beraten & verkauft (IV):"Ich kaufe Loyalität und Legitimation"

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Warum suchen sich Firmen immer wieder Unternehmensberater - anstatt die eigenen Leute zu fragen? Und warum sind sich viele Berater so ähnlich? Einer von ihnen erklärt all das.

Im Folgenden geben wir einen Auszug aus dem neu erschienenen Buch "beraten & verkauft" wieder, das derzeit zu den meistverkauften Sachbüchern zählt. Der Autor Thomas Leif nähert sich darin einer unnahbaren Branche an: Den Unternehmensberatern.

"Eigentlich bekommen alle Standardware." (Foto: dpa)

Ein Interview mit einem Berater, der seine Anonymität wahren möchte*)

Wenn man die Berater-Szene betrachtet, fällt auf, dass sie sich bei den Erfolgsbilanzen kaum in die Karten schauen lässt. Warum der Kult um die Vertraulichkeit?

Zunächst muss man eines ganz klar sagen: Der Kunde erwartet absolute Vertraulichkeit. Er holt natürlich auch deshalb Unternehmensberater, weil es eine gewisse Skepsis, Distanz und immer einen Loyalitäts- verdacht oder Illoyalitätsverdacht gegenüber dem eigenen Apparat gibt. Das ist einer der Gründe, Externe reinzuholen. Zweitens: Man sucht Legitimation. Man will Legitimationswissen.

Drittens will man auch im Zweifelsfalle Verantwortung als Entscheidungsträger delegieren können. Wenn Beratungsfirma XY das vorgeschlagen hat, dann muss es gut sein. Wenn es schief geht, sind die auch dafür verantwortlich. Man kauft also Legitimation, Akzeptanz und Loyalität ein. Was allerdings erstaunlich ist: Eigentlich bekommen alle Standardware. Diese Standardware ist für Unternehmen manchmal gar nicht hilfreich. Und ein Großteil der Vorschläge wird nie realisiert.

Wie sieht denn Standardware aus?

Die Standardware hat ganz unterschiedliche Facetten. Ich will mal ein Beispiel nennen: Karstadt-Quelle. Die gleichen Berater, die vor einigen Jahren Vorschläge gemacht haben, wie sich das Unternehmen verändern soll - Onlinehandel aufbauen und Kerngeschäft reduzieren -, werden Jahre später wieder eingestellt, um das genaue Gegenteil von dem vorzuschlagen, was sie vor ein paar Jahren gemacht haben.

Daran merkt man die Beliebigkeit und dass Unternehmensberater auch bestimmten Moden, Beratungsmoden und Trends unterliegen.

Was sind zum Beispiel solche Moden?

Vor ein paar Jahren gab es den großen Trend zum Outsourcen. Alles ist outgesourct worden - EDV, Zulieferung und so weiter.

Heute gibt es den anderen Trend: Bei großen Unternehmen wird zum Teil wieder ingesourct, weil die festgestellt haben, dass es beim Outsourcen ein paar Probleme gibt - Qualität der Dienstleistung, Kostenprobleme, die plötzlich auftauchen, und so weiter. Es gibt da durchaus eine gewisse Beliebigkeit.

Warum erkennen die Chefs nicht, dass ihnen oft Standardware geliefert wird?

Weil sie nicht wissen, was Standardware ist. Die halten das, was ihnen vorgetragen wird, für etwas Exklusives. Das ist ja auch Teil der Gags und Tricks.

Zweitens gehen sie zum Teil von völlig falschen Voraussetzungen aus. Sie glauben, die Leute, die dort kommen, haben Kompetenz. Aber es ist so: Das jeweilige Team, das beim Kunden ist, lernt in der Anfangszeit zunächst mal vom Unternehmen überhaupt das Geschäftsfeld kennen.

Eigentlich müssten sie ja Kompetenz von außen mitbringen und dann sagen: "Nach unseren Erfahrungen empfehlen wir das und das." Aber de facto lernen sie zunächst mal was über die Branche, über das Unternehmen. Sie haben allerdings einen Vorteil, zumindest die Großen: Sie haben schon weltweit bestimmte Projekte zu bestimmten Fragen gemacht.

