Börsenbetreiber:Dann eben allein

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Scheitert die Fusion mit dem Londoner Konkurrenten wie erwartet, muss sich die Deutsche Börse komplett neu erfinden. Einige Projekte zeigen, wie das auch ohne den Zusammenschluss gehen soll. Aber reicht das auch aus?

Von Jan Willmroth, Frankfurt

Wann immer die Deutsche Börse in den alten Frankfurter Handelssaal einlädt, gibt es eigentlich etwas zu feiern. Am heutigen Mittwoch stellt der Börsenbetreiber ein neues Segment für kleine und mittlere Unternehmen vor, das ihnen den Weg an den Kapitalmarkt erleichtern soll. Das Ziel sind schnellere Börsengänge, eine bessere Betreuung in frühen Phasen und ein leichterer Zugang zu internationalen Investoren. Börsenchef Carsten Kengeter tritt am Morgen auf, er wird hervorheben, wie wichtig diese Geschäftsidee für die Zukunft seines Unternehmens ist - wenn nämlich die vergangenen Tage etwas gezeigt haben, dann das: Die Deutsche Börse muss es wieder einmal allein schaffen.

Die Fusion mit dem Londoner Konkurrenten LSE steht jedenfalls vor dem Aus. Ein gutes Jahr hatte der Vorstand des Dax-Konzerns an dem Zusammenschluss gearbeitet, als der Wunschpartner am späten Sonntagabend überraschend absagte. Man wolle die Mehrheit an der italienischen Anleihen-Handelsplattform MTS nicht wie von der EU-Kommission gefordert verkaufen, hatten die Londoner mitgeteilt, also halte man es für unwahrscheinlich, dass die Brüsseler Behörde die Fusion genehmigt. Die Begründung ließ nur den Schluss zu, dass die LSE-Führung einen eleganten Ausweg gesucht hat: aus einem Fusionsvorhaben, das durch die Brexit-Entscheidung sowie politischem Widerstand aus London und Wiesbaden belastet war und bei dem die Staatsanwaltschaft gegen den designierten Chef Kengeter wegen des Verdachts auf Insiderhandel ermittelt.

Kengeter muss nun seinen eigenen Ausweg suchen, nicht nur, um eine Anklage abzuwenden. Er hatte immer davor gewarnt, wie riskant es für die Deutsche Börse und den Finanzplatz Frankfurt sei, wenn es abermals nichts daraus wird, einen internationalen Partner zu gewinnen. Aber er hatte auch gute Zahlen vorgelegt für das abgelaufene Geschäftsjahr und dabei war dieser Satz vor gut zwei Wochen beinahe untergegangen: "Wir sind also zum Wachstum aus eigener Kraft fähig."

Zum Übernahmeziel wird die Deutsche Börse wohl kaum. Aber findet sie neue Partner?

Das hatte Kengeter bereits durch einige kleinere Übernahmen bewiesen. Für 1,3 Milliarden Euro kaufte er die Devisenhandels-Plattform 360T und integrierte sie ins Unternehmen, dazu übernahm er zwei Anbieter von Börsen-Indizes. Unter Kengeters Führung hat die Börse an kleineren Technologiefirmen beteiligt, er forciert Projekte mit der Blockchain-Technologie, die Digitalwährungen wie Bitcoin zugrunde liegt. Im sogenannten "Content Lab" experimentiert die Börse mit künstlicher Intelligenz. Bei allen Fehlern, die er und seine Mitstreiter im Zuge des Fusionsvorhabens machten, scheint er erkannt zu haben: Im globalen Wettbewerb der wenigen verbleibenden Börsenkonzerne ist nicht allein Größe entscheidend, sondern vor allem gute Antworten auf die zunehmende Digitalisierung der Kapitalmärkte.

Von einem Plan B wollte er zuletzt trotzdem nicht sprechen, sollte die Fusion scheitern. Das übernahm am Dienstag der hessische Finanzminister Thomas Schäfer (CDU): "Was die Deutsche Börse nun braucht ist Ruhe, die Rückkehr zur normalen Arbeit und das Erarbeiten eines soliden Plan B", sagte der. Jetzt fragen sich Investoren und Mitarbeiter zurecht: Reicht es, was die Börse ansonsten so plant?

Es ist nicht schwierig, in Frankfurt Fans der Deutsche-Börse-Aktie zu finden, auch ohne die Fusion. "Im vergangenen Jahr hat die Deutsche Börse ein zweistelliges Gewinnwachstum erwirtschaftet, verbunden mit einer soliden Dividenrendite", sagt Christian von Engelbrechten, Fondsmanager bei Fidelity International und einer der größten Anteilseigner der Börse. "Bis jetzt hat der Konzern seine Kosten gut im Griff." Daran dürfte sich so schnell nichts ändern, wenn nicht noch weitere Unfälle passieren.

Ebenso unwahrscheinlich ist, dass die Deutsche Börse selbst zum Übernahmeziel wird. "Das ist aus Sicht ausländischer Investoren eine giftige Pille", sagte einer, der den Konzern und seine diversen Fusionen gut kennt. Die Fusionsvorhaben hätten gezeigt, wie streng die Börse unter der Ägide der Politik steht. Wenn die nicht mitspielt und früh beteiligt wird, gelingt keine Fusion; eine feindliche Übernahme gilt als ausgeschlossen. "Dadurch ist die Börse auch gewissermaßen geschützt", sagt er. Für die LSE gilt das nicht: Sie steht nun wieder allein da, bald außerhalb der Europäischen Union, und ist ein willkommenes Übernahmeziel. Der Deutschen Börse bleiben nur kleinere europäische Konkurrenten.

Offen bleibt, wie es jetzt mit Kengeter selbst und Aufsichtsratschef Joachim Faber weitergeht, der ihn 2015 zur Börse holte. Bleibt Kengeter, um die vielen kleinen Wachstumsprojekte voranzutreiben, oder verknüpft er seine Zukunft mit der Fusion? Sollte die Staatsanwaltschaft Anklage erheben, wird er sich kaum halten können; dann steht auch Faber infrage, der bislang uneingeschränkt zu ihm hält. Andernfalls kann Kengeter trotz gescheiterter Fusion weiter von Skaleneffekten sprechen, eines seiner Lieblingsworte: Das neue Börsensegment heißt "Scale".

© SZ vom 01.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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