Bochum:Ein Hilfeschrei der Chancenlosen

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Sie geben sich kämpferisch und zuversichtlich: Die Arbeiter des Opel-Werks wissen, dass ihr Protest nicht erfolgreich sein kann. Und sehen doch keine Alternative.

Von Michael Kläsgen

Es sind ein paar Protestierer weniger an diesem Morgen als an den Tagen zuvor. Aber es ist ja auch Sonntag und ziemlich kühl, der Himmel wolkenverhangen. Manche wärmen sich die Hände an heißem Kaffee in Plastikbechern. Die Solidarität mit den Opelanern ist aber weiterhin groß. Eine aus Gelsenkirchen angereiste Kombo singt: "Keiner schiebt uns weg."

Und einer von der IG-Metall verkündet mit dem Mikro in der Hand gute Neuigkeiten: "Ein Rentner, der anonym bleiben will, hat vorhin 500 Euro gespendet". "500 Euro!", raunt es durch die Menge. Die vielleicht 150 Menschen vor dem Bochumer Opel-WerkI, zu denen sich im Laufe des Tages noch ein paar Dutzend hinzugesellen, klatschen. "Weiter so!", ruft einer. Jemand trägt auf den Schultern eine Kiste mit frischen Brötchen durch den Menschenpulk.

An der Telefonzelle direkt neben dem Werkseingang hängt eine Din-A-4-Seite, auf der mit Hand geschrieben die Namen von einigen Spendern stehen, darunter die Bäckerei und die Fleischerei ein paar Straßen weiter. Wenn tatsächlich jeder Zweite bei Opel in Bochum seine Arbeit verliert oder das Werk geschlossen wird, dann haben auch die Geschäfte im Umkreis ein Problem. Deswegen die Solidaritätsaktionen. Ganz zu schweigen von den Zulieferern. Allein bei denen sind 40.000 Arbeitsplätze gefährdet, wenn Opel dichtmacht, heißt es.

Der Hebel in der Hand der Bochumer

Die Belegschaft und Betriebsräte wissen das. Es ist das Pfund, mit dem sie wuchern können, jedenfalls, wenn man die Lage optimistisch einschätzt. Selbst Opel in Rüsselsheim, Antwerpen oder in Schweden japst, wenn in Bochum die Bänder stillstehen. Das ist der Hebel in der Hand der Bochumer. Deswegen geben sie sich kämpferisch und zuversichtlich. Selbst wenn sie in Wirklichkeit wohl chancenlos sind, glauben sie daran, dass der Protest das Management im fernen Detroit zum Einlenken bewegen kann.

Keiner glaubt dagegen, dass am Montagmorgen die Arbeit wieder aufgenommen wird.

Darüber war kurz spekuliert worden, und ausgerechnet Wirtschaftsminister Wolfgang Clement hatte mehr oder minder deutlich dazu aufgerufen. Ausgerechnet. Clement, ein Sozialdemokrat, ein Bochumer und der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Das kam nicht gut an, sagt Betriebsrat Rolf Plumhoff-Klein.

"Darüber, wann wieder gearbeitet wird, entscheidet die Belegschaft", erklärt seine Betriebsrats-Kollegin Fatma Emre. Die 40-Jährige ist sich allerdings ziemlich sicher, dass die "Informationsveranstaltung", wie sie augenzwinkernd sagt, noch ein Weilchen dauern wird. Das Wort "Streik" nimmt nach wie vor niemand in den Mund, denn der wäre unzulässig, weil ihn niemand einfach so, ohne dass die Gewerkschaften dazu aufgerufen haben, beginnen darf.

Zuversicht vor dem Werkstor

Die Zuversicht, die sich vor dem Werkstor breit macht, kann gleichwohl nicht darüber hinwegtäuschen, dass die "Informationsveranstaltung" sozusagen das allerletzte Mittel der Belegschaft ist, gegen die "Vernichtungspläne" von General Motors in den USA, wie einer sagt, vorzugehen. Die Beschäftigten stehen mit dem Rücken zur Wand. Die einzige Forderung, die immer wieder vom Podest geäußert wird, lautet: "Keine betriebsbedingten Kündigungen." Das zeigt, wie schwach die Verhandlungsposition der Opelaner in Wirklichkeit ist.

"Keine Kündigungen. Das wollen wir schriftlich und unterschrieben, bevor wir wieder zur Arbeit gehen", sagt ein 47 Jahre alter Mann mit goldenem Ring im Ohr. Seit 28 Jahren steht er bei Opel am Fließband. "Nicht so 'ne Scheiße wie damals. Da fingen die Leute wieder an zu arbeiten und hinterher war nix." Er spricht von 1984, als er schon einmal für sechs Wochen die Arbeit niederlegte. Aber er könnte genauso gut von 1997 sprechen oder von 2001. Die Krise bei Opel in Bochum, sie zieht sich schon lange hin.

1988, als die Betriebsrätin Emre bei Opel anfing, waren in Bochum noch 20000 beschäftigt, sagt sie. Zehn Jahre später waren es 14000, jetzt sind es 9600. Noch. Die Zahl der täglich produzierten Autos ist hingegen gleich geblieben. Die Produktivität ist also stark gestiegen. Doch gebracht hat die Streichorgie offenkundig nichts. Noch immer heißt es, dass die Kosten zu hoch sind. Höher sogar als im "Wohlfahrtsstaat" Schweden, wo die Nebenkosten vom Lohn abgekoppelt wurden. Der Mann mit dem Ring im Ohr, der seinen Namen nicht in der Zeitung gedruckt wissen will, verdient zum Beispiel 2000 Euro netto im Monat. Ist das nach 28 Jahren nun viel oder wenig?

"Es ist genug um vielleicht mal bei Karstadt einzukaufen oder eine Familie durchzubringen", sagt ein einarmiger Rentner aus Dortmund, der schon den dritten Tag angereist ist. Sein Sohn arbeitet in dem Werk. "Wenn immer nur gespart werden muss und keiner weiß, ob er morgen noch Arbeit hat, wer kriegt denn da noch Kinder?", fragt er.

Überhaupt die Kinder. Sie sind auf dieser "Informationsveranstaltung" allgegenwärtig. Auch der Mann mit dem Ring im Ohr hat seine Enkelin mitgebracht. Manche malen mit bunten Kreidestiften Autos auf den Asphalt oder schreiben "Mein Papa will Arbeit". Andere sammeln Geld und fahren dafür sogar in benachbarte Städte. Die Kinder verleihen dem Protest vor dem Werkstor eine familiäre Atmosphäre.

Aber es beschleicht einen auch ein merkwürdiges Gefühl, wenn man bemerkt, wie Kameraleute gezielt Väter mit Kindern auf dem Arm filmen. Andererseits: Wie groß muss die Verzweiflung der Beschäftigten sein, wenn ihre Kinder als letztes Argument für die Arbeitsplatzsicherung herhalten müssen?

Es ist nur zu befürchten, dass sich das Management im fernen Detroit am Ende davon nicht wird beeindrucken lassen.

© SZ vom 18.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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