Benzinpreis-Diskussion:Des Kanzlers fragwürdige Rechnung

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Öl wäre um ein Drittel billiger, wenn es die Spekulanten nicht gäbe, sagt Gerhard Schröder. Eine solche Aussage ist allerdings selbst eine unüberprüfbare Spekulation.

Gerd Zitzelsberger

Bei knapp 70 Dollar notiert derzeit der Barrel (159 Liter) Rohöl. Davon gingen allein 20 bis 30 Dollar auf die Aktivitäten der Spekulanten zurück, sagte Schröder am Sonntag im Fernsehduell mit Herausforderin Angela Merkel und wiederholte die Aussage am Mittwoch im Bundestag. Den internationalen Öl-Konzernen warf er bei dieser Gelegenheit "unverantwortliche Preistreiberei" vor.

Eine Bohrinsel zur Ölförderung. (Foto: Foto: dpa)

Tatsächlich explodieren bei westlichen Öl-Multis und den staatlichen Öl-Gesellschaften in Ländern wie Saudi-Arabien oder Iran derzeit die Gewinne. Bei BP beispielsweise, dem zweitgrößten börsennotierten Energiekonzern, betrugen die reinen Förderkosten im vergangenen Jahr im Schnitt lediglich 3,40 Dollar pro Barrel; sie haben sich in den vergangenen fünf Jahren zwar um 30 Prozent erhöht, weil BP das Öl aus immer abgelegeneren Lagerstätten holen muss und inzwischen selbst 2500 Meter unter dem Meeresspiegel noch nach dem schwarzen Gold bohrt. Aber die Förderkosten machen damit bei der gegenwärtigen Marktlage lediglich fünf Prozent des Preises aus.

Förderkosten von einem Dollar

Für den saudischen Staatskonzern Aramco, den weltweiten Branchenführer, dürften die Förderkosten nach westlichen Schätzungen sogar nur in der Größenordnung von einem Dollar liegen; denn dort sind die geologischen Bedingungen erheblich günstiger.

Als die in der Produktion teuersten Ölvorkommen gelten die kanadischen Teersande. Doch selbst dabei machen die Konzerne einen glänzenden Schnitt: Shell, der führende Konzern auf diesem Gebiet, beziffert die Produktionskosten bei Öl aus Teersand auf gut 17 Dollar pro Barrel. Und langfristig glaubt das Unternehmen diesen Wert sogar bis auf etwa elf Dollar reduzieren zu können.

Das Bild ändert sich auch nicht grundsätzlich, wenn man den Aufwand einrechnet, den es kostet, neue Ölfelder zu finden und zu erschließen. Bei BP etwa haben sich diese Kosten zwar in den vergangenen fünf Jahren auf 7,80 Dollar pro Barrel verdoppelt. Aber nimmt man die westlichen Öl-Gesellschaften zusammen, dann liegen die Explorationskosten nicht höher als vor 20 Jahren.

Hohe Abgaben und Steuern

Den ganz großen Brocken für die Öl-Gesellschaften bilden dagegen Förderabgaben und Steuern, also das, was sich die jeweiligen Länder sich von ihrem Ölreichtum für sich selbst abschneiden. In der Regel sind dies keine Festbeträge pro Barrel, sondern die Staaten profitieren unmittelbar und überproportional von der Ölhausse. Nach Ansicht von Experten ist deshalb die Vermutung nicht zutreffend, dass ein Drittel des Preises in den Taschen von Spekulanten landet.

Dass auch manche Spekulanten wie einige Hedge-Fonds astronomische Gewinne einfahren, steht dabei außer Zweifel. Der Grund ist aber nicht das derzeit hohe Niveau der Ölpreise, sondern die starken Preisschwankungen: Spekulanten verdienen an fallenden Preisen genauso wie an steigenden - wenn sie nur die richtige Nase haben. Für sie kommt es nicht auf die Höhe der Preise, sondern auf die Preisausschläge an.

Herrschende Meinung unter Wirtschaftswissenschaftlern ist, dass solche Spekulanten in ihrem Herdentrieb zwar Preis-Ausschläge noch verstärken können, aber längerfristig keinen entscheidenden Einfluss auf das Preisniveau haben. Denn spätestens bei der tatsächlichen Lieferung müssen sie das Öl wieder verkaufen, das sie spekulativ gekauft hatten, als es noch unter der Erde lag. Sie können also nicht das physische Angebot manipulieren.

Zu wenig investiert

Dass das gegenwärtige Öl-Angebot knapp und der Preis damit hoch ist, geht nach Ansicht von Wirtschaftswissenschaftlern nicht auf finstere Machenschaften von Spekulanten zurück, sondern auf simple Fehlkalkulation: Weder die Scheichs noch die Multis hatten den starken Anstieg der Nachfrage, speziell aus China und Indien, vorausgesehen.

Noch im Frühjahr hatte etwa BP-Chef John Browne auf lange Sicht noch einen Preis von nur 20 Dollar pro Barrel prognostiziert. Entsprechend stark haben sich die Ölproduzenten mit Investitionen zurückgehalten. Kurzfristig bleiben sie auf ihren Fehlern sitzen: Es dauert fünf bis zehn Jahre, ein mutmaßliches Ölfeld zu erkunden und zu erschließen.

Zwar gibt es mittlerweile durchaus Akteure, die glauben, dass der Gipfel der Ölproduktion allmählich in Sichtweite kommt. Doch die bittere Ironie aus Sicht der Verbraucher ist nur, dass Scheichs und Multis derzeit am meisten von ihren eigenen Fehlkalkulation, sprich von ihrem Unterlassen von Investitionen, profitieren.

© SZ vom 08.09.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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