Auf solche Ergebnisse wird dann zum Teil standardmäßig zurückgegriffen. Aber der Punkt bleibt: Die Berater lernen beim Kunden. Der Kunde muss zunächst mal mit viel Aufwand den Beratern - und das sind ja zum Teil sehr, sehr junge Menschen - beibringen, wie das Unternehmen eigentlich funktioniert.

*) Interviewtext gekürzt

Wie erklären Sie sich dann, dass so viel Geld gezahlt wird?

beraten & verkauft - McKinsey & Co - der große Bluff der Unternehmensberater Verlag C. Bertels- mann, 2006, 448 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 3-570-00925-4 (Foto: N/A)

Das ist einfach: Ich kaufe Loyalität, die ich in meinem Unternehmen zum Teil nicht habe.

Zweitens kaufe ich Legitimation. Drittens kann ich als derjenige, der das Projekt in Auftrag gibt, mich jederzeit von den Ergebnissen, wenn sie sich denn als falsch erweisen, distanzieren.

Der vierte Punkt ist, dass Unternehmensberatungen zum Teil das Nachdenken und das übernehmen, was ich eigentlich als Führungsperson leisten muss: nämlich zu entscheiden.

Es ist sozusagen der Bequemlichkeitsfaktor?

Ich würde es gar nicht bequem nennen, sondern Sicherheitsdenken. Eines ist doch klar: Der Opportunismus in Wirtschaftsunternehmen ist gigantisch. Jeder weiß: Ich werde nur Karriere machen, wenn ich mich zu hundert Prozent anpasse. Es kommen ja nicht diejenigen in Spitzenfunktionen, die Treiber, die Kritiker sind, die mal Fragen stellen. Sondern es sind diejenigen, die sich am intelligentesten so anpassen können, dass sie systemfunktional sind.

Trotzdem könnten Unternehmen dieses Know-how doch auch bei ihren eigenen Leuten abrufen.

Das ist eben falsch. Im Unternehmen gibt es Interessen, beispielsweise die Interessen innerhalb einer Abteilung. Wenn ich unternehmensintern Projekte aufsetzen, die abteilungs- oder konzernübergreifend agieren, habe ich eine solche Interessenvielfalt, dass zwei Dinge passieren: Ich kann die Ergebnisse nicht mehr kontrollieren oder nicht mehr steuern, weil es natürlich schon eine klare Vorstellung davon gibt, welches Ergebnis gewünscht ist. Zweitens dauert der Prozess viel länger. Bis sich in einem Großkonzern unterschiedliche Betriebsteile, unterschiedliche Abteilungen auf irgendwas verständigt haben, kann das Jahre dauern.

Das heißt, es gibt in den großen Unternehmen auch eine Komplexitätsfalle wegen gegeneinanderlaufender Interessen?

Eindeutig. John Kenneth Galbraith, eine der Ikonen der Wirtschaftswissenschaften in den USA, weist in einem seiner Bücher darauf hin, wie Begriffe umgewertet werden. Bei Unternehmen, auch bei Großunternehmen, spricht man immer von Management.

Letztlich sind das aber Bürokratien wie in der Politik und wie in Behörden. Diese Bürokratien haben natürlich ein bestimmtes Eigenleben, eine bestimmte Kultur. Sie haben bestimmte Seilschaften, bestimmte Interessengegensätze, die aufeinander prallen.

Aber es gibt auch signifikante Defizite und fast lächerliche Pannen bei den Ergebnisberichten. Jeder kann auf den ersten Blick erkennen, dass das nicht der große Wurf war. Warum fällt das nicht auf?

Weil natürlich Namen, Brands, immer für eine Kompetenzvermutung stehen. Roland Berger und McKinsey beispielsweise stehen für eine Kompetenzvermutung.

Was wollen die Kunden?

