vermelden.

Auch die im schwäbischen Ettlingen ansässige Branchengröße Walter Services ist von einem solchen Schritt noch ein gutes Stück entfernt. Nicht allein deshalb, weil damit, so Walter-Geschäftsführer Richard Brodkorb, "ein hoher sechsstelliger Betrag" verbunden wäre. Für Zurückhaltung sorge vor allem die Tatsache, dass den Kunden das Thema offenbar egal ist: "Wir werden mit der Frage ,Seid ihr zertifiziert?'", konstatiert der Walter-Manager, "nicht konfrontiert."

Öffentliche Diskussion

Damit soll es nun vorbei sein. Aufgescheucht von Forderungen nach "Sanktionen" und "Bußgeld" will der DDV die Bezieher von Call-Center-Dienstleistungen sensibilisieren. "Wir werden mit den Anwendern eine öffentliche Diskussion führen", kündigt Tapp an und will - der Termin ist noch offen - zum Thema Zertifizierung und Qualitätssicherung eine "Anwenderkonferenz" anberaumen.

Das Problem der - ohne die vorherige Erlaubnis des Angerufenen - ungesetzlichen "Cold Calls" ist damit freilich noch nicht gelöst. Wie ausgeprägt das Phänomen tatsächlich ist, bleibt allerdings Spekulation.

Die unlängst vom Verbraucherverband vzbv per Pressemitteilung gestreute Nachricht, die Zahl "unerbetener" Werbeanrufe sei von 2005 auf 2006 um sagenhafte 30 Prozent gestiegen, spiegelt die Realität jedenfalls höchst ungenau wider. Die von der GfK ermittelten Zahlen beziehen sich auf alle Werbeanrufe - wie viele davon unerlaubt waren, sagt die Statistik nicht.

Unerlaubte Telefonwerbung grassiert

Der erhitzten Diskussion tut das keinen Abbruch. "In der Situationsbeschreibung", gibt Politikerin Klöckner zu Protokoll, sei man sich durch alle Parteien einig: Unerlaubte Telefonwerbung grassiert - auch wenn DDV-Vize Tapp das Problem nach wie vor gern als "Einzelfälle" behandelt sähe. Die von ihm bei Politikern und Öffentlichkeit diagnostizierte "gefühlte Beschwerdedichte" reicht aus, um die Branche unter Druck zu setzen.

Dass die Mehrzahl der Unternehmen seriös arbeitet, hilft da als Argument nur wenig weiter. "Denjenigen, die immer wieder mit unerlaubten Anrufen belästigt werden, ist das ziemlich egal", sagt CDU-Politikerin Klöckner trocken.

Dass es so nicht weitergehen kann, konstatiert Klöckner, sei inzwischen ebenfalls klar. Weniger klar ist, wie sich das Massenproblem lösen lässt. Politikern geht es um "Abschreckung", der DDV dagegen glaubt weiterhin, die Diskussion um unerlaubte Telefonwerbung mit der Forderung nach mehr Qualität in die richtige Richtung lenken zu können.

Allerlei Querelen

Bisher hat der in der Vergangenheit durch allerlei Querelen aufgefallene Verband mit seinem Auftreten allerdings selbst die eigenen Mitglieder nur zum Teil überzeugt. Er sehe, findet etwa Walter-Manager Brodkorb beim Blick auf das Tun des DDV, "keine wirklichen Aktivitäten".

Zumindest ein Thema haben die Verbands-Verantwortlichen unlängst selbst als Problemfeld erkannt - dass die bestehenden Call-Center-Zertifikate besser vermarktet werden müssen.

Unterstützt von Sponsorengeldern, so DDV-Vize Tapp, soll das von Studenten der Dialogmarketing Akademie (DDA) in Haan erarbeitete Konzept demnächst umgesetzt werden. Wichtigste Maßnahme: die Überarbeitung der vor zwei Jahren eingerichteten Website www.zertifikat.cc.

Auch über eine Gattungsmarketing-Kampagne, resümiert Patrick Tapp, werde inszwischen diskutiert. Zur Finanzierung sollen dann auch die "Key Player" der einzelnen Branchen beitragen.

Wenn es um die Meinungsbildung der Politiker geht, dann haben die Direktmarketer aber noch ein gutes Stück Arbeit vor sich. Eine Zertifizierung oder der vom DDV schon vor Jahren verfasste Ehrenkodex - für jedes Mitglied des Councils Telemedien und Call Center Services per Unterschrift Pflicht - beeindrucken die Christdemokratin Julia Klöckner nur wenig.

Wirksame Instrumente

Dass sich die Call-Center-Betreiber an die Buchstaben des Gesetzes halten, urteilt die Expertin für Verbraucherpolitik knapp, sei ja wohl selbstverständlich: "Was wir brauchen, sind wirksame Instrumente gegen diejenigen, die bewusst gegen das Gesetz verstoßen."

Die Winzertochter spricht dabei aus eigener leidvoller Erfahrung: Zehn unerlaubte Telefonanrufe an einem Abend, empört sich Klöckner, seien ja wohl ein eindeutiger Beleg dafür, dass von Einzelfällen nicht mehr die Rede sein kann.

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