Bildungspaket:Von der Leyen in der Balance-Falle

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Der schlechte Start des von Arbeitsministerin von der Leyen durchgesetzten Bildungspaketes lehrt: Der Sozialstaat darf seine Bürger nicht alleine lassen. Allerdings muss er auch aufpassen, dass er den Hilfsbedürftigen nicht alles abnimmt.

Felix Berth

Wenn man einen Wirtschaftswissenschaftler nach seinem Menschenbild fragt, dann kann es passieren, dass er von einem etwas älteren Typ namens Homo oeconomicus erzählt. Diese Kunstfigur, die das Fach bis ins letzte Jahrzehnt hinein prägte, ist ein kühler, rationaler Charakter, der seine finanziellen Interessen stets im Blick hat. Er ist selbständig. Er versteht viel, kann viel, tut viel. Er kennt das Angebot auf den Märkten, er wägt ab und versucht, seinen Nutzen zu maximieren.

Dieses Menschenbild prägte die Politik der letzten Jahre: Weil der Einzelne seine Interessen gut verfolgen kann, soll sich der Staat aus möglichst vielem heraushalten. Und die Eigennützigkeit jedes einzelnen Homo oeconomicus würde letztlich allen zugutekommen.

Dieses Menschenbild hat seit längerem auch Einfluss auf die Sozialpolitik. Es prägte etwa die Agenda-Reformen der Regierung von Gerhard Schröder: Man entschied damals, dass Sozialhilfeempfänger künftig keine pauschalen Leistungen für eine Waschmaschine erhalten würden; stattdessen bekamen sie jeden Monat ein paar Euro zusätzlich. Das Geld könnten sie zur Seite legen und eines Tages selbst entscheiden, ob sie statt einer Waschmaschine lieber ein Fahrrad kaufen würden. Das funktioniert zwar in der Praxis selten, aber es ist theoretisch einwandfrei - solange man an den Homo oeconomicus glaubt.

Auch das Bildungspaket von Ursula von der Leyen ist für Menschen gemacht, die ihr Leben selbst steuern: Es kommt jenen Langzeitarbeitslosen zugute, die gut informiert sind, ihre Interessen verfolgen, sich für ihre Kinder engagieren und deshalb beantragen, dass das Jobcenter den Sportverein oder die Nachhilfe bezahlt.

Dumm ist nur, dass der Homo oeconomicus unter Langzeitarbeitslosen deutlich seltener anzutreffen ist als womöglich unter FDP-Wählern. Auch deshalb ist das Bildungspaket der Bundesregierung bisher ein Flop: Mit seinem Bürokratismus, seinen Anträgen und Berechtigungsklauseln überfordert es viele Menschen, denen die eifrige Arbeitsministerin eigentlich helfen wollte.

Ein kluger Sozialstaat muss genau prüfen, ob er ein Hilfsangebot als Bring- oder als Holschuld definiert. Ist es eine Bringschuld des Staates, den Langzeitarbeitslosen zu erklären, wie wichtig Bildung für ihre Kinder ist? Wenn ja, dann müssen sich Kitas, Schulen und Jugendämter etwas einfallen lassen. Oder ist es eine Holschuld der Betroffenen, die Angebote für den Nachwuchs zu entdecken und zu beantragen? Wer das glaubt, kann sich mit Gesetzen begnügen - den Rest regelt der Markt mit seinen autonomen, kundigen Teilnehmern. Das Bildungspaket allerdings funktioniert auf diese Weise nicht, wie die Erfahrung zeigt.

Trotzdem gibt es auf die Frage nach Bring- oder Holschuld keine allgemeingültige Antwort. Sicher muss nicht jeder Bürger von einem fürsorglichen Sozialstaat zwangsbeglückt werden, wie man in den siebziger Jahren glaubte. Doch die gegenteilige Annahme, dass sich der Staat etwa darauf zurückziehen könnte, nur Angebote für gut informierte Arbeitslose zu machen, stimmt auch nicht.

Man muss akzeptieren, dass es den Langzeitarbeitslosen nicht gibt. Einer jungen Alleinerziehenden mit kleinem Kind, die seit 15 Monaten arbeitslos ist, braucht der Sozialstaat nicht viel hinterherzutragen. Solche Mütter sorgen oft selbst dafür, dass sie wieder Jobs finden, und sie wissen auch, dass ihren Kindern ein Sportverein guttut. Anders ist es bei Familien mit langer Sozialhilfe-Erfahrung oder bei Einwanderern. Hier müssen die Profis der Sozialarbeit vermitteln, warum Kinder mehr brauchen als einen Fernseher und ein neues Handy.

Die Balance ist nicht leicht zu finden: Der Sozialstaat darf den Hilfsbedürftigen nicht alles abnehmen - doch er darf sie auch nicht alleine lassen. Beim Bildungspaket ist diese Balance noch nicht erreicht.

© SZ vom 21.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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