Boehringer Ingelheim:Schatzkammer für Krebsforscher

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Der Pharmakonzern Boehringer hortet in seinem Wiener Forschungszentrum etwa eine Million Substanzen: Neben neuen Präparaten gegen Krebs soll auch ein "Viagra für Frauen" entwickelt werden.

Kristina Läsker

In den Fluren von Boehringer Ingelheim in Wien ist es meist still. Nur ein leises Surren durchzieht die Korridore und lässt ahnen, dass hier einer der wachstumsstärksten Pharmakonzerne der Welt fieberhaft nach neuen Arzneien fahndet: Roboterarme sind durch Glasscheiben zu beobachten, sie ziehen handtellergroße Plastikplatten aus einem Regal. Jede Platte enthält etliche Moleküle. Einige von ihnen könnten einmal bahnbrechende neue Arzneimittel werden.

Proteinreinigung einer biopharmazeutischen Produktionsanlage bei Boehringer Ingelheim. (Foto: Foto: dpa)

Platte um Platte greifen die Roboter; Tausende Substanzen eilen Richtung Labor. Dort prüfen Automaten, ob sich die Substanzen zur Krankheitsbekämpfung eignen. Hochdurchsatzscreening heißt dieses Testen im Sekundentakt.

"Einen Schritt näher gekommen"

Die Auslese der Automaten lässt hoffen: Am Mittwoch stellte Boehringer drei potentielle Krebsmittel vor. Alle drei Arzneien würden an schwerkranken Patienten in einer klinischen Phase II erprobt, sagte Forschungschef Andreas Barner. ,,Wir sind den Krebstherapien von morgen einen Schritt näher gekommen.''

Wie sehr der Konzern aus Ingelheim darauf setzt, dass diese Mittel in fünf Jahren auf den Markt kommen, verrät die Veröffentlichung der Daten. Denn die nicht börsennotierte Firma tendiert sonst eher dazu, Projekte mit hohem Risiko zu verschweigen.

Am Standort Wien haben sich die 200 Mitarbeiter vor wenigen Jahren auf Krebs fokussiert. Die entwickelten Arzneien wirken unterschiedlich: Die Substanz BIBF 1120 soll als Angiokinase-Hemmer dafür sorgen, dass Tumore langfristig nicht mehr durchblutet werden und absterben.

Breites Spektrum

Der Wirkstoff BIBW 2992 blockiert einige Rezeptoren von Tumoren und verhindert Zellwachstum. Und das Mittel BI 2536 ist ein Polo-like-Kinase-Hemmer, der in den Kreislauf der Zellteilung eingreifen und ihn stoppen soll. Das angepeilte Spektrum ist breit: Die Wirkstoffe zielen unter anderem auf Brust-, Prostata-, Darm- und Lungenkrebs.

Anders als Konzerne wie etwa Altana oder Schwarz Pharma, die jüngst ihre Selbstständigkeit aufgegeben haben, ist Boehringer bei der Suche nach neuen Mitteln nicht nur auf zwei oder drei Krankheiten spezialisiert. Die Firma, vom Umsatz her die Nummer 15 weltweit, forscht an sieben Therapiegebieten.

Großes Forschungsbudget

,,Diese breite Palette ist Teil unseres Erfolgsrezepts'', sagt Forschungschef Barner. 2005 hat Boehringer etwa 1,36 Milliarden Euro und damit gut 14,3 Prozent des Umsatzes in die Forschung gesteckt. Dieses Jahr soll dieses Budget steigen.

An wie vielen neuen Mitteln das Unternehmen forscht, verrät Barner nicht. Nur soviel will er preisgeben: Weltweit nehmen dieses Jahr etwa 43.000 Menschen in 50 Ländern an knapp 100 Studien teil.

Quantität und Tempo

Hochdurchsatzverfahren wie das bei Boehringer bilden die Grundlage für die Arbeit der meisten Hersteller. Quantität und Tempo sind bitter nötig: Für die Konzerne wird es schwieriger, wirklich neue Medikamente zu entwickeln. Die Firmenportfolios mit Mitteln sind ausgedünnt.

Boehringer hortet für die Zukunft zahlreiche Substanzen. Allein in Wien, einem der vier Forschungszentren weltweit, lagern etwa eine Million Substanzen. Diese Schatzkammer soll den 5700 Forschern unter den 37.500 Mitarbeitern die Arbeit erleichtern.

In Biberach wird an Mitteln gegen Atemwegs-, Stoffwechsel- sowie Nervenerkrankungen geforscht. Im kanadischen Montreal suchen die Mitarbeiter nach Medikamenten gegen Virusinfektionen wie Aids und in Ridgefield bei New York werden Arzneien gegen Herzkreislauf-Probleme und Autoimmunerkrankungen entwickelt.

Wirkstoffe auch außerhalb der Firma

Boehringer schaut auch außerhalb der Firma: ,,Wir suchen kontinuierlich nach Wirkstoffen zum Einlizenzieren'', sagt Barner.

Bevor die Krebsmittel auf den Markt kommen, will die größte deutsche Pharmafirma zwei weitere Arzneien zur Zulassung einreichen. Beide werden in der letzten von drei Testphasen an Patienten erprobt.

Die Substanz Dabigatran soll Thrombose und Schlaganfällen vorbeugen. Ein anderes Mittel zielt auf Frauen: Der Wirkstoff Flibanserin soll bei ,,vermindertem sexuellen Verlangen'' helfen. Mit diesem Viagra für Frauen dürfte die traditionell-konservative Firma aus Ingelheim viel Aufmerksamkeit erzielen.

© SZ vom 10.11.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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