Bürgerversicherung:Solidargemeinschaft Deutschland

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Kurz nach der von SPD und CDU gemeinsam beschlossenen Gesundheitsreform machen neue Stichworte die Runde: Die Bürgerversicherung und die Kopfpauschale. Was ist mit diesen Konzepten genau gemeint? Wer vertritt welches? Aus welchen Gründen? Eine kurze Darstellung der Bürgerversicherung.

Wenn die Sozialkassen leer sind, dann gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten die Löcher zu stopfen: die Leistungen verringern oder die Einnahmen erhöhen.

In dem Sparpaket, das Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und Unions-Sozialexperte Horst Seehofer (CSU) in der vergangenen Woche vorgestellt haben, kamen zwar gleiche beide Mittel zum Einsatz. Doch schon wenige Tage später wusste jeder, dass weitere Sanierungsmaßnahmen notwendig sind.

Angestoßen wurde die Diskussion über eine weitere Verbesserung der Kasseneinnahmen von Außenminister Fischer, der die so genannte Bürgerversicherung ins Gespräch brachte.

Alle müssen zahlen

Bei diesem System müssten alle Bürger - auch Selbstständige, Freiberufler und Beamte - Beiträge bezahlen. Und zwar für alle Einkommensarten, auch für Zinsen, Mieten oder Aktiengewinne.

Derzeit werden die Beiträge zur Renten-, zur gesetzlichen Kranken- und zur Pflegeversicherung in aller Regel nur von den abhängig Beschäftigten geleistet, wobei sie je zur Hälfte von Arbeitnehmer und Arbeitgeber getragen werden.

Nur wer im Monat mehr als 3.825 Euro verdient und damit über der sogenannten "Pflichtversicherungsgrenze" liegt, kann zu einer privaten Krankenversicherung wechseln.

Niedrigere Lohnnebenkosten

Mit der Bürgerversicherung, in die dann auch Millionäre einzahlen müssten, würden nicht nur die Kasseneinnahmen deutlich erhöht, zugleich würden auch die Lohnnebenkosten sinken.

Damit, argumentieren die Befürworter, könnte der Teufelskreislauf zwischen den explodierenden Kosten der sozialen Sicherung und den immer höheren Bruttolöhnen durchbrochen werden. Als Folge werde der Arbeitsmarkt entlastet.

Die Gegner der Bürgerversicherung halten diese Argumentation allerdings für kurzsichtig. Sie räumen zwar ein, dass die Sozialkassen kurzfristig wohl tatsächlich entlastet würden, doch eine längerfristige Lösung der grundsätzlichen Probleme leiste die Bürgerversicherung nicht, heißt es aus dem Kritikerlager.

Denn aus den zusätzlichen Einzahlern würden auf absehbare Zeit auch zusätzliche Anspruchsberechtigte. Deren zusätzliche Antwartschaften auf Rente oder ärztliche Versorgung fielen künftig genau zu jenem Zeitpunkt an, zu dem auf Grund der demographischen Entwicklung ohnehin schon weniger Einzahler vorhanden seien. Der Kollaps der Sozialkassen werde durch die Bürgerversicherung daher nur in die Zukunft verschoben, argumentieren die Kritiker.

Zweifel am Generationenvertrag

Der Generationenvertrag ließe sich in einer überalternden Gesellschaft nicht retten, indem kurzfristig neue Zahler zwangsverpflichtet würden. Vielmehr müsse über eine grundsätzliche Strukturveränderung der sozialen Sicherung nachgedacht werden, mahnen daher die Gegner der Bürgerversicherung.

Die Befürworter einer universalen Sozialversicherungspflicht halten dieser Argumentation entgegen, dass die unausweichlichen Lasten der demographischen Entwicklung eben von allen Bürgern getragen werden sollten. Die Solidargemeinschaft dürfe nicht nur auf die abhängig Beschäftigten begrenzt werden.

Das gegenwärtige System einer partiellen Sozialversicherungspflicht sei "weder politisch noch ökonomisch sinnvoll", argumentiert so beispielsweise Herbert Rebscher, Vorstandsvorsitzender der Ersatzkassenverbände für Angestellte und Arbeiter (VdAK und AEV). Es sei nicht einzusehen, warum Menschen, die gut verdienen und gesund seien, sich niedrige Beiträge der Privatversicherung gönnen könnten, sagte Rebscher.

Reschers Stellungnahme belegt allerdings auch, dass es neben einer objektiven Diskussion über die Vor- und Nachteile einer Bürgerversicherung, auch eine von Interessen geleitete Debatte gibt. Denn Rescher dürfte sich nicht in erster Linie als Privatperson, sondern vielmehr als Funktionär der gesetzlichen Krankenkassen geäußert haben.

Gesetzliche Krankenkassen wollen sich Finanzierung sichern

Die gesetzlichen Krankenkassen erachten eine Bürgerversicherung nämlich für sinnvoll, um die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung auch für die Zukunft zu sichern. Allerdings bestehe noch "erheblicher Diskussionsbedarf", nicht zuletzt in Bezug auf verfassungsrechtliche Fragen, wie es bei der AOK heißt.

Den Gegenpol bilden die privaten Krankenkassen, die um ihren Marktanteil fürchten und daher den härtesten Widerstand gegen die Bürgerversicherung leisten. Sie drohen sogar mit einem Gang nach Karlsruhe, um vor dem Bundesverfassungsgericht gegen eine Bürgerversicherung zu klagen, falls diese tatsächlich eingeführt werden sollte.

Zur Begründung führen die privaten Versicherer an, daß die Erfahrungen in anderen Ländern gezeigt hätten, daß eine Bürgerversicherung die Wahlfreiheit und den Wettbewerb beschränke und zu schlechterer Versorgung führe.

Strikt gegen eine Bürgerversicherung sind auch die Arbeitgeber. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sprach sich bereits im April einstimmig gegen die Versicherung und für das Kopfprämien-Modell aus, das einen vom Einkommen unabhängigen Beitrag für alle vorsieht.

Demografisches Problem

Bei ihrer Begründung stimmen die Arbeitgeber in den Chor jener Kritiker ein, die auf die demografischen Probleme hinweisen (s.o.). Ganz auf dieser Linie liegt auch die Pharmaindustrie.

Ganz anderer Auffassung sind hingegen die Gewerkschaften, die sich die Bürgerversicherung ausdrücklich wünschen. Mit Blick auf den jüngsten überparteilichen Gesundheitskompromiss vertritt DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer die Meinung, dass nur mit einer "konsequenten Reform" die "nun beschlossene Umverteilung von unten nach oben" vermieden werden könne.

(sueddeutsche.de)

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