Bürgerversicherung - Kontra:Die Bürger-Verunsicherer

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Die Sozialversicherung soll den Bürgern ein Stück Sicherheit geben: heute, morgen und auch übermorgen. Wer hier etwas verändert, das weiß jeder Sozialpolitiker, muss die Angst der Menschen ernst nehmen.

Von Ulrich Schäfer

(SZ vom 26.07.03) - So besehen haben Ulla Schmidt und Horst Seehofer in den vergangenen Tagen gegen alle Regeln der soliden Sozialpolitik verstoßen - und die Bürger kräftig verunsichert.

Am Montag verkündeten die beiden, sie hätten sich auf "die größte Sozialreform in der Geschichte der Bundesrepublik" geeinigt.

Am Mittwoch zweifelt Seehofer plötzlich, ob die Reform länger als fünf Jahre trägt und bringt den Vorschlag einer Bürgerversicherung ins Spiel, bei der der Kreis der Beitragszahler - aber auch der Anspruchsberechtigten - auf Selbständige, Freiberufler und Beamte ausgeweitet wird, auf alle Bürger also, sofern sie über eigenes Einkommen verfügen. Am Donnerstag zeigte auch Ulla Schmidt dafür Sympathie.

Es ist bizarr: Ausgerechnet jenes Sozial-Duo, das damit gescheitert ist, mehr Markt in das verkrustete Gesundheitswesen zu implantieren, sagt nun, welche Therapie wirklich nötig sei: ein Systemwechsel, eine neue Form der solidarischen Vorsorge.

Prinzip Ablenkung

Allein schon die Art und Weise, in der das Thema hochkocht, lässt Schlimmes befürchten. Schnell, viel zu schnell versuchen Regierung und Opposition davon abzulenken, dass ihre Gesundheitsreform an den Besitzständen von Ärzten, Pharmakonzernen, Apotheken und Kassen wenig ändert und einseitig die Patienten belastet.

Auch in der neuen Debatte geht es nicht um Strukturen, sondern nur um Geldquellen. Wieder fragt keiner, ob das solidarisch finanzierte Gesundheitssystem all das leisten muss, was es derzeit leistet. Wieder geht es nicht darum, den Wettbewerb zu fördern (ein wenig zumindest) und so die Kosten zu drücken.

Dabei haben die Anhänger der Bürgerversicherung ja durchaus recht: Das Sozialversicherungssystem, das Otto von Bismarck im 19. Jahrhundert schuf, ist nicht mehr zeitgemäß. Es belastet vor allem den ohnehin teuren Faktor Arbeit.

Die Lohnnebenkosten liegen bei satten 43 Prozent, Anfang der fünfziger Jahre waren es gerade mal 25 Prozent. Auch deshalb sind 4,5 Millionen Menschen ohne Job, auch deshalb entstehen in der arbeitsintensiven Dienstleistungsbranche viele Stellen erst gar nicht.

Abwärtsspirale

Seit Jahren dreht sich die Abwärtsspirale: Weil die Sozialabgaben steigen, werden immer mehr Stellen wegrationalisiert; weil deswegen die Einnahmen sinken, müssen wiederum die Beiträge steigen.

Daran ändert eine Bürgerversicherung nichts. Im Gegenteil: Sie verschärft das Problem der Umlageversicherung nur noch, indem die Beiträge von Beamten, Selbständigen und Freiberuflern ebenfalls an deren Gehalt gekoppelt werden.

Gleichzeitig sollen die privaten Kassen, die trotz aller Kautelen immer noch für etwas Druck auf Orts- und Betriebskrankenkassen sorgen, nach und nach vom Markt verschwinden.

Nur: Warum sollen die Lohnnebenkosten sinken, wenn der Kreis der gesetzlich Versicherten wächst? Warum sollen die Ortskrankenkassen ohne private Konkurrenz besser wirtschaften? Es gibt keinen Grund.

Auch die Idee der Bürgerversicherer, Miet- und Zinseinnahmen den Beiträgen zu unterwerfen, dürfte kaum etwas bringen: Nach Berechnungen des Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung würden die Beiträge, wenn die Einkommensgrenzen konstant bleiben, nur um 0,3 Prozentpunkte sinken.

Diffuse Debatte

In der diffusen Debatte wird gern auch auf die Schweiz verwiesen - als Beispiel für eine Sozialversicherungssystem, in das auch Beamte und Selbständige einzahlen.

Oft wird dabei aber unterschlagen, was dies im Fall der Rente bedeutet: Dass der Staat nur eine geringe Grundrente gewährt und die Bürger sonst privat fürs Alter vorsorgen müssen.

Und in der Krankenversicherung bietet die Schweiz das Gegenteil dessen an, was die Bürgerversicherer wollen: mehr Wettbewerb und Trennung der Sozialabgaben vom Faktor Arbeit.

Alle Schweizer, auch Ehefrauen, Kinder und Rentner, müssen sich bei einer der hundert Krankenkassen versichern, sie zahlen eine lohnunabhängige, relativ einheitliche Prämie und bekommen alle dasselbe (Grund-)Leistungspaket. Ein Wechsel der Kasse ist jederzeit möglich.

Rürups Modell

Die Idee der Gesundheitsprämie wird auch hier zu Lande debattiert, der Sachverständigenrat wirbt dafür, ebenso Bert Rürup, oberster Sozialratgeber der Regierung.

Doch in der nach ihm benannten Kommission konnte er sich gegen Schmidts Fraktion nicht durchsetzen. Leider. Denn das Modell der Einheitsprämie ließe sich, wenn man über das Steuersystem zugleich einen Ausgleich für Geringverdiener schafft, auch in Deutschland installieren.

Selbst ein relativ freier Wettbewerb zwischen privaten und gesetzlichen Kassen wäre möglich.

Vielleicht besinnen sich die Bürger-Verunsicherer Schmidt und Seehofer ja noch. Der Abschied von Bismarcks System ist nötig, doch die Bürgerversicherung ist der falsche Weg.

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