Bei uns in Zürich:Lieber im Kapuzenpulli

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Heute kann es sinnvoll sein, lieber leger ins Büro zu gehen als im Maßanzug. Besonders, wenn man Banker ist. Und auch, wenn man bisher als unbescholten gegolten hat.

Von Charlotte Theile

Wer heute in Zürich in einer Bank arbeitet, geht gerne mal inkognito ins Büro. Jeans und Kapuzenpullover kommen beim Tramfahren auf der Bahnhofsstraße besser an als der maßgeschneiderte Anzug, der allen Mitreisenden verrät, dass der Träger bei einem dieser großen, reichen Institute arbeitet, die noch vor gar nicht langer Zeit mit Stolz als Wahrzeichen der Schweiz betrachtet wurden.

Heute ist das anders. Selbst in der wirtschaftsliberalen FDP werden die Banker seit einigen Jahren mit Schimpfworten belegt. Doch natürlich gab es auch andere, gute Banker. Das Gesicht der anständigen, verantwortungsbewussten Finanzmanager war Pierin Vincenz. 16 Jahre lang leitete er die genossenschaftlich organisierten Raiffeisenbanken. Wenn die Privatbanken an der Zürcher Bahnhofsstraße für Raubtierkapitalismus standen, war Raiffeisen Schweiz die Bank des Volkes. Fast die Hälfte der gut acht Millionen Einwohner der Schweiz haben hier ein Konto, knapp zwei Millionen Schweizer sind sogar Genossenschafter. Vincenz führte das Institut zu gewaltigen Gewinnen, die Genossenschafter jubelten, Politiker aller Parteien zeigten sich gern mit dem Vorsitzenden der Bank aus Sankt Gallen. Der machte auch politisch von sich reden, stellte etwa das in der Schweiz unantastbare Bankgeheimnis öffentlich in Frage.

Seit einigen Wochen aber ist alles anders: Die Staatsanwaltschaft hat ein Verfahren gegen den 61-jährigen Pierin Vincenz eröffnet, er wurde verhaftet. Er wird wegen "ungetreuer Geschäftsbesorgung" belangt, die Vorwürfe klingen nur zu sehr nach dem verhassten Bild des Bankers, das Vincenz stets bekämpft hat: Verdeckte Treuhandgeschäfte, Strohmänner, persönliche Bereicherung. Noch laufen die Ermittlungen, es gilt die Unschuldsvermutung - doch auch die Raiffeisen Gruppe hat Klage gegen ihren früheren Chef eingereicht. Die Boulevardzeitung Blick beschreibt unterdessen die karge Zelle, die der frühere CEO jetzt bewohnt: "Von seinem Luxusleben musste er sich Knall auf Fall verabschieden. Das könnte ihm psychisch zusetzen."

Für die Genossenschaft ist das verheerend. Auch der aktuelle Chef Patrik Gisel, der das Geschäft 2015 von Vincenz übernommen hat, sieht sich schweren Vorwürfen gegenüber. Wie groß die Erschütterung ist, zeigt sich an den Generalversammlungen. Trotz bester Zahlen ist die Stimmung gedrückt. Das gute Gewissen ist weg. Man ist nicht länger Kunde oder Eigentümer einer tadellosen Bank des Volkes. Auch die Angestellten in Sankt Gallen könnten bald im Kapuzenpullover ins Büro fahren.

© SZ vom 23.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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