Die Basis, auf der Entscheidungen auf der Topebene getroffen werden, ist ja gar nicht so breit. Die Entscheider in den Kundenunternehmen wollen eine Verdichtungsleistung, eine Reduktion auf banale oder einfache Alternativen.

Die gute Leistung besteht dann also in der "Banalisierung"?

Nicht Banalisierung, Reduktion ist wichtig. Die Welt ist komplex. Alles hängt mit allem zusammen. Das Ziel, klare Alternativen zu haben, würde ich deshalb gar nicht gering schätzen. Ich halte es schon für vernünftig zu sagen: Wir sehen zwei, drei Entwicklungspfade, die man so und so beschreiten kann. Bürokratien neigen nämlich dazu, Komplexität immer komplexer zu machen, so dass am Ende niemand mehr in der Lage ist, überhaupt Entscheidungsalternativen zu erkennen.

Wie funktioniert die Arbeitsteilung zwischen unten und oben - zwischen jungen Beratern und erfahrenen Partnern?

Die jungen Menschen, die beim Kunden sitzen, sind ja zum Teil Hochschulabsolventen. Sie kommen zusammen mit ein, zwei erfahrenen Beratern. Ab und zu stößt auch noch der Partner dazu, der das Projekt verkauft hat. Aber die eigentliche Basisarbeit machen die jungen Berater. Und die sind fleißig, das kann man nicht anders sagen.

Die sitzen da vierzehn, fünfzehn, sechzehn Stunden täglich, um den Wahnsinn beherrschbar zu machen. Sie werden richtiggehend ausgebeutet, das ist ein System des Manchester-Kapitalismus.

Was heißt das?

Die Jungen werden geködert mit relativ hohen Einstiegssummen - siebzig-, achtzigtausend Euro plus Auto und so weiter. Das setzt aber voraus, dass man dem Unternehmen wirklich komplett zur Verfügung steht, von montags neun bis freitags um Mitternacht.

Wenn die jungen Berater in den Projekten sind, gehen sie vor elf, zwölf nachts häufig nicht nach Hause. Ob immer alles sinnvoll ist, was da angefasst wird, ist eine andere Frage. Aber zunächst mal herrscht eine hohe Präsenz und eine hohe Arbeitsintensität.

Nach zwei Jahren werden die Jungen bewertet. Es gilt das "Up or out"-Prinzip. Zehn, fünfzehn Leute aus dem Consultingunternehmen werden zu einer bestimmten Person befragt. Die Sekretärin soll sagen: Ist der nett, kollegial und so weiter? Der Partner muss beurteilen: Ist der kompetent, hat er Fachwissen, hat er den richtigen Fit zum Kunden, kann er Projekte verkaufen, kann er aus alten Projekten neue entwickeln?

All das fließt in die Beurteilung ein, und nach zwei oder drei Jahren wird festgestellt: Den wollen wir behalten, der geht auf das nächste Level. Nächstes Level heißt: mehr Geld, zum Teil auch ein bisschen personen- und projektbezogen führen. Oder man wird eben rausgeschmissen.

Die Chefs wissen: Der Druck - auch der Anpassungsdruck, was bestimmte Standards angeht - auf die Leute ist so groß, dass es keiner extra Kontrolle bedarf. Schließlich wollen die Mitarbeiter ja im Unternehmen weiter aufsteigen. Ich übersetze das mal politisch: Jeder ist potenziell informeller Mitarbeiter. Das ist schon ein ziemliches Druck und Überwachungsinstrument.

Trifft dieses System auch auf die nächste Stufe zu?

Auf alle, sogar auf so genannte Partner. Auch Partner werden vor die Tür gesetzt, wenn sie irgendwann mal bestimmte Umsatzziele nicht mehr erreichen. Das System funktioniert, weil es natürlich auch die eine oder andere Attraktivität besitzt: Erstens kannst du in jungen Jahren viel Geld verdienen, zweitens Praxiserfahrung sammeln.

