Blablacar:Teile und herrsche

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Blabla ist für die Kunden, der Chef des Mitfahr-Unternehmens, Frédéric Mazzella, hat es gerne sachlich und nüchtern. (Foto: Philippe Wojazer/Reuters)

Mit komplexer Technologie und maximaler Effizienz hat Frédéric Mazzella die größte Mitfahrzentrale der Welt geschaffen. Er mindert die Kosten seiner Nutzer - und dominiert einen boomenden Markt.

Von Leo Klimm

Mit Blabla hält sich Frédéric Mazzella gar nicht auf. Er kommt gleich zur Sache. Spricht über "Marktplatz-Prinzip", "Angebot und Nachfrage" und immer wieder über: "Effizienz". Mazzella, ein Erfolgsunternehmer in den besten Jahren, 41 ist er genau, empfängt in seinem Büro in einem schicken Pariser Business-Center. Kein Bild schmückt die Wand. Der Teppichboden harmoniert mit Mazzellas grau meliertem Stoppelbart. Der Schreibtisch ist voll mit Papier, was für ein Start-up aus der digitalen Welt der Erwähnung wert ist. Mazzella sagt: "Die Konkurrenz von Marktplätzen schadet ihrer Effizienz." Deshalb soll neben seinem Unternehmen, das Blablacar heißt, kein Raum sein für andere Onlinemakler von Mitfahrgelegenheiten.

Blabla, das ist für die Kunden. Für den Plausch auf Autofahrten, die fremde Menschen dank Mazzella miteinander unternehmen. Bei Blablacar aber regieren komplexe Software und nüchterne Prinzipien. Erstens: Effizienz. Zweitens: Teile und herrsche. Teile die Fahrtkosten der Kunden. Beherrsche den Markt.

Mazzella will verdienen, wenn andere sparen, indem sie gemeinsam längere Strecken fahren - ohne dass dies, wie beim umstrittenen Taxidienst Uber, gewerbliche Personenbeförderung wäre. Damit die Kunden jedoch zueinanderfinden, muss sein Marktplatz der einzige sein. So funktioniert die Plattform-Wirtschaft, die ewige menschliche Bedürfnisse wie Wohnen, Liebe oder Fortbewegung mithilfe des Internets maximal effizient befriedigt. Airbnb kümmert sich ums Mitwohnen, Tinder um Liebe und solche Sachen, Blablacar ums Mitfahren. "Wir sind der stärkste Anbieter", sagt Mazzella. Er klingt nicht überheblich. Nur sehr, sehr sachlich.

Blablacar ist binnen weniger Jahre zur größten Mitfahrzentrale der Welt avanciert - und damit zum wichtigen Akteur des sich wandelnden Mobilitätsmarkts. 2011 war die Firma nur in Frankreich vertreten, hatte eine Million aktive Nutzer. Heute sind es 50 Millionen in 22 Ländern. Mazzella hat, unterstützt von zwei Kompagnons, das schlichte Geschäft biederer Mitfahr-Agenturen, wie es sie gerade in Deutschland gab, ins digitale Zeitalter befördert. Und ihm dabei eine neue Dimension verliehen. Denn Blablacar ist ein Einhorn, wie die Amerikaner sagen. Ein Start-up, das von seinen Geldgebern mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet wird.

"Wir haben nicht entschieden, wann das Unternehmen Geld verdienen soll. In fünf Jahren sicher. Im Moment haben Investitionen in Wachstum Priorität."

Die meisten erfolgreichen Plattformen sind US-Firmen. Diese ist europäisch. Kein Zufall, meint Mazzella: "In den USA sind die Distanzen zu groß und der Sprit zu billig, um Mitfahrgemeinschaften auf der Langstrecke attraktiv zu machen." Er dagegen kommt aus einem Land, das nicht nur bevölkerungsgeografisch gut geeignet ist. "Die Streiks der französischen Bahner bringen uns immer viele Nutzer", sagt er.

Den Markt entwickelt er von Europa aus - bis nach Indien und Brasilien. Die Schablonen, an denen Mazzella sich orientiert, kommen dennoch von US-Vorbildern wie Airbnb. In der Blablacar-Zentrale, in der 300 von 400 Angestellten arbeiten, kann man leicht vergessen, dass man mitten in Paris ist, nicht etwa im Silicon Valley. Gleich am Eingang werden an einer "Wall of Ambassadors" die fleißigsten Auto-Teiler unter den Mitarbeitern gefeiert. Überall hängen Motivationssprüche, die dazu anhalten, Scheitern als Chance anzusehen. Das ist sehr unfranzösisch. Die Unternehmenssprache ist ohnehin Englisch und aus Frédéric ist längst Fred geworden. Seine Mitarbeiter, Web-Developer oder Kundenbetreuer, im Durchschnitt 29 Jahre alt, sitzen still in Großräumen vor ihren Bildschirmen. Wollen sie reden, Stichwort Blabla, gibt es jene gläsernen Konferenz-Kuben, in die man sich in modernen Firmen zum Kommunizieren einsperrt.

Bei Blablacar herrscht Fred, der Effizienzmensch. Irgendwo in seinem Innern muss noch der Schwärmer Frédéric wohnen, der sich als Jugendlicher der Sehnsuchtsmusik von Chopin so hingab. Zwölf Jahre spielt er Geige, 15 Jahre Klavier. Fast hätte er seinen Beruf daraus gemacht.

