Brüssel kommt Etat-Sündern entgegen:Der Stabilitätspakt wankt

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Europas Wirtschaft kriselt. Deshalb will der neue EU-Währungskommissar Joaquin Almunia wegen der Stabilitätskriterien nicht mehr Druck machen. Stattdessen sollen die Mitgliedsländer ihre Arbeitsmärkte und Sozialsysteme reformieren.

Von Alexander Hagelüken

Künftig soll es mehr Druck aus Brüssel auf EU-Mitglieder geben, Arbeitsmärkte und Sozialsysteme zu reformieren. Im Gegenzug könnten Länder wie Deutschland mehr Zeit erhalten, ihre Defizite zu senken.

Währungskommissar Joaquin Almunia. (Foto: Foto: AP)

Hohe Gesamtschulden werden stärker geahndet. Das geht aus einem internen Entwurf hervor, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Währungskommissar Joaquin Almunia reagiert mit seinen Vorschlägen auf den Dauerstreit um den Stabilitätspakt, der den Euro stützen soll.

Deutschland und Frankreich hatten vergangenen November Sparauflagen der Brüsseler Kommission zurückgewiesen und die Strafverfahren auf Eis gelegt, die gegen sie liefen, weil sie seit 2002 nicht mehr das Defizitlimit von drei Prozent einhalten.

Die Kommission klagt deswegen vor dem höchsten europäischen Gericht. "Diese Spannungen haben zu Unklarheit über die Haushaltsüberwachung der Euro-Mitglieder geführt", heißt es in einem Papier, das Almunia am Donnerstag mit seinen Kommissarskollegen beraten wird.

Der Spanier will die politische Lähmung im Währungsraum, die seit Monaten andauert, durch einen völlig neuen Ansatz beenden. Dazu möchte er die Ziele Haushaltsdisziplin und Wirtschaftswachstum miteinander versöhnen, was der deutschen und der französischen Regierung entgegenkommen würde.

Berlin und Paris argumentieren, sie könnten nicht wie von Brüssel gefordert mehr sparen, weil sie sonst die Konjunktur noch weiter abwürgen würden.

Mehr Druck auf Nachzügler

Almunia will den Eindruck beseitigen, "dass sich die Koordination der EU fast nur auf Haushaltsdisziplin konzentriert".

Künftig sollen die "Grundzüge der Wirtschaftspolitik" wichtiger werden, in welchen den Euro-Staaten detaillierte Reformen vorgeschlagen werden, um das schwache Wachstum zu steigern.

Die jährlichen Vorschläge der Kommission dienen dem Ziel der EU, bis 2010 zum stärksten Wirtschaftsraum der Welt zu werden und dürften in Deutschland heftige Debatten auslösen.

So fordert Brüssel unter anderem weniger Bürokratie und schnellere Gesetzesänderungen auf dem Arbeitsmarkt sowie größere Lohnunterschiede. Die Tarifabschlüsse von durchschnittlich drei Prozent in Europa 2003 werden als zu hoch kritisiert.

Almunia stellt sich vor, dass die EU-Regierungschefs mehr Druck auf Staaten ausüben, die die europäischen Reformvorschläge zu langsam umsetzen. "Ein effizienterer makroökonomischer Rahmen" als bisher werde zu mehr Wachstum führen.

Im Gegenzug zu dieser neuen Ausrichtung der Wirtschaftspolitik bietet der Kommissar den Mitgliedstaaten einen flexibleren Stabilitätspakt an. "Die Regeln, die die Haushaltsdisziplin sichern sollen, haben einige Mängel gezeigt", heißt es erstaunlich kritisch in dem Papier. "Die strikten Zeitpläne und Bedingungen" des Defizit-Strafverfahrens "haben sich als schwer durchführbar erwiesen".

Vorsorge in guten Zeiten

Konkret will Almunia bei künftigen Sparauflagen die individuelle Situation von Ländern stärker berücksichtigen. Dies gelte "vor allem für dauerhafte Abschwungphasen", wie sie Deutschland und Frankreich seit 2001 erleben.

Setzt sich der Kommissar durch, könnten solche Länder mehr Zeit bekommen, ihre Defizite abzubauen. Bisher sieht der Pakt vor, dass die Haushaltslücke bereits nach einem Jahr wieder unter drei Prozent gedrückt werden muss.

Almunia will Länder mit hohen Gesamtschulden bei den Auflagen härter anpacken als Staaten mit niedrigerem Schuldenstand. Um zu verhindern, dass Euro-Mitglieder in der Konjunkturkrise über die Drei-Prozent-Grenze rutschen, sollen sie in guten Zeiten vorsorgen. "Bisher fehlen Anreize für Staaten, die in guten Zeiten sparen und Belohnungen für Länder mit solider Finanzlage", heißt es in dem Papier.

Um die Beziehung zu den Mitgliedsstaaten zu verbessern, will Almunia den Eindruck vermeiden, seine Position sei schon festgelegt. Die Ideen sollen erst mit den Mitgliedsstaaten beraten werden, bevor die Kommission wahrscheinlich im Herbst endgültige Vorschläge vorlegt.

Deutschland und Frankreich haben sich verpflichtet, ihre Defizite 2005 wieder unter die Drei-Prozent-Marke zu reduzieren. Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hält an diesem Ziel fest.

© SZ vom 23.06.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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