Die meisten Berater haben ja BWL studiert oder Jura. Manchmal sind sie sich nach dem Studium noch gar nicht sicher, in welche Branche sie jetzt eintreten sollen.

Das ist das Interessante an der Arbeit in einer großen Unternehmensberatung: Da kann ich heute mal Automobil - VW oder Mercedes - machen, übermorgen einen Energieversorger, überübermorgen Luft- fahrtindustrie oder was auch immer.

Das heißt, ich lerne auf diesem Weg unterschiedliche Bereiche und unterschiedliche Unternehmenskulturen kennen, um mich dann irgendwann festzulegen und zu sagen: Das will ich gerne machen, vielleicht die nächsten zwanzig Jahre. Das ist der Anreiz, das ist für die Leute attraktiv.

Gibt es eine starke Rotation? Oftmals wachsen ja Berater in die Kundenunternehmen hinein.

Eindeutig sehr viele. McKinsey ist dort sehr erfolgreich. Die lassen die Leute natürlich auch gerne gehen: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein McKinsey-Mann an der Spitze eines Unternehmens wieder McKinsey als Unternehmensberatung reinholt, ist relativ hoch.

Das Gleiche gilt für Roland Berger oder andere. Im Kern kann man sagen: Nach vier, fünf, sechs Jahren ist der gesamte Personalstamm einer Unternehmensberatung - bis auf eine ganz kleine Spitzengruppe, die Partner und eine Ebene darunter - komplett ausgetauscht.

Es gibt auch innerhalb der großen Beraterfirmen eine gewisse Austauschbeziehung. Warum gibt es da keine Firewalls?

Die wollen natürlich Know-how vom anderen zukaufen, obwohl sich die Berater in ihren Verträgen ausdrücklich verpflichten, keine Unterlagen und Wissen aus den Unternehmen zur Konkurrenz mitzunehmen. Und es gibt Ausschlussklauseln, dass man erst nach einem halben oder einem Jahr zu einer anderen Beratung gehen kann. Aber die anderen kaufen ja nicht nur Know-how ein, die wollen auch Kundenbeziehungen einkaufen. Denn das Beratungsgeschäft ist ein sehr persönliches Geschäft.

Da hängen Partner an ein, zwei Figuren in bestimmten Unternehmen, von denen man glaubt, dass man mit ihnen über lange Zeit ein Geschäft aufbauen kann. Die bekommen dann tatsächlich über einen längeren Zeitraum von immer denselben immer wieder die gleichen Aufträge.

Haben Sie Fallbeispiele für solche Pannen?

Absurdeste Züge hatte das bei der Deutschen Bahn. Es gab in den neunziger Jahren mehr als eine dreistellige Zahl von Projekten, die parallel liefen, und zwar in den unterschiedlichsten Abteilungen, die überhaupt nicht aufeinander bezogen waren. Jeder drehte im Getriebe an irgendwelchen Stellschrauben, ohne dass klar war, was da eigentlich passierte.

Die Klauseln in den Arbeitsverträgen der Berater sind recht hart. Halten sich die Leute in der Praxis daran? Wird oftmals Wissen aus dem Firmen mitgenommen?

Sicher. Jeder hat doch ein Gefühl, ob er gehen muss oder ob er gehen will. Natürlich nehmen die dann Informationen mit.

Sind das auch wertvolle Informationen?

Ja, das sind Projekte, Projektberichte und so weiter. Das ist meiner Ansicht nach aber nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist das Know-how, wie man etwas macht, und die Kontaktstruktur.

Haben die Beratungsunternehmen zusätzlich zum Know-how bestimmte Philosophien, wie man an Projekte rangeht, wie man es genau macht?

Eindeutig, es gibt ganz klare Phasenpläne. So und so ist ein Projekt aufzubauen, das sieht immer gleich aus. Es gibt auch immer die gleichen Strukturen: An der Spitze steht ein Lenkungsausschuss. Darunter gibt es verschiedene Unterausschüsse. Dann gibt es einen Phasenplan, der fast immer identisch ist, und natürlich müssen - das ist der absolute Irrsinn - auch die Präsentationen nach einem bestimmten Format, nach einer bestimmten Regel realisiert werden.