Doch als es um die Studienwahl geht, siegt die nüchterne Seite. Mazzella studiert Physik in Paris und geht ab 1999 drei Jahre nach Kalifornien. Erst an die Uni Stanford. Später ist er IT-Mitarbeiter der Weltraumbehörde Nasa. Seine wichtigste Entdeckung aber liegt auf der Straße: Er erlebt, wie San Francisco Fahrgemeinschaften zumindest im Stadtverkehr fördert, indem es Fahrbahnen für Carsharing einrichtet. Und Mazzella verinnerlicht im Silicon Valley das Grundmotto der US-Start-ups: "Think big, start small, grow fast." Erst danach kommt "teile und herrsche".

Jedes Start-up braucht eine Gründungslegende. Bei Blablacar geht sie so: An Weihnachten 2003 will Fred heim zur Familie, in ein Nest in Westfrankreich. Am Bahnhof in Paris muss er erkennen, dass alle Züge überfüllt sind. Da erinnert er sich ans Carsharing in San Francisco. Er stöbert im Internet, ob zufällig jemand einen jungen Mann zum Mitreisen sucht. Vergebens. An Weihnachten 2003 programmiert Mazzella sein erstes Onlinetool zur Vermittlung von Fahrern und Mitfahrern.

Die Anfänge sind schwer. Obwohl das Angebot noch gratis ist, steigen die Nutzerzahlen nur langsam. Mazzella glaubt trotzdem an seine Idee, 2006 gibt er seinen Job als Informatiker in Paris auf, um sich ganz dem zu widmen, woraus später Blablacar wird. "Ich lebte von einem Kredit über 70 000 Euro und aß fast nur Nudeln", erzählt Mazzella. Think big, start small.

Und dann: grow fast. 2011 endlich ist die kritische Größe erreicht - eine Million Nutzer. Das wiederum zieht Investoren an, die Mazzella plötzlich Hunderte Millionen Dollar für die globale Expansion anvertrauen. "Da wusste ich, es klappt", sagt er. 2011 ist auch der Moment, in dem Mazzellas Falle zuschnappt: Er führt eine Gebühr ein. Seine Dienstleistung ist etwas wert. Die französischen Nutzer sehen das bald ein. Die Deutschen sind da vielleicht anders.

"Deutschland ist eigentlich wie gemacht für uns", aber auch "ein schwieriges Pflaster"

"Deutschland ist eigentlich wie gemacht für uns", sagt Mazzella. "Ein dezentral organisiertes Land mit vielen großen Städten." 2013 greift Mazzella erst die Seiten mitfahrzentrale.de und mitfahrgelegenheit.de an - dann kauft er sie einfach. 2016 führt Blablacar auch in Deutschland die Gebühr ein. Die Deutschen, Liebhaber des Bargelds, sollen zahlen, per Vorauskasse. So unterbindet Mazzella direkte Absprachen zwischen Nutzern. Und sorgt für Riesenärger. "Das Mitgliederwachstum ist nach Einführung der Gebühr leicht abgeflacht", räumt er ein. "Deutschland ist ein herausfordernder Markt."

Und da war auch diese Cyber-Attacke: Vor einem Jahr wurden Blablacar Hunderttausende Daten deutscher Kunden geklaut. Kontonummern, Mailadressen, Anschriften. Mazzella sagt, die Sicherheit sei seitdem verstärkt worden. "Wahrscheinlich können die Hacker nichts mit den Informationen anfangen. Die Datensätze waren nicht systematisch verknüpft." Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat die Ermittlungen ergebnislos eingestellt. "Diese Sache war ein Schock", sagt Mazzella.

Das Leben auf der Überholspur verläuft nicht immer unfallfrei. Mazzella weiß das. Es reicht nicht, der Hegemon der Mitfahrzentralen zu sein. Es gibt trotzdem scharfe Konkurrenz. In Frankreich und in Deutschland etwa durch die Fernbusse des Erzrivalen Flixbus. Außerdem hat der Markt Grenzen: Er ist vor allem etwas für Leute, die keinen Familienanhang und wenig Geld haben. Im ständigen Streben um Größe muss Mazzella daher neue Zielgruppen erschließen. Also tastet er sich jetzt an das Carsharing auf kurzen Strecken heran, auf das es auch die Autohersteller und die Vermieter abgesehen haben.

Und wann wird Blablacar profitabel? Das Unternehmen mag zehnstellig bewertet sein, doch das ist nur eine Wette von Mazzellas Investoren auf die Zukunft. Bisher haben sie nichts zurückverdient. Daraus macht Mazzella kein Geheimnis. Aus dem genauen Ergebnis und sogar aus dem Umsatz schon. Beim Mitfahr-Makeln, so viel ist klar, springt nicht viel heraus: 15 bis 20 Prozent auf ohnehin niedrige Summen. Auch deshalb ist Masse ein Muss.

"Wir haben nicht entschieden, wann das Unternehmen Geld verdienen soll", antwortet Mazzella. "In fünf Jahren sicher." Das klingt so einfach. Als ob er nur einen Hebel umlegen müsste, damit die Millionen sprudeln. "Im Moment haben Investitionen in Wachstum Priorität", sagt er. "Aber wir achten immer auf Effizienz."

© SZ vom 14.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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