Bertelsmann:Last der Legende

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Reinhard Mohn schuf das System Bertelsmann — und wurde dahinter unsichtbar.

Hans-Jürgen Jakobs

Es ist 643 Gramm schwer und dunkel eingehüllt. Es hat 372 Seiten und zeigt auf dem Titel zwei lachende ältere Menschen. Es ist ein Buch über Europas größten Medienkonzern Bertelsmann und über den Eigentümer Reinhard Mohn und seine Frau Liz. Mehr ist es nicht.

Dabei hat Die Mohns von Thomas Schuler im Vorfeld viele in dem ostwestfälischen Unternehmen bewegt, als sei eine jener Übernahmen zu befürchten, die andere - amerikanische - Medienriesen sonst so beschäftigt.

Aber der Gütersloher Familienbetrieb ist nicht zu kaufen und musste sich lediglich einer journalistischen Fremd-Inspektion stellen. Bertelsmann glaubte an die Welt, wie man sie dort sah.

Kosmos nach Maß

Reinhard Mohn, 82, hat ein kompliziertes System geschaffen und darin die countervailing powers unentwegt definiert und positioniert: Seine sechs Kinder, die anderen Familienmitglieder, die Manager, die Mitarbeiter, die Aufsichtsräte.

Ein Kosmos nach seinem Maß. Immer aber waren Verschiebungen möglich: "Das Tausendjährige Reich wollte ich damit nicht gründen", sagte er einmal. Im Ergebnis arbeiteten sie bei Bertelsmann noch etwas produktiver als anderswo. Und es wuchsen Mythen, wie sie um Patriarchen entstehen.

"Es sieht ganz so aus, als sei Bertelsmann auf dem Weg, ein ganz normales Unternehmen in der Hand einer ganz normalen Familie zu werden", bilanziert die jetzt erschienene Mohn-Biografie - und lässt doch keine Schnurre aus um zu belegen, dass die Mohns eben keine ganz normale Familie sind.

Als ein Grund dafür wird der unbändige Aufstiegswillen von Liz Mohn, 62, präsentiert, die mit 17 auf einem Betriebsfest den verheirateten Chef kennen lernte und später Kinder mit ihm bekam, die offiziell jedoch lange Zeit zu ihrer Ehe mit einem Bertelsmann-Mitarbeiter gehörten.

Andreas Mohn, der jüngste Sohn, hat die Camouflage im Wall Street Journal publik gemacht; im Buch erfährt man, dass der Vater dem damals 20-Jährigen die Konzernspitze in Aussicht gestellt habe. Es bleibt beim Vagen; ausführlich wird die psychische Erkrankung des Filius referiert.

Solche Fern-Analysen werden Reinhard Mohn, den verdienten Unternehmer und Sozialingenieur, nicht von den Beinen auf den Kopf stellen. Wer hätte gedacht, dass er zum Objekt von Klatschjournalismus taugt?

Seine Frau Liz, die die Macht übernommen hat, lud am Dienstag Lokaljournalisten zum Hintergrundgespräch ins Privathaus; sie tat ihren Ärger über das Buch kund und kündigte zugleich an, nicht zu klagen. Sie selbst hat die private Vergangenheit in der Autobiografie Liebe öffnet die Herzen etwas verkürzt dargestellt - vermutlich im Konzerninteresse.

Die Macht war geliehen

Zum Aufstieg von Bertelsmann gehörten Legenden. Sie lauteten: Das Unternehmen gehört einer Stiftung, kein Einzelner hat Macht. Das Unternehmen leistet gesellschaftliche Beiträge.

Es ist sozialer als andere. Die Eigentümerfamilie bleibt im Hintergrund, fremde Manager sind für die Führung besser geeignet. Mit 60 treten Vorstände ab. Was zählt, ist Kontinuität. Im Zweiten Weltkrieg hat Bertelsmann den Nazis widerstanden.

In Wahrheit ist in Gütersloh schon immer nichts ohne Reinhard Mohn gelaufen, jenen Mann, der das 1835 gegründete Unternehmen nach dem Krieg wieder aufbaute und aggressiv die Idee vom Buchclub in die Wohnzimmerregale drückte. Mohn behielt immer die Kontrolle über die Stimmrechte ("Die Hauptversammlung bin ich").

Zwar durften sich die Manager wie Unternehmer fühlen, Anteile aber - die wirkliche Währung - erhielten sie wohlweislich nicht. Manfred Köhnlechner, Manfred Fischer, Mark Wössner, Thomas Middelhoff, Gerd Schulte-Hillen: Die Liste jener Firmenchefs, die sich in den Stricken des Mohn'schen Systems verfingen, ist lang. Ihre Macht war bloß geliehen.

Mit den Legenden des Hauses lebte Reinhard Mohn besser als sie; es gehört zu den dunkleren Seiten des Konzerns, dass in seinem Auftrag eine unabhängige Historikerkommission erforschte, wie sehr die Firma im Dritten Reich mit den Nazis - geschäftsfördernd - gekungelt hat. Es war auch hier: kalte Liebe zum Wachstum.

Öffentlich wurde Bertelsmann geliebt. "Unternehmenskultur positiv abgestrahlt", notierte die Pressestelle 1998 nach der Feier zum 75. Geburtstag Mohns in einem Memo. Der Konzern profitierte vom Dunkelmann-Image des Rivalen Leo Kirch, der eifrig für Kultur-Institutionen spendete, darüber aber nie sprach.

Der TV-Eroberer war unsichtbar wie der Unternehmer Mohn, fiel aber mit Tricks auf. Vorstandschef Wössner redete gern über Leo Kirch. Nachfolger Middelhoff redete lieber über Bill Clinton. Und heute reden sie in der Carl-Bertelsmann-Straße am liebsten über Cashflow.

Der Konzern verlegt Zeitschriften ( Stern), betreibt Fernsehen (RTL), macht Bücher (Random House), bietet Musik (BMG), hat Servicebetriebe (Arvato).

Der 2002 geschasste Middelhoff wollte mit Börsengeld die US-Multis überholen und hatte insofern Erfolg, als dass der im Zuge von RTL-Transaktionen gewonnene Bertelsmann-Miteigner Albert Frère seinen Anteil von 25 Prozent im nächsten Jahr an der Börse platzieren kann, was noch für Aufregung sorgen wird.

Und Reinhard Mohn? Er geht noch immer mittags in die Konzernkantine. Seine 60er Altersregel ist mit dem amtierenden Vorstandschef Gunter Thielen, 61, aufgehoben. Der Manager sorgt für gute Geschäftszahlen - wie ehedem öffnet in Gütersloh auch eine gute Rendite die Herzen.

Und dann ist da also noch ein Buch erschienen. "Szenen aus einem Privatleben", titelt das Westfalen-Blatt: "Man kann es glauben - oder auch nicht."

Die Glocke begreift nicht, warum derart in die Privatsphäre eingedrungen wird: "Autor lässt nur eine Frage offen." Die Neue Westfälische schlagzeilt: "Liz Mohn hat es nicht gelesen." Wenigstens dabei wird es bleiben.

© SZ vom 19.03.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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