Bei uns in Tokio:Wenn der Kunde noch König ist

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Die Tankstelle um die Ecke hat nun auch auf Selbstbedienung umgestellt. Seither arbeiten nur noch drei Leute dort, vorher waren es sechs. Den Dienstleistungssektor auf Profitabilität zu trimmen, ist allerdings ein Fehler.

Von Christoph Neidhart

Die Tankstelle um die Ecke hat nun auch auf Selbstbedienung umgestellt, so wie in den vergangenen Jahren viele. Seither arbeiten nur noch drei Leute dort, vorher waren es sechs. Fährt ein Kunde heran, weisen sie ihn immer noch ein. Sehen sie, dass er am Bildschirm der Zapfsäule Schwierigkeiten hat - Ist meine Karte eine gewöhnliche oder eine Spezialkreditkarte? -, eilen sie herbei, um zu helfen. Bisher bediente ein Tankwart die Zapfsäule, ein zweiter wischte die Scheiben und händigte dem Fahrer einen Lappen für die Innenseite der Fenster aus. Ein Dritter fragte, ob man Müll habe: Getränkedosen, Flaschen? Und schon kam der erste mit der Quittung angelaufen. Noch eine Bemerkung übers Wetter, schon fuhr man los. An Bedien-Tankstellen ist es bis heute so. Und alle sind freundlich, auch in nasskalten Regennächten.

Im Westen sagt man, wer einen guten Job hat, der soll ihn auch gut machen. Die Japaner geben sich auch in lausigen, schlecht bezahlten Jobs Mühe. Die Fahrer der privaten Paketpost rennen vom Wagen zur Haustür, um Dienstfertigkeit zu demonstrieren. Ist man nicht da, legen sie einen Zettel mit ihrer Handy-Nummer in den Briefkasten. Bis neun Uhr abends kann man anrufen, und sie bringen das Paket noch vorbei. Im Supermarkt springt eine Angestellte, wenn an einer Kasse mehr als zwei Leute stehen, zur nächsten Kasse, damit niemand warten muss. Und das für umgerechnet sieben Euro Stundenlohn.

Westliche Ökonomen, die Japan besuchen, vor allem Amerikaner, loben das Land gerne für die Effizienz seiner Industrie, raten aber dringend, dass sich die Produktivität des Dienstleistungssektors bessern müsse. Wer in den USA einmal einen halben Vormittag auf der Post verbracht hat, nur um ein Paket abzuholen, der ist sich da nicht so sicher. Die unterschiedliche Haltung zur Dienstleistung spiegelt sich schon in der Sprache. Die Japaner meinen mit ihrem Fremdwort "Service" etwas, das sie zusätzlich abgeben: ein Gratis-Snack zum Bier oder eine Mandarine mehr, obwohl schon ein Kilo in der Tüte steckt. Was der Westen "Service" nennt, ist hier selbstverständlich.

Überall in Japan gibt es Tante-Emma-Läden, die sich offensichtlich nicht rentieren. Das müssen sie auch nicht. Wichtiger ist ihre soziale Funktion. Der kleine Laden gibt dem Leben ihrer meist älteren Inhaberin einen Sinn. Und er schafft einen Rahmen, in dem sich die Nachbarn begegnen. Sicher muss Japans Wirtschaft erneuert werden, aber den Dienstleistungssektor auf Profitabilität zu trimmen, wäre der falsche Ansatz.

© SZ vom 24.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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