Biodiesel:Operation Brechnuss

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Aus der hochgiftigen Jatropha-Pflanze lässt sich umweltfreundlicher Treibstoff gewinnen. Jetzt hofft Indien auf einen großflächigen Anbau - mit deutscher Hilfe.

Von Dagmar Deckstein

Vallabha Bhai ist stolz wie Oskar. Der Bürgermeister der 1500-Seelen-Gemeinde Chorvadla schaut wohlgefällig auf das Versuchsfeld voller Jatropha-Pflanzen, die da seit einem halben Jahr in Saft und Kraft stehen und die Bhai mit seinen Männern bewacht wie seinen Augapfel.

Die Brechnuss soll verdorrte Felder wieder fruchtbar machen. (Foto: Foto: AP)

Nichts geringeres wachse hier auf der dünnen Krume des Brachlands empor als Indiens Zukunft, ist er überzeugt.

In erster Linie natürlich die Zukunft seiner Dörfler, auf die endlich allerlei Arbeit zukommt: In ein paar Monaten müssen sie die walnussgroßen braunen Samen ernten, dereinst steht in Chorvadla vielleicht eine Ölpresse nebst Biodiesel-Anlage, mit der die Dorfbewohner umweltfreundlichen Treibstoff produzieren und verkaufen können.

Unbrauchbares Land regenerieren

Ganz zu schweigen davon, dass die Jatropha-Pflanzen das erodierte, unbrauchbare Land regenerieren, so dass die Bauern wieder Hirse, Baumwolle oder Gemüse dort anpflanzen können.

Und irgendwann in fernerer Zukunft werden sie vielleicht auch Autos besitzen, mit denen sie dank des schwefel- und CO2-freien Sprits nicht die indische Luft verpesten. Zukunftsmusik. Aber Vallabha Bhai ist auch deswegen stolz, weil sein Dorf die erste Geige spielt beim Anstimmen dieser Zukunftsmelodie.

Hier in Chorvadla im Staat Gujarat startete vor 14 Monaten das Jatropha-Projekt, das außer den 1500 Dorfbewohnern noch eine ganze Reihe weiterer Menschen mit Argusaugen beobachten.

Widerstandsfähige Arten

Etwa Klaus Becker, Professor am Institut für Tierproduktion an der Universität Hohenheim. Er erforscht seit vielen Jahren die Jatropha-Pflanze und hat einige besonders widerstandsfähige Arten in Mexiko und Mali gefunden, die jetzt hier in Indien ihr subtropisches Leben weiterfristen.

Eine Art Vaterstolz blitzt in seinen Augen, als er sich über "seine" Pflanzen beugt und mit Professorenkollegen Pushpito Ghosh, Direktor des "Central Salt & Marine Chemicals Research Institute" (CSMCRI), in Bhavnagar die Blütenstände begutachtet.

Die indischen Kollegen hat Becker mit ins Projekt-Boot geholt, auf dass sie das wilde Wolfsmilchgewächs Jatropha systematisch forschend bei der domestizierten Aufzucht und bei der Weiterverarbeitung zum Biodiesel begleiten.

Schließlich bohrte der Jatropha-Fan Becker über einen seiner Stipendiaten, der zu DaimlerChrysler überwechselte, einen Kanal zum Autokonzern, durch den jetzt 750.000 Euro in das indische Projekt fließen.

Für Schädlinge ungenießbar

Also hat nicht zuletzt auch Herbert Kohler, Leiter der Forschungsdirektion Fahrzeugaufbau und Umweltbevollmächtigter des Konzerns, ein Auge auf die indische Vorzeige-Plantage.

"Umweltfreundliche Mobilität, neue Jobs auf dem Land, Unabhängigkeit vom Erdöl - in diesem Projekt steckt großes Potenzial", schwärmt er.

Michael Inacker, Leiter Politik und Außenbeziehungen in der Stuttgarter Konzernzentrale, legt sofort nach: "Wir sind Teil der Gesellschaft, in der wir agieren. In schwierigen Regionen dieser Welt wollen wir dazu beitragen, Inseln der Stabilität zu schaffen."

Im indischen Poona produziert der Konzern Mercedes der C-, E- und S-Klasse - mal gerade 1500 im Jahr. So wurde die indische Provinz ein Glied in der Kette des globalen Nachhaltigkeitsverbunds von DaimlerChrysler, zu dem etwa die Kokosfaserproduktion am Amazonas-Delta in Brasilien, ein Aids-Projekt in Südafrika oder der Anbau der Abaca-Faserpflanze auf den Philippinen gehören.