Ist das wissensbasiert?

Ich sage mal: Es ist nicht blöd. Viele große Beratungsunternehmen existieren schon lange. Die älteste, Arthur D. Little, wurde 1883 gegründet. Die zweite war Booz Allen 1914, dann 1926 McKinsey. Selbst die Firma Roland Berger besteht jetzt über vierzig Jahre. Sie haben sich mit ihren Standards am Markt durchgesetzt.

Woran liegt es, dass bei den Ergebnissen sehr viel Wert auf die Charts, auf die Visualisierung, gelegt wird?

Weil Führungskräfte so funktionieren. Sie wollen keine langen Papiere lesen. Sie wollen sehr prägnant, präzise, möglichst plakativ die Entscheidungsalternativen, die Daten, Zahlen, Fakten vorgetragen haben. Es gibt eine Managementfassung, die hat dann vielleicht zwanzig Seiten. Es gibt auch längere Analysen mit zweihundert Seiten. Das ist sehr unterschiedlich und hängt von der Führungskraft ab.

Gibt es in den Kundenunternehmen einen Mittelbau, der die Ergebnisse genau analysiert und studiert?

Es kommt darauf an, wo ein Projekt aufgesetzt ist. Wenn es vom Vorstand aufgesetzt ist, will man überhaupt nicht, dass der Mittelbau die Ergebnisse kennt. Das ist dann das Herrschaftswissen der Führungskräfte.

Es gibt also Studien, die im engen Kreis bleiben?

Absolut.

Wie ist die Rekrutierungskultur? Welche Leute suchen Beraterfirmen? Was müssen sie am Anfang bringen?

Das System, das sich da etabliert hat, ist schon extraordinär. Es wird viel Zeit und viel Geld in die Rekrutierung gesteckt.

Welche Kriterien gibt es dafür?

Zum Teil haben die Firmen an den einzelnen Hochschulen - etwa im Bereich BWL oder in den Naturwissenschaften - Professoren, die ihnen sagen: Das sind die zehn, fünfzehn Prozent der Besten dieses Jahrgangs.

Das heißt, die kennen sie schon. Dann gehen sie auf die Studenten zu. Sie werden zu bestimmten Seminaren, Workshops und ähnlichen Veranstaltungen eingeladen und bekommen eine Aufgabe, einen "case", einen Fall, und müssen daran zeigen, wie kreativ sie mit dem Fall, mit der Methodik umgehen können. Das wird dann bewertet. Es wird aber auch noch etwas anderes bewertet: Wie anpassungsfähig sind die Kandidaten? Wie ist ihr Auftreten? Wie verbindlich, wie sicher sind sie in der Präsentation? Und vor allen Dingen: Wie schnell kann man sie streamlinen? Charaktere sind dort nicht unbedingt gefragt.

Was heißt streamlinen?

Streamlinen bedeutet, sofort die Assets oder die Grundlagen der Unternehmenskultur zu inhalieren. Die Firmen suchen gezielt junge Leute, die man so früh prägen kann, dass sie sich reibungslos einfügen.

Gibt es da keine Unterschiede in der Kultur? Wenn einer sehr gut ist, widerspricht das doch oftmals der Bereitschaft, sich anzupassen.

Das kommt immer sehr auf den Studiengang an. Bei BWL-Studenten zumindest kann ich das nicht sehen. Auch das Studium funktioniert nach genau diesen Kriterien.

Gibt es im Beratersystem funktionierende Seilschaften und verlässliche Kontaktnetze?

Ich habe gerade von den Eliten in den jeweiligen Jahrgängen gesprochen. Diese Kontakte bleiben zum Teil über Jahre, Jahrzehnte bestehen. Das sind informelle Seilschaften beispielsweise zwischen einer Beratungsfirma und Leuten, die in Unternehmen sitzen.

