Bundesetat:Sprengsatz für die Koalition

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Die Steuereinnahmen wachsen weniger als erwartet. Das bringt Finanzminister Scholz in Schwierigkeiten. Will er weiter einen ausgeglichenen Haushalt, muss er die Ausgaben kürzen - fragt sich nur, wo.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Natürlich tut Olaf Scholz jetzt so, als würde ihn die neueste Steuerschätzung nicht beunruhigen. Nein, er sei nicht nervös, "wir haben uns gut vorbereitet", sagte der Bundesfinanzminister von der SPD gerade im Interview mit dem Deutschlandfunk. Er habe ja die schlechteren Wirtschaftsdaten schon in die Planung des Haushaltes 2020 und der Finanzen bis 2023 einfließen lassen. Es könne zwar sein, "dass es noch etwas herausfordernder wird", aber eben beherrschbar.

Als Scholz seine besänftigenden Worte sprach, wusste er wohl schon, was die Steuerschätzer an Einnahmen für die kommenden Jahre erwarten: deutlich weniger als bisher angenommen. Allein der Bund könnte in den Jahren 2019 bis 2023 rund 75 Milliarden Euro weniger einnehmen, als noch im November 2018 (Grafik) erwartet. Das geht aus der Vorlage des Bundesfinanzministeriums für die Steuerschätzung hervor, die am Donnerstag dieser Woche abgeschlossen sein wird. Das Handelsblatt berichtete als erste Zeitung darüber. Die Schätzung des Ministeriums fließt ein in den Arbeitskreis der Steuerschätzer, der in Kiel tagt. Insgesamt müssen Bund, Länder und Gemeinden wohl mit etwa 100 Milliarden Euro an Steuerausfällen rechnen.

Dass die Schätzungen vom Oktober 2018 deutlich nach unten korrigiert werden müssen, war absehbar. Nicht absehbar dagegen war, dass es so drastisch abwärts geht. Ende 2018 hatte die Bundesregierung noch damit gerechnet, dass das Bruttoinlandsprodukt um 1,8 Prozent im laufenden Jahr wachsen werde. Zum Jahreswechsel war es dann nur noch ein Prozent Wirtschaftswachstum, der Bundesfinanzminister besserte daraufhin seine Finanzplanung nach - insgesamt 25 Milliarden Euro an Steuerausfällen wurden nachträglich berücksichtigt.

Inzwischen hat die Regierung die Erwartungen auf 0,5 Prozent nach unten korrigiert. Das bedeutet auch: Die daraus resultierenden Steuermindereinnahmen sind deutlich größer - und damit nicht vollständig eingepreist in die Haushalts- und Finanzplanung des Ministers. Wie viel genau fehlt, wird man am Donnerstag sehen. Ökonomen weisen aber bereits darauf hin, dass die schwarze Null, also der ausgeglichene Bundeshaushalt, "nicht nach unten abgesichert ist". Man kann das auch so sagen: Ohne zusätzliches Sparen wird Scholz neue Schulden machen müssen.

Man darf davon ausgehen, dass Scholz die finanzielle Zwangslage kennt. Er spricht davon, dass sich die große Koalition dann noch mehr anstrengen muss. "Man muss Sachen, die vielleicht nicht so wichtig sind, beiseitelassen und muss sich auf das konzentrieren, was einem wichtig ist". Wobei die Frage, was wichtig ist, durchaus gewaltige Sprengkraft in der Koalition entwickeln kann.

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat für Angang Juni zu einer Klausur eingeladen, um für die CDU festzulegen, was wichtig sein wird. Der vielstimmige Chor der Union hat dazu geführt, dass sie eher als unentschlossen wahrgenommen wird. Wirtschaftsminister Peter Altmaier ist mit seinen Forderungen nach dem Absenken der Unternehmensteuern ebenso aufgelaufen wie die Parteichefin mit ihrer Forderung, den Soli-Zuschlag für alle Steuerzahler abzuschaffen. Hinzu kommt: Der Gesundheitsminister will die Betriebsrenten anders besteuern, der Verkehrsminister Bahntickets billiger machen und E-Mobilität fördern. Die Verteidigungsministerin will mehr Geld für Rüstung und der Entwicklungshilfeminister zusätzliche Milliarden Euro für Afrika. Ja, was denn nun, möchte man fragen?

Soll man das Land zukunftsfest machen oder den Sozialstaat ausweiten?

Auch die SPD hat Lieblingsprojekte, allen voran die bedingungslose Grundrente, die irgendwie finanziert werden muss.

Die Frage ist: Wie entscheidet eine Regierungskoalition, die aus drei Parteien besteht, die alle im Wahlkampf sind, darüber, was wichtig ist und finanziert werden muss - und was nicht?

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus hat sich vorgewagt und gefordert, den Bundeshaushalt einer Generalrevision zu unterziehen. Er warnt vor weiteren Sozialleistungen. "Wir müssen uns entscheiden, was wir wollen: das Land zukunftsfest machen oder den Sozialstaat ausweiten", sagte Brinkhaus der Funke-Mediengruppe.

Der Druck auf arme Menschen in der Region München steigt vor allem durch den schwierigen Wohnungsmarkt. (Foto: Florian Gaertner/imago/photothek)

Scholz bekräftigte dagegen das Vorhaben, "bald" den Gesetzentwurf für die geplante Grundrente vorzulegen. Mit Arbeitsminister Hubertus Heil sei verabredet, "dass wir in diesem Zusammenhang auch sichtbar machen, wie man das über die lange Strecke finanzieren kann." Nach Einigung sieht das nicht aus.

Im Bundestag hält man die schwächere Konjunktur für etwa die Hälfte der Steuerausfälle verantwortlich. Der Rest gehe auf Steuerentlastungen über das Familienpaket, das Gute-Kita-Gesetz sowie weitere Vorhaben zurück sowie auf die Entlastung der Länder und Kommunen bei den Flüchtlingskosten, heißt es. Die Vorhaben waren bei der Schätzung im November 2018 noch nicht gesetzeswirksam.

Am Donnerstag wird Scholz also aller Voraussicht nach eine grundsätzliche Frage beantworten müssen: Sparen - oder neue Schulden machen?

© SZ vom 07.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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