Allesamt Projekte, die Ökonomie und Ökologie in Einklang bringen wollen und vor allem der armen Landbevölkerung neue Einkommensquellen erschließen.

Diesel mit Pflanzenöl

Kaum ein Engagement wäre maßgeschneiderter für DaimlerCrysler als das Jatropha-Biodieselprojekt, hat doch bereits Rudolf Diesel 1912 in seinem Buch über die Entwicklung des nach ihm benannten Motors darüber spekuliert, dass der irgendwann in den Kolonien auch mit Pflanzenöl laufen könnte.

Der Beweis ist längst erbracht, zuletzt von einem Mercedes der C-Klasse, der in diesem Frühjahr 6000 Kilometer durch Indien tourte, angetrieben von Biodiesel aus der Jatropha-Pflanze und ohne jegliche technische Panne. Jatropha curcas also, auf Deutsch Purgier- oder Brechnuss.

Klaus Becker beißt die Schale einer mitgebrachten Demo-Nuss auf und befördert den weißen, ölhaltigen Kern zutage. "Essen Sie drei Stück davon, und gehen dann spätestens zwei Stunden später ins Krankenhaus.

Schädlings- und Krankheitsresistent

Sonst verbluten Sie innerlich am darin enthaltenen Phorbolester." Die ganze Pflanze ist - sehr praktisch - hochgiftig und dazu schädlings- wie krankheitsresistent.

Tiere fressen den Leuten aus Chorvadla ihre grünen Hoffnungsträger also schon mal nicht vom Feld. Dazu wachsen sie auch auf diesem steinigen, nährstoffarmen Boden, auf dem die Bauern schon seit Jahrzehnten nichts mehr anbauen konnten, und sie brauchen auch nicht viel Regen, der in dieser trockenen Gegend Indiens auch nur spärlich fällt.

Fünf Hektar Brachland hat die Dorfgemeinschaft hier in Gujarat bisher bepflanzt, eine zweite Versuchsplantage entsteht parallel im viel feuchteren, ostindischen Orissa, betreut vom dortigen Ableger des CSMRCI-Forschungsinstituts.

Das gesamte Projekt ist zunächst auf fünf Jahre angelegt, 2007 sollen die agrarwissenschaftlichen Untersuchungen und die Praxistests mit Kraftstoff aus den Pilotanlagen abgeschlossen sein.

Jatropha als große Chance

Mit anderen Worten: Ob das alles so funktionieren wird, wie sich das Dörfler und Geldgeber wünschen, ist durchaus noch nicht ausgemachte Sache - auch wenn Indiens Präsident am 14. August in seiner Rede zum Unabhängigkeitstag von der großen Chance Jatropha im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit sprach.

Immerhin leben 72 Prozent der indischen Bevölkerung auf dem Land, 58 Prozent der Erwerbsfähigen arbeiten in der Landwirtschaft. Da lassen sich die schönsten Hochrechnungen anstellen, wenn man dann noch berücksichtigt, dass 30 bis 40 Millionen Hektar des 170 Millionen Hektar umfassenden Subkontinents verödet sind, also mithilfe systematischen Jatropha-Anbaus mit neuem Humusboden überzogen werden könnten.

Gar nicht zu reden von der Tatsache, dass Indien 70 Prozent seines wachsenden Erdölbedarfs importieren muss und dass es bei den derzeit 60 Millionen Vehikeln auf den Straßen des 1,2 Milliarden Einwohner zählenden Landes auch nicht bleiben wird und die Regierung zudem bis 2010 strenge Emissionsauflagen durchgesetzt haben will.

Schon elf Millionen bepflanzte Hektar reichten aus, so Klaus Becker von der Uni Hohenheim, um 20 Prozent des Diesels durch Biosprit zu ersetzen.

Begehrliche Blicke

Bürgermeister Bhai jedenfalls streichelt liebevoll über ein fünfzackiges Jatropha-Blatt und wirft begehrliche Blicke auf den mintfarbenen Mercedes der C-Klasse, der im Besuchertross mitgefahren ist.

Bis er einmal in einem solchen Gefährt die Brechnuss-Plantagen umfahren kann, dürfte indessen noch sehr viel Wasser den Ganges hinuntergeflossen sein.

© SZ vom 9.10.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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