Brüssel:Saubermänner im Zwielicht

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Der Skandal um das europäische Statistikamt Eurostat mit seinen immer neuen Wucherungen hat der EU-Kommission schwer geschadet.

Von Alexander Hagelüken

(SZ vom 23.09.2003) — Als vor vier Jahren die EU-Kommission unter Romano Prodi antrat, stand sie im Schatten der Vergangenheit. Gerade war die Vorgänger-Mannschaft über exzessive Vetternwirtschaft gestürzt, unter anderem hatte eine Kommissarin ihren Zahnarzt als Berater beschäftigt - auf Kosten der Steuerzahler.

Um sich davon zu distanzieren, ersann Romano Prodi einen griffigen Slogan. Er versprach, die neuen Chef-Europäer würden mit "null Toleranz" gegen Betrug vorgehen.

Heute wäre Prodi froh, wenn er weniger markige Ankündigungen gemacht hätte. An diesem Donnerstag muss sich der Italiener vor dem EU-Parlament verantworten. Der Skandal um das europäische Statistikamt Eurostat mit seinen immer neuen Wucherungen hat der Saubermann-Kommission schwer geschadet.

Womöglich mehr als nur eine Altlast

Zu unglaublich wirkt es, dass die Statistiker jahrelang durch manipulierte Verträge Geld auf schwarze Konten schaffen und dubiosesten Firmen Aufträge zuschanzen konnten. EU-Kommissare wie Pedro Solbes oder Michaele Schreyer sperren sich bisher dagegen, Verantwortung zu übernehmen.

Man habe von Ausmaß und Schwere der Machenschaften leider nichts wissen können - unbeschadet der Tatsache, dass Zeitungen seit langem darüber berichten. Die Kommission verteidigt sich auch damit, die Praxis schwarzer Kassen sei bald nach ihrem Amtsantritt gestoppt worden. Der Eurostat-Skandal wäre somit nur eine Altlast der gestürzten Truppe unter Jacques Santer.

Diese Verteidigungslinie dürfte Prodi diese Woche aber kaum halten können. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung fanden EU-Ermittler heraus, dass Eurostat-Beamte die schwarzen Kassen weit länger mit EU-Mitteln füllten als bekannt.

Demnach hätten die Machenschaften nicht mit dem Antritt der Kommission Prodi 1999 geendet. Mindestens bis 2001, wahrscheinlich noch 2002, soll über falsche Verträge Geld in geheime Fonds gelenkt worden sein - zur Finanzierung von Reisen und Abendessen, einer Reitschule oder einem Volleyballteam. Diesen Vorwurf soll der Bericht des Internen Prüfdienstes enthalten, den Prodi den Abgeordneten zusammen mit anderen Untersuchungen vorstellen wird.

Bestätigt sich dies, wird es für die Kommission in dieser Woche eng. Bestanden die schwarzen Kassen auch unter Prodi fort, will die liberale Fraktion im Parlament den Abgang von Währungskommissar Solbes verlangen, der für Eurostat zuständig ist.

Der Fraktionschef der Konservativen, Hans-Gert Pöttering (CDU), schlägt nach klaren Rücktrittsforderungen inzwischen leisere Töne an. Doch auch in seinen Reihen fallen deutliche Worte. "Wenn ein Kommissar gelogen hat, muss er gehen", droht die Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses, Diemut Theato (CDU). Sozialisten und Grüne schließen Rücktrittsforderungen nicht aus, betonen aber, für sie habe die Aufklärung der Vorgänge Priorität.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die drei besonders gefährdeten Kommissare - Pedro Solbes, Michaele Schreyer und Neil Kinnock - aus dem rot-grünen Lager kommen. Welche Brüsseler Politiker über die Eurostat-Affäre stolpern und ob überhaupt jemand gehen muss, hängt mit politischen Rivalitäten mindestens ebenso zusammen wie mit neuen Enthüllungen der Ermittler.

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