BFH-Urteil:Wer pflegt, spart Erbschaftsteuer

Lesezeit: 3 min

Die Fürsorge für die hilfsbedürftigen Eltern muss honoriert werden, entschied der Bundesfinanzhof. Das betrifft Hunderttausende Menschen, manche können sogar rückwirkend von der Entscheidung profitieren.

Von Berrit Gräber, München

Sie lesen ihnen vor, helfen beim Anziehen, kaufen ein, unterstützen den Pflegedienst: Millionen Menschen kümmern sich um ihre betagten Eltern, oft jahrelang, unentgeltlich. Ging es dann ans Erben, hat der Staat diese Fürsorge bisher ignoriert - Fremde erhielten bei Erbschaften einen Pflegefreibetrag und konnten so Erbschaftsteuer sparen, die eigenen Kinder nicht. Der Staat argumentierte, die Kinder seien ohnehin zum Elternunterhalt verpflichtet, betont Jan Bittler, Geschäftsführer der Deutschen Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge (DVEV). Doch diese Ungleichbehandlung ist nun durch ein neues Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom Tisch (BFH, Az. II R 37/15).

Was bisher galt

Grundsätzlich wird ein Bürger steuerlich belohnt, der sich regelmäßig um einen Hilfsbedürftigen gekümmert hat und von ihm als Erbe bedacht wird. Nicht-Verwandte dürfen zum Beispiel Werte von bis zu 20 000 Euro steuerfrei erben, Enkel bis zu 200 000 Euro, Kinder bis 400 000 Euro. Auf alles, was über diese Grenzen hinaus vererbt wird, verlangt der Fiskus Erbschaftsteuer. Zusätzlich zu den normalen Freibeträgen kann noch ein Pflegefreibetrag von bis zu 20 000 Euro geltend gemacht werden. Er hilft die Steuerlast zu drücken. Die Voraussetzung dafür: Die Betreuung war unentgeltlich oder nur sehr gering entlohnt. Den Steuervorteil gewährte der Fiskus aber nur fremden Personen wie etwa der pflegenden Nachbarin. Hat der eigene Nachwuchs den Verstorbenen betreut und erbt über den Freibetrag hinaus, blieb ihm die Steuersparchance verwehrt. Der Grund dafür: Verwandte in gerader Linie, also Kinder, sind zum Unterhalt verpflichtet, sei es durch finanzielle Unterstützung oder in Naturalien. So sieht es Paragraf 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vor. Ihre Pflegeleistung sollte nicht noch extra honoriert werden. "Das ist jetzt endlich korrigiert", sagt Monika Pilz-Hönig, Fachanwältin für Steuer- und Erbrecht in Konstanz.

Was neu ist

Die gesetzliche Unterhaltspflicht steht einer Steuersparchance gar nicht im Weg, entschied der BFH. Und gab damit einer Frau Recht, die ihre Mutter zehn Jahre lang bei sich zu Hause auf eigene Kosten gepflegt hatte und nach deren Tod den Pflegefreibetrag für sich beanspruchte. Die Klägerin hatte unter anderem ein Bankguthaben von etwa 785 000 Euro geerbt und sollte darauf eine hohe Erbschaftsteuer zahlen. Sie wollte nicht akzeptieren, dass jeder andere den Freibetrag bekommt, nur direkte Verwandte nicht. Der Bundesfinanzhof sah das auch so und stellte klar: Gesetzlich Unterhaltspflichtige dürfen nicht mehr ausgeschlossen werden. Schließlich habe der Freibetrag den Sinn, freiwillige Opfer der pflegenden Person zu honorieren. "Das Urteil ist sehr zu begrüßen, weil die Pflegeleistung zum größten Teil innerhalb der Familie und vor allem von den Kindern erbracht wird", sagt Isolde Schulze, Steuer- und Sozialrechtsexpertin aus Flensburg.

Die Voraussetzung

Der Gesetzgeber hat Kindern zwar eine Unterhaltspflicht den Eltern gegenüber auferlegt, außerdem die Pflicht zu Beistand und Rücksicht. Zur persönlichen Pflege des kranken Vaters oder der hilfsbedürftigen Mutter kann aber niemand verdonnert werden, betont Bittler. Wer das freiwillig und praktisch ohne Entgelt auf sich nimmt, sollte sich den zusätzlichen Pflegefreibetrag jetzt nicht entgehen lassen. Voraussetzung: Die Betreuung war regelmäßig. "Ab und an zu Feiertagen vorbeikommen oder reine Geldleistungen fürs Altenheim reichen nicht aus", betont Schulze. Das Kind muss sich persönlich gekümmert haben und sollte das auch schriftlich festhalten und nachweisen können. Notfalls mit Fotos, wenn keine anderen Aufzeichnungen vorliegen. Hier ist wichtig zu wissen: Der Verstorbene muss keine Pflegestufe oder einen Pflegegrad gehabt haben. Eine Hilfsbedürftigkeit wegen Krankheit, Behinderung oder Alters genügt, vor allem bei Senioren ab dem 80. Lebensjahr. Dem Finanzamt muss es dann reichen, dass sich das Kind dauerhaft um die Eltern kümmerte, mit ihnen spazieren ging, sie zum Arzt fuhr, im Alltag unterstützte. Der Pflegefreibetrag entfällt auch nicht, wenn der Verstorbene so vermögend war, dass er rechtlich gar keinen Anspruch auf Unterhalt gehabt hätte.

So lässt sich profitieren

Die Entscheidung hat Auswirkungen für viele Hunderttausend Bürger, die sich regelmäßig um das körperliche, geistige und seelische Wohlbefinden ihrer Eltern kümmern. Erben sie nach dem Tod der Mutter oder des Vaters über das steuerfreie Limit von 400 000 Euro hinaus, dürfen sie nun den Pflegefreibetrag von bis zu 20 000 Euro geltend machen. Sind bei der Erbschaft Immobilien im Spiel, "rutschen Kinder schnell in diese Beträge hinein", berichtet Schulze. Wer erbt, muss das innerhalb von drei Monaten seinem Finanzamt formlos mitteilen. Die Behörde verschickt dann das Formular für eine Erbschaftsteuererklärung. Dort sind die Vermögenswerte einzutragen. Neben Freibeträgen dürfen zugleich die Schulden abgezogen werden, die mit dem Erbe zusammenhängen. Das können etwa Mietrückstände sein, unbezahlte Rechnungen oder Steuerschulden. Wer keine Erbschaftsteuer zahlen muss, also unterhalb der 400 000-Euro-Grenze für Kinder liegt, für den wirkt sich der Pflegefreibetrag auch nicht aus.

Rückwirkend Chancen nutzen

Wer in letzter Zeit bereits einen Erbschaftsteuerbescheid vom Finanzamt bekommen hat, sollte ihn prüfen lassen, rät Schulze. Denn es geht um viel Geld. Womöglich besteht die Chance, sich den Pflegefreibetrag noch rückwirkend abzuholen. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn der Bescheid noch offen ist, weil er unter dem sogenannten Vorbehalt der Nachprüfung erteilt wurde. Ist die Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten, kann der Steuervorteil, den das neue Urteil des Bundesfinanzhofs eröffnet hat, auch noch nachträglich genutzt werden. Bestenfalls geht das noch vier Jahre rückwirkend.

© SZ vom 11.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: