Bertelsmann-Studie:Schlusslicht Deutschland

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Die Wirtschaftslage Deutschlands hat sich im Vergleich zu anderen Industrieländern weiter deutlich verschlechtert. Dies ist das Ergebnis der neuen Standort-Rangliste der Bertelsmann-Stiftung.

Von Nikolaus Piper

Mit insgesamt 66,4 Punkten nimmt die Bundesrepublik im Länderranking des so genannten Erfolgsindex unter 21 untersuchten Industrieländern den letzten Platz ein. Verloren haben auch die Schweiz, Belgien und Portugal. Angeführt wird die Liste von Irland, den Vereinigten Staaten und Australien.

Unterhalb von 80 Punkten liegt der Alarmbereich. Deutschland liegt weit unter der Marke. (Foto: Grafik: sueddeutsche.de)

Die Standort-Rangliste wird in dieser Form zum ersten Mal veröffentlicht, sie ist Nachfolgerin des Beschäftigungs-Rankings, das die Bertelsmann-Stiftung seit 1991 in zweijährigem Turnus veröffentlich hat.

Ergebnis der Wirtschaftstätigkeit

Dabei ist der Begriff "Standort" irreführend, denn der Erfolgsindex misst nicht Standortfaktoren, wie sie unter Ökonomen diskutiert werden, sondern die Ergebnisse der Wirtschaftstätigkeit: die Veränderung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Kopf, die des Wachstumspotenzials und die der standardisierten Arbeitslosenquote nach den Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Dabei interessiert vor allem die relative Veränderung: Wenn in einem Land alle Werte unverändert bleiben, die der anderen sich jedoch verbessern, verschlechtert sich der Rangplatz der fraglichen Nation.

Die Punktzahlen werden dabei zusätzlich bewertet: Von 120 bis 100 Punkten liegt der "ungefährdete Bereich", danach folgt der "Warnbereich". Unterhalb von 80 Punkten liegt der "Alarmbereich".

Schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt

Die alarmierende Position Deutschlands erklärt sich zum einen aus der schlechten Lage auf dem Arbeitsmarkt. Mit einer Arbeitslosenquote von 9,4 Prozent und einem Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen um 0,4 Prozent liegt Deutschland am Schluss des Teilnehmerfeldes.

Zum anderen wirkt sich das geringe Potenzialwachstum von 1,6 Prozent und das Pro-Kopf-Einkommen von nur 27000 Euro aus; hier ist Deutschland von Ländern wie Belgien, Dänemark und den Niederlanden distanziert worden.

Geringe Investitionen

Aufschlussreich ist auch ein zusätzlich ermittelter "Aktivitätsindex". In ihm werden zwölf Faktoren erfasst, die einen Erklärungsbeitrag zum Erfolg oder Misserfolg eines Landes in der Wachstums- und Beschäftigungspolitik leisten könnten.

Bei diesem Index liegt Deutschland vor Italien auf dem vorletzten Platz. Nachteilig hat sich hier unter anderem der mit 12,3 Prozent des BIP ungewöhnlich niedrige Anteil der Investitionen ausgewirkt.

Ähnlich schlecht sieht es bei der Langzeit- und der Altersarbeitslosigkeit aus; negativ schlägt auch die schwache Konjunktur, die hohe Grenzabgabenlast und die Lohnpolitik zu Buche.

Annehmbarer Anteil an Teilzeitbeschäftigten

Als bedenklich werden die Staatsquote, die Staatsverschuldung und die Partizipationsrate eingestuft, also der Anteil der Bevölkerung, der aktiv am Berufsleben teilnimmt. Als ganz annehmbar gilt der Anteil der Teilzeitbeschäftigten.

Positiv sind die niedrige Streikneigung und vor allem die geringe Jugendarbeitslosigkeit, wo Deutschland den Spitzenplatz unter allen Ländern einnimmt.

Die Autoren der Studie führen dies besonders auf das deutsche System der Lehrlingsausbildung zurück. Auf den ersten drei Plätzen des Aktivitätsindex stehen Australien, Neuseeland und Irland.

Auffallend ist das schlechte Abschneiden der Niederlande, die vom achten auf den 13. Platz zurückgefallen sind. Aber auch Deutschland hat sich in seiner ohnehin schwachen Position noch weiter verschlechtert - von 80 auf 77 Punkte.

Auf den letzten Platz abgesunken

Noch 1991, also kurz nach der Wiedervereinigung, hatte Deutschland mit 95 Punkten einen Mittelplatz. Neuseeland hat sich dagegen von einem Mittelplatz fast ganz an die Spitze vorgearbeitet. Die Autoren der Studie sehen darin eine Spätfolge der harten Reformen, die das Land vor zwanzig Jahren in Angriff genommen hatte.

In Deutschland bemängeln die Autoren unter anderem die Steuer- und Abgabenlast, die hohe Regulierungsdichte und die Lohnpolitik, die die Grenzen der Verteilungsspielräume nicht beachtet habe.

© SZ vom 8.10.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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