Bundeshaushalt:Der gelähmte Staat

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Politiker und Journalisten haben bei der Beschreibung der Lage Deutschlands den Gebrauch negativer Adjektive und Substantive inflationiert. Denn die Lage der Staatsfinanzen lässt sich gar nicht schwarz genug malen: Sie ist eine Katastrophe. Ein Kommentar von Nikolaus Piper

Selten ist ein Ziel so grandios verfehlt worden. Kurz nach seinem Amtsantritt im Mai 1999 hatte Hans Eichel verkündet, er wolle bis 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Aber der reale Etat für 2006 ist der desolateste in der Geschichte dieser Republik.

Vom Sparhans zum Schuldenhans - Finanzminister Eichel. (Foto: Foto: ddp)

Würde Eichels Entwurf Gesetz, also im unwahrscheinlichen Falle eines SPD-Wahlsieges, würde der Bund im nächsten Jahr 21,5 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Damit wäre der Haushalt zwar noch verfassungskonform, aber nur deshalb, weil Eichel für 32 Milliarden Euro Staatsvermögen verkauft. Das Unangenehme bei derartigen Verkäufen ist, dass das Vermögen hinterher weg ist.

Der "strukturelle Konsolidierungsbedarf", wie Eichel das nennt, ist also viel größer. Und bei alledem ist der Finanzminister noch relativ optimistisch hinsichtlich seiner Annahmen über das künftige Wirtschaftswachstum.

Katastrophe Staatshaushalt

In den letzten Monaten haben Politiker und Journalisten bei der Beschreibung der Lage Deutschlands den Gebrauch negativer Adjektive und Substantive inflationiert. Kein Wunder, dass die Leute das ganze Geschimpfe oft nicht mehr hören können.

Doch die Lage der Staatsfinanzen lässt sich redlicherweise gar nicht schwarz genug malen: Sie ist eine Katastrophe. Der Staat, und zwar nicht nur der Bund, sondern auch Länder und Gemeinden, ist kurz davor, seine Handlungsfähigkeit zu verlieren. Er ist gelähmt.

Als Symbol dieser Entwicklung gilt Hans Eichel - mit einem gewissen Recht, denn er verantwortet die Bundesfinanzen. Aber tatsächlich stehen CDU und CSU voll mit in der Verantwortung für die desolate Lage, da ist Eichel nicht zu widersprechen. Die Mitverantwortung erwächst schon aus der Rolle der Opposition im Bundesrat.

Notwendiger Kassensturz

Vor allem werden sich Angela Merkel und Edmund Stoiber im Falle eines Wahlsieges nicht lange damit aufhalten können, die Erblast von Rot-Grün zu beklagen. Ein Kassensturz ist nicht nötig, die Regierungsprogramme lassen sich bereits jetzt darauf testen, ob sie mit der bedrückenden Lage kompatibel sind.

So oder so müssen sich die Deutschen von einigen Illusionen verabschieden. Zum einen ist es völlig unrealistisch, dass der deutsche Staat schnell wieder die Vorgaben des europäischen Stabilitätspaktes einhält, also die Neuverschuldung auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu begrenzen.

Eichels Vorwürfe, nur die Union habe ihn an der Erreichung dieses Zieles gehindert, sind absurd. Es bringt auch nichts, mit immer neuen Einmalmaßnahmen sich dem Ziel zu nähern. Irgendwann ist Schluss damit.

Völlig verbautes Steuersystem

Illusionen gibt es aber auch in der Steuerpolitik. Unredlich ist es zum Beispiel, wenn die FDP den Bürgern eine dauerhafte Steuerentlastung verspricht. Für die gibt es ganz einfach keinen Spielraum. Der Anteil der Steuern ist in Deutschland verglichen mit anderen Ländern gering.

Das Problem ist, dass das deutsche Steuersystem völlig verbaut ist: albtraumhaft kompliziert, leistungsfeindlich, ungerecht. Ein neues System muss einfacher und ergiebiger werden, mit niedrigeren Sätzen und weniger Ausnahmen. In der Theorie sind sich Rot-Grün und Schwarz-Gelb dabei einig, in der Praxis verschwinden Lösungen immer in der Blockademaschine von Bundestag und Bundesrat.

Vor diesem Hintergrund war es ein entscheidender Fehler von Angela Merkel, sich bereits jetzt auf eine Erhöhung der Mehrwertsteuer festzulegen und auch deren Aufkommen schon zu verteilen. Richtig und den Wählern vermittelbar wäre es gewesen, die Mehrwertsteuer zu benutzen, um mögliche Ausfälle bei einer systematischen Reform der Einkommensteuer zu verwenden.

Ausweg nur durch Wirtschaftswachstum

Alle Finanzminister in Deutschland werden auf Jahre hinaus sparen müssen, sie werden aber scheitern, wenn sie meinen, die Staatsfinanzen seien allein durch Sparen zu sanieren.

Die Nachfragetheoretiker haben zwar Unrecht, wenn sie die Konjunktur mit teuren Programmen oder gar mit Lohnerhöhungen ankurbeln wollen. Aber sie haben Recht mit ihrem Einwurf, dass der Staat nicht gegen die Krise ansparen darf. "Man kann sich nicht in den Wohlstand sparen," sagt ein englisches Sprichwort.

Ein Ausweg aus der Schuldenfalle des Staates ist nur durch mehr Wirtschaftswachstum möglich. Deshalb muss die nächste Regierung endlich das tun, was Merkel und Stoiber versprechen: der Beschäftigung absoluten Vorrang geben, Investitionshindernisse abbauen, Bürokratie bekämpfen, die staatlichen Investitionen schonen, die Reformen des Arbeitsmarkts durchsetzen.

Die Konsolidierung des Staatshaushalts ist eine strukturelle Aufgabe, sie kann nur in mittelfristiger Perspektive gelöst werden. Am schwersten lasten - neben den Zinsausgaben - die Zuschüsse zur Rentenkasse auf dem Bundeshaushalt. Das zeigt, dass das System der Alterssicherung noch lange nicht so weit stabilisiert ist, wie es in Berlin viele glauben machen.

Und auch dieser Hinweis ist heute nötig: Wer wegen der Umfrageerfolge von Lafontaine und Gysi vor Schritten zurückschreckt, die als "Sozialabbau" gebrandmarkt werden könnten, der gefährdet den Kern der sozialen Sicherung. Eichels Zahlen belegen das.

© SZ vom 14.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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