Sie helfen sich wechselseitig, was Aufträge angeht, was die Vermittlung von lukrativen Jobs angeht. Dieses Alumni-Network funktioniert auch in Deutschland. Es ist nicht so präzise, aber bestimmte Jahrgänge kennen sich.

Da macht man den kurzen Dienstweg: Wenn man bei einer Unternehmensberatung ist und einen ehemaligen Studienkollegen kennt, der jetzt bei Daimler- Chrysler oder wer weiß wo ist, dann kann man den mal anrufen. Auf diese Weise kriegt man leichter einen Job oder einen Auftrag.

Birgt das Rekrutierungssystem nicht auch eine gewisse Irrationalität mit sich? Die besten Leute, die besten Abschlüsse - und trotzdem müssen sie zum Schluss eine relativ dünne Soße abgeben?

Die Klügeren - es gibt ja auch kluge Unternehmensberatungen - versuchen, die Monokultur aus Betriebswirten und Juristen zu knacken, und stellen auch Geisteswissenschaftler oder Kommunikationswissenschaftler ein.

Manchmal nehmen sie sogar Theologen, weil man von denen will, dass sie die Dinge durch eine andere Brille sehen. Diejenigen, die das aus meiner Sicht am besten kultiviert haben und die ich auch für die kreativste Beratungsfirma halte, ist die Boston Consulting Group.

Andere bieten eben Konfektionsware, industrielle Produktion. Man muss sich das vorstellen: Große Unternehmensberatungen haben weltweit zehn-, fünfzehntausend Mitarbeiter. Solche Firmen werden geführt wie Industrieunternehmen.

Zum Thema Dresscode: Wenn man die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Beratungsunternehmen anschaut, fällt auf, dass es eine ziemlich einheitliche Figuration ist: gleiche Klamotten, ähnlicher Auftritt. Sie scheinen habituell sehr gestreamt. Warum?

Weil die Firmen ganz bestimmte Typen aussuchen. Die zehn Prozent der Besten im BWL-Jahrgang sind in etwa vom gleichen Schlag. Ich würde fast sagen, das sind die, vor denen ich meine Kinder früher immer gewarnt habe: spießig, konservativ. Sie sind leistungsorientiert, was ja nicht schlecht ist, aber sehr verengt, sekundärtugendgesteuert. Zweitens gibt es natürlich bestimmte Standards, wie man sich zu kleiden hat - dunkler Anzug, Krawatte, bis auf den Casual Friday. Wenn man nicht beim Kunden ist, kann man an Freitagen auch in Jeans kommen.

Warum zahlen Kunden die horrend hohen Tagessätze von Unternehmensberatern?

Weil sie glauben, Qualität zu kaufen. Und das Geschäftsmodell funktioniert auch nur so. Das sind meistens amerikanisch geführte Unternehmen mit bestimmten Profitabilitätsvorgaben - zwanzig bis dreißig Prozent Profit sind da gefordert.

Ich möchte mal ein normales Wirtschaftsunternehmen sehen, das so einen hohen Profit machen könnte. Zweitens sind gute Leute - oder die sich dafür halten - teuer. Drittens: Die Spitzenkräfte wollen viel verdienen.

Wenn ich einen Stamm von siebzig, achtzig Partnern habe, und alle wollen eine halbe Million verdienen, dann muss ich schon ein bisschen Geld organisieren. Es wird viel in EDV investiert, in Knowledge-Management-Systeme und in die Qualifikation. Und es gibt natürlich - das wird aber häufig vom Kunden bezahlt - Reisekosten und Spitzenhotels.

Hängen die Tagessätze auch mit dem Glauben zusammen, dass nur das etwas ist, was auch etwas kostet?

Ja, natürlich, Qualität muss auch teuer sein.

Da gibt es auch keine Diskussion?

Doch, in den vergangenen Jahren sind die Beratungen schon unter Druck gekommen. Nach der New-Economy-Blase war es plötzlich nicht mehr möglich, eben mal Tagessätze von drei- bis viertausend Euro abzurechnen.

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