Börsen:Chinesischer Doppelschlag

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Wenn Anleger plötzlich im Regen stehen: Spaziergänger im Finanzbezirk Pudong in Shanghai. Auf der Brücke werden die aktuellen Börsenkurse angezeigt. (Foto: Aly Song/Reuters)

Peking reduziert die Leitzinsen und die Mindestreserve für Banken, um die Konjunkturflaute zu bekämpfen. Beim jüngsten Crash verlieren viele Privatanleger.

Von Marcel Grzanna, Shanghai

Wann tatsächlich alle Dämme brechen an Chinas Börsen, das entscheidet immer noch die Regierung. Die Massenpanik von Anlegern Ende der vergangenen Woche mit dramatischen Kursverlusten Tausender Aktien konterte die Zentralbank am Wochenende mit einer umfassenden Finanzspritze. Chinas Zentralbank liegt an der Kette der Regierung. Diese nutzt die Abhängigkeit, um geldpolitische Weichen zu stellen. Die Bank senkte nicht nur die Leitzinsen um jeweils 25 Basispunkte, sie reduzierte auch die Mindestreserve für Banken, um damit Abermilliarden Yuan freizusetzen und einen weiteren Absturz der Börsenkurse zu verhindern.

Offiziell hieß es zur Begründung, man wolle das Wachstum in der zweitgrößten Volkswirtschaft stabilisieren. Doch Analysten bezweifeln, dass dies allein der Grund gewesen sein kann. Die jüngsten Konjunkturdaten aus dem Monat Mai sind bereits einige Wochen alt und hätten deshalb viel früher Anlass zur Sorge und somit zu Zinssenkungen geben müssen. Stattdessen reagierte die Zentralbank mit ihren Maßnahmen nur einen Tag nach der Ankündigung der chinesischen Börsenaufsicht, dass genügend Liquidität am Markt sei, um nach dem Crash mit neuen Kursgewinnen rechnen zu können.

Der Beruhigungspille der Kontrolleure folgten die Taten der Banker. Dabei kommt der Doppelschlag von Zins- und Reservesenkung höchst selten vor. Kurz nach dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 bediente sich die Zentralbank letztmalig dieser Kombination. Damals drohte die gesamte Wirtschaft zu kollabieren. Es ist Ausdruck dafür, wie wichtig Peking zurzeit eine positive Stimmung an den heimischen Börsen ist.

"Aufgeblähte Aktienkurse sollten für gute Stimmung sorgen", sagt Hu Meilang aus Peking, früherer TV-Börsenkommentator beim Staatsfernsehen. Er glaubt, dass stark verschuldete staatliche Unternehmen sich gesund stoßen und ihre Bilanzen aufpäppeln sollen. Banken und Energieversorger beispielsweise profitierten enorm von der Wertpapiere-Euphorie. Manche chinesischen Firmen, die an der Börse in New York gelistet sind, fühlen sich gar ermutigt, ihre Aktien allesamt zurückzukaufen, die Papiere von der Börse zu nehmen und sich in China für ein neues Listing zu bewerben. Neuemissionen waren hier in den vergangenen 18 Monaten meist von großem Erfolg gekrönt und verschafften den Firmen dringend benötigtes Kapital, das ihnen die Banken verwehrten.

Experten sind sich einig, dass die Börsenkurse zuletzt viel zu hoch waren

Der staatliche Eingriff ist Gedeih und Verderb gleichermaßen. Den Totalabsturz zu verhindern, kommt Anlegern und Firmen zwar kurzzeitig entgegen, doch er hilft keineswegs, den schlechten Ruf von Wertpapieren in der Volksrepublik zu verbessern und das Vertrauen in die marktwirtschaftliche Kräfte zu stärken. Chinas Börsenkurse sind nicht vom Markt getrieben, sondern allein von der Politik, heißt die Botschaft des Wochenendes. Zumal die Kurse viel zu hoch waren. Da sind sich Experten einig, denn die Papiere entwickelten sich gegensätzlich zur trüben Stimmung in der Realwirtschaft. Dass sie sich jetzt auf Normalmaß herunter korrigieren, ist angesichts der neuerlichen politischen Intervention eher unwahrscheinlich.

Für Anleger ist es deshalb riskant, Kapital in Shanghai oder Shenzhen zu investieren. "Staatliche Finanzspritzen als Stütze für den Aktienmarkt sind enorm strittig. Es wird interessant sein zu sehen, wie sich die Kurse in naher Zukunft entwickeln", sagte Analyst Zhu Haibin von J.P. Morgan dem Wall Street Journal.

Der Shanghai Composite Index machte seinem zweifelhaften Image als Achterbahn-Börse alle Ehre. Er kletterte am Montag zum Handelsstart um 100 Punkte nach oben, büßte am frühen Nachmittag im Vergleich zu Freitag mehr als drei Prozent ein, und schloss mit einem Minus von 3,34 Prozent. Das Wichtigste aus Sicht der Regierung war, dass ein ähnlicher Absturz wie am Freitag verhindert wurde.

Der Composite war am Freitag um 7,4 Prozent eingebrochen. Selbst für chinesische Verhältnisse war das ein Drama historischen Ausmaßes. Man muss sieben Jahre zurückschauen auf den Ausbruch der globalen Finanzkrise, um auf ein ähnliches Desaster zu stoßen. Der Technologie-Index Chinex erlebte gar den schwärzesten Tag seiner fünfjährigen Existenz und büßte 8,9 Prozent ein. Betroffen vom Kollaps waren alle Branchen. Insgesamt verloren 2000 Wertpapiere zehn Prozent ihres Werts, ehe ein Sicherheitsmechanismus die Papiere vom Handel für den Rest des Tages ausschloss. 767 Milliarden US-Dollar wurden dabei vernichtet - eine Summe, die größer ist als das Volumen des beispiellosen Konjunkturpakets, mit dem Peking nach der Lehman-Pleite die Wirtschaft auf Kurs hielt.

Vor allem Privatanleger leiden unter dem jüngsten Einbruch. Peking hatte ihnen das Investment schmackhaft gemacht. Vielen fehlt es an Erfahrung, um zu erkennen, wann die Zeichen auf Absturz stehen. Die Zahl der Erstanleger in den vergangenen Monaten beträgt einer Studie zufolge etwa 30 Prozent. Besonders ihr Lehrgeld verbrannte am Freitag lichterloh.

© SZ vom